Donnerstag, 25. April 2024

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Raoul Hausmann und Hannah Höch

Berühmte Paare aus Zeitgeschichte, Kultur oder Wissenschaft haben immer Konjunktur. Man vermutet hier unbändige Leidenschaften, rasantes Leben, große Gefühle - all das, was der gemeine Mensch vermeintlich nicht erfährt.

Enno Stahl | 26.04.2000
    Der Rowohlt Verlag hat diesem Leserbedürfnis gar eine ganze Reihe gewidmet, in der jetzt Karoline Hilles Doppelbiografte "Raoul Hausmann/Hannah Höch" erschienen ist. Dieser Paarung aus der "schönen, alten Dada-Zeit" wurden schon viele Seiten gewidmet, die allerdings nur zu oft Schematisierung und Mythenbildung Vorschub leisteten. Schlicht und kundig gibt Hille die Kardinalfehler der verschiedenen "Beziehungsbiografien" wieder: Bereits in den recht patriachalischen Dada-Tagen gab es da die Vorstellung Hannah Höchs als "stiller, passiv erleidender Frau mit Küchenschürze und Kleistertopf". Für die bekennenden Machos des Berliner Dada, George Grosz und John Heartfield, war Höch nur das kleine "Hannchen", Hausmanns Freundin, als Künstlerin wurde sie nicht ernst genommen.

    Bis in die 80er Jahre hinein wirkte diese Vorstellung fort, bis sie durch die Arbeit feministt-,ch ausgerichteter Autorinnen einem anderen Klischee wich. Jetzt war Hannah Höch die souveräne Frau, die Dadaisten selbst nur "eitle, egozentrische Gecken". Durch umfangreiche Quellenforschung in den 90er Jahren wurden beide Fehleinschätzungen korrigiert, doch entstand nun die Legende vom symbiotisch tätigen Künstlerpärchen: freier, geistiger Austausch, Kooperation, Engagement für die gemeinsame Sache.

    So aber sind Raoul Hausmann und Hannah Höch nie gewesen. Wie ihre Liebesgeschichte tatsächlich verlief, das bemüht sich Karoline Hille anhand von Archivmaterial: Briefen und unveröffenthchten Gedichten, unvoreingenommen zu dokumentieren, und man kann sagen, dass ihr dies auch weitgehend gelingt. Fern von Schuldzuweisungen schildert sie die verworrene und quälende Beziehung, welche Hausmann und Höch zwischen 1915 und 1922 verband: er verheiratet mit einer anderen Frau, sie stets auf Scheidung pochend - beide daher beständig zwischen engster Verbundenheit und selbstquälerischem Zwist.

    Stürmen der Leidenschaft folgten Fluchten, mitunter hielt Hannah Höch sich monatelang fern, tauchte unter bei ihren Eltern in Gotha. Dies besonders war Hausmann ein Dorn im Auge - als fanatischer Anhänger des Revolutionspsychologen Otto Groß vertrat er die Ansicht vom zerstörerischen Einfluss des Vaters auf die Tochter, der die Versklavung des Weibes durch den Ehemann zwangsläufig folge.

    Hausmann suchte nun mit äußerster Penibilität, die Konsequenz aus Groß' Anschauungen in die eigene Bezichungspraxis umzusetzen. Hannah Höch aber weigerte sich, die Verbindung zu ihren Eltern abzubrechen - das Ganze mündete natürbch in ein Chaos und wäre wohl auch nicht weiter interessant, wenn es sich bei den beiden nicht um bedeutende Künstler der historischen Avantgarde handelte.

    Immerhin ist ihnen die Entdeckung der künstlerischen Fotomontage zuzuschreiben, als deren reiftes Beispiel wohl Höchs berühmter "Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierhauchkulturepoche" zu gelten hat.

    Eng in die persönliche Beziehung verflochten, sind zudem Siegeszug und Scheitern Dadas sowie der Kampf um die Durchsetzung neuer funktionaler Prinzipien für die Kunst.

    Dem privaten Bezichungskrieg haftet auch von daher viel Zeittypisches an, als dass er Resultat einer losgelassenen Hobby-Psychoanalyse ist, wie sie aus dem spektakulären Einbruch des Unterbewussten in das Denken der Moderne folgte. Welche Faszination die neue Wissenschaft auf die Zeitgenossen hatte, wie sehr das "gegenseitige Sezieren, Aufrechnen und die daraus abgeleiteten Formen" menschliche Beziehungen zermürbte, das zeige - so Karoline Hille Hausmanns und Höchs Beispiel auf exzellente Weise.

    Das individuelle Schicksal des Dada-Paars ist somit in vielerlei Hinsicht an politische, kulturelle, psycho-soziale Epochen-Phänomene gekoppelt, die bei der biographischen Skizze nicht ausgespart bleiben dürfen.

    All dies gibt Hille in gebotener Kürze und faltenreich wieder. Da bei der populären Gesamtausrichtung die Materialfülle nicht angemessen präsentiert werden kann und genaue Quellenangaben fehlen, erweist sich das Buch für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema als untauglich. Die Aufgabe, interessierten Laien einen schnellen, bisweilen spannenden Überblick zu geben, erfüllt es durchaus.

    Allerdings bleiben Fragen offen: bei Hille liest sich die Partnerschaft zwischen Hausmann und Höch als regelrechte Hölle. Man macht sich keinen Reim darauf, wieso die beiden es immerhin sieben Jahre miteinander ausgehalten haben. Ist das tatsächlich Zeichen einer singulären Beziehung zweier ungewöhnlicher Menschen - oder doch Resultat einer zu einseitigen Darstellung?

    Sollte Höch und Hausmann denn wirklich nicht mehr verbunden haben als ein überbordendes Sexualleben, wie es aus den vielen Briefzitaten hervorscheint? Oder was war sonst das Ferment dieses schwierigen Miteinanders? Auch nach Karoline Hilles Buch wird man diese Frage nicht entscheiden können.