Donnerstag, 25. April 2024

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Weltbürgertum. Kosmopolitische Ideen in Literatur und politischer Publizistik seit dem achtzehnten Jahrhundert.

Sigrid Thielkings umfangreiches und gründliches Kompendium umreißt historisch den Gedanken des Weltbürgertums von der Aufklärung bis in die Nachkriegszeit. Eine kluge Auswahl literarischer Texte bildet den Leitfaden durch die Jahrhunderte. Die Idee des "Weltbürgertums" ist zunächst tatsächlich keine Idee der Politik oder des Feuilletons, sondern eine Herzensangelegenheit der Dichter und Denker. Im Zeitalter der Globalisierung und des idenditätsstiftenden wirtschaftlichen Erfolgs, der - folgt man den "Untemehmensphilosophien" - kulturelle Werte verblassen läßt, kann man sich kaum mehr vorstellen, was August Schlegel den Deutschen einst ins Stammbuch geschrieben hat. "Wenn nun aber", gibt dieser zu bedenken "das Unbewußtseyn der eignen Vorzüge, die Unbekümmertheit um sich selbst, die Bescheidenheit und Demuth acht Deutsche Züge wären?" Universalität und Kosmopolitismus bestimmen, folgt man dem philosophischen Vordenker der Romantik, die wahre "deutsche Eigenthümlichkeit". Was zeichnet nun einen Weltbürger aber aus? "Mündigkeit, Vernunft und Willensfreiheit" ist die Antwort, die zuvor im Zeitalter der Aufklärung Immanuel Kant gegeben hat, während Friedrich Schiller im Zusammenhang mit Weltbürgerlichkeit die klassische "Überzeitlichkeit des Ästhetischen" fordert und vom "Idealreich einer deutschen Kulturnation" spricht. Der Dichter Christoph Martin Wieland geht in seinem satirischen Roman "Die Geschichte der Abdecken" ganz einfach davon aus, dass sich Kosmopoliten gegenseitig an ihrer Ausstrahlung und Denkweise erkennen. Dazu bedarf es - wie bei den heutigen Globetrottern - auch im achtzehnten Jahrhundert keiner Äußeren Erken-nungszeichen, keiner Mitgliedschaften oder Verabredungen. Die Zusammenkunft dieser "wunderbaren und seltnen Art von Menschen" schreibt Wieland "glich vielmehr dem Wiedersehen nach einer langen Trennung, als einer neu angehenden Verbindung".

Andrea Gnam | 24.01.2001
    Neben der Darstellung der Wurzeln des Kosmopolitismus aus dem Gedankenkreis l der Aufklärung gilt Thielkings besonderes Interesse dem Verhältnis von weltbürgerlichem Anspruch und aufkeimendem Nationalismus im neunzehnten Jahrhundert. Paradigmatisch für die Entwicklung zum nationalstaatlichen Denken im neunzehnten Jahrhundert legt Thielking die Kritik am Kosmopolitismus dar, wie sie im Vorfeld der Revolution von 1848 in einer Debatte zwischen dem Junghegelianer Amold Rüge und dem Literaturhistoriker und Vormärzdichter Robert Prutz öffentlich ausgetragen worden ist. Zu abstrakt sei der Freiheitsbegriff des Weltbürgers, kontert der "Patriot" Prutz die Patriotismusschelte Ruges. Das Volk brauche das Leitbild eines räumlich umgrenzten, mit den Sinnen begreifbaren Landes. Der Kosmopolit verliere den Blick auf das nächste, und damit auch auf die "sehr konkrete Knechtschaft des Fremden." Der Gedanke des Weltbürgertums als Abgrenzung gegen die eigene Obrigkeit wird Mitte des Jahrhunderts abgelöst vom nationalstaatlichen Begehren des Bürgers. Gleichzeitig erstarkt ein anderer Gedanke, der des Internationalismus. Er ist geleitet von den politischen Interessen einer Gruppe und steht im Dienste der Durchsetzung einer Weltanschauung wie beispielsweise der Internationalismus der Arbeiterbewegung. Stefan Zweig sieht darin, in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Positivum: Während der Kosmopolitismus ein oberflächliches Bekenntnis sei und lediglich eine "gesellige Bankettkultur" zu Friedenszeiten nach sich zieht, bildet der Internationalismus eine moralische Selbstverpflichtung, die auch durch den Krieg nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Im Gefolge des ersten Weltkriegs tritt der Europagedanke auf den Plan. Paradoxerweise kann nach Ansicht mancher Europafreunde, wie etwa Max Scheler, erst die Katastrophe des Krieges den Boden für die Notwendigkeit der Einheit bereiten. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit widmet sich der Situation des Judentums, das in seiner jahrundertelangen erzwungenen "Ortlosigkeit", seine Traditionen und Wertvorstellungen bewahrt hat. Thielkings Streifzug durch die Literaturgeschichte belegt in schlüssiger Weise das wertestiftende, utopische Po-tential des Kosmopolitismus. Besonders in Zeiten gesellschaftlichen Zusammenbruchs, hat der Gedanke des Weltbürgertums als Geisteshaltung die Kraft zu Ori-entierung und Neuanfang geboten.

    Eher den fragwürdigen Aspekten von Weltbürgertum, insbesondere in seiner marktpolitischen Form, der Globalisierung, widmet sich ein Sammelband mit Aufsätzen zu Weltbürgertum und Globalisierung, dessen Beiträger - nicht eben weltoffen gedacht - durchweg Männer sind. Der Begriff des Weltbürgertums beinhaltet, so der Tenor der männlichen Kritik, ein Ausschlusskriterium. Das Fremde und Abweichende hat hier keinen Platz, historisch bleiben Frauen, Besitzlose und Fremde von den juristischen und philosopischen Definitionen ausgeschlossen. Ge-sucht wird der Anschluss an das Ähnliche, das es vollends zu integrieren gilt. Der heutige Weltbürger hat es mit einer Welt zu tun, die der seinen gleicht: er beherrscht vernetzte Kommunikationssysteme und hat sich in der Informationsgesellschaft eingerichtet. Problematisch ist am Weltbürgertum sein universalistischer Anspruch. Die Essays widmen sich einzelnen Visionen und ihrer historischen Wirkung, um zu untersuchen, unter welchen Bedingungen sich die Vorschläge zur Verbesserung der Welt in restriktive Setzungen verwandeln. Der Gang durch die Zeiten lässt eines deutlich werden: schnell kann die Missionierung der Welt durch Ideale in ihre nicht nur ideelle Eroberung umschlagen. Ob es die Heilsbotschaft der paulinischen Sendung ist, die ihre Glaubenslehre in die ganze Welt tragen will, die Zentralperspektive, die Dinge einem einheitlichen Raster und damit einer distan-zierten Ordnung des Sehens unterwirft oder der Entwurf von Jürgen Habermas, der als verbindliche Handlungsnormen das anerkennen will, was die Vernunft aller dazu erklärt: das Widerständige, Andere, Nicht-integrierbare hat einen schweren Stand. Trennt gar nur ein Schritt die Indentitätskonzeption des Weltbürgers, der Unterschiede zu nivellieren versucht, von der Haltung derer, die zur Vernichtung all dessen aufrufen, das dieser Vision entgegensteht? Identitätsvisionen gewalttätiger Natur, gilt es zu bedenken, entstehen gerade auch in reformistischen, avantgardistischen Kreisen und sie sind orientiert am Bau einer Zukunft für die kommende Generation. Anders steht es mit der Globalisierung. Sie geht von einem Bild des Menschen aus, dem die Gesetze des kapitalistischen Marktes zugrunde liegen:

    Der Mensch ist eigennützig und Geld ist seine einzige tragfähige "Friedensmacht". Die Aufsätze, die sich diesem Themenkreis widmen, sind naturgemäßes nüchterner als diejenigen der Geisteswissenschaftler, aber in der Regel auch leserfreundlicher, was die verwendeten Begriffe und Anspielungen angeht. Wie weitreichend die internationalen Verflechtungen sind und wie weit die Angleichung der Produkte bereits geht, bildet - mit Tabellen und Zahlen illustriert - einen Politkrimi eigener Art. Der eigentliche Weltbürger wäre nach dieser Lesart der wirtschaftlich potente Konsument der Industriestaaten mit einer Heilsbotschaft, die sich einzig aus dem Fortbestand des ökonomischen Kreislaufs speist.