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"Ich beobachte sehr gerne"

Er studierte Humanmedizin und Kunstgeschichte und versteht sich in erster Linie als Maler. Jetzt erschien ein Kompendium des 1964 in der Türkei geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Feridun Zaimoglu, in dem erstmals auch stark autobiographische Texte zu finden sind. Aber nicht von Türken und Deutschen handelt dieses Buch, sondern von Menschen mit besonderen Eigenheiten.

Von Detlef Grumbach | 14.05.2007
    Die eigentliche Enttäuschung stellte sich bei dem Anblick unserer neuen Behausungen im verheißenen Land ein: Eine zwölf Quadratmeter große Einzimmerwohnung mit Nasszelle und abgegliederter Küchenzeile, ein schauriges Kabuff, das meine Eltern ein halbes Jahr lang mit einer anderen Gastarbeiterfamilie teilen sollten. Erst viel später, nachdem mein Vater in den Techniken der Ledergerbung unterwiesen und zudem zum Sprachvermittler aufgestiegen war, konnten sie den Verschlag gegen das oberste Stockwerk eines Gastarbeiterlagers tauschen.

    Er studierte Humanmedizin und Kunstgeschichte und versteht sich in erster Linie als Maler. Einem großen Publikum wurde er mit seinen "Misstöne vom Rande der Gesellschaft" untertitelten Bänden bekannt, in denen er junge türkischstämmige Deutsche oder in Deutschland aufgewachsene und lebende Türkinnen und Türken, in seinem Jargon kurz Kanakster, vorstellte: "Kanak Sprak", "Abschaum" und "Koppstoff". Inzwischen liegt auch ein erster Roman vor, "Liebesmale, scharlachrot". Jetzt erschien ein Kompendium des 1964 in der Türkei geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Feridun Zaimoglu, in dem wir erstmals auch stark autobiographische Texte finden, Texte, die die Geschichte seiner Ankunft in Deutschland erzählen, die seinen Blick auf die Lage der Einwandererkinder in der zweiten, dritten und vierten Generation und anderer in der Gesellschaft zu kurz Gekommener in den Mittelpunkt rücken. Aber eben nicht von "Türken" und "Deutschen" handelt dieses Buch, sondern von Menschen, deren Eigenheiten, um nicht von Identitäten zu sprechen, in kleineren, sozial bestimmten Lebensumständen wurzeln.

    Es ist besonders in unseren Zeiten eine Binsenweisheit, dass kein Mensch mit einer strengen linearen Biographie aufwarten kann. Der Versuch, Einzelne wie Kollektive zugunsten vermeintlicher Erkenntnisgewinne zu vereinheitlichen, muss in einer Art Küchentischethnologie enden. Wer von Zusammenprall und Unverträglichkeit spricht, muss sich früher oder später mit dem Umstand abfinden, dass die Konfliktlinien nicht zwischen den Kulturblöcken, sondern innerhalb der Kulturkreise verlaufen.

    Die beiden Zitate sind dem einleitenden Text über "Kanak Attack", die "Rebellion der Minderheiten" entnommen. Ihm folgt im ersten, "Quartiere" überschriebenen Kapitel eine liebevoll-böse Hommage an seine Heimatstadt Kiel, wo Zaimoglu seit 18 Jahren zwischen Pferdemetzgern, Kaufhöllen, Blumenbindern und Mangelstuben lebt. Im weiteren wechseln sich kleine Beobachtungen aus dem Alltag und fiktive, satirische Interviews eines Reporters von "Galaxy" ab, was immer das auch bedeutet:

    "ch habe mit diesem Buch "Kopf und Kragen" eigentlich einen Gemischtwarenladen aufgemacht. Mir sagt es zu, gewissermaßen Menschen- und Szenenlandschaften darzustellen. Das ist so eine Art, das ist jedenfalls meine Absicht, Phänomenologie des Alltags. Zu diesem Alltag gehören Tendenzen, Trends, dazu gehören aber auch, wenn man diese "Kopf-und-Kragen-Interviews satirischer Natur anguckt, die Pappnasenparade, die Fratzenparade, mit denen man sich ja konfrontiert sieht. Es ging mir immer darum, natürlich, wenn ich Menschen portraitiere, auch ihre Verankerung im Milieu dazulegen und in wenigen kräftigen Strichen das zu machen, um gegenzusteuern, dass man diese Menschen in einer Kultur, in einer viel größeren, imaginierten, ja, in einer Landschaft verortet."

    In seinen fiktiven Interviews nimmt Zaimoglu sich Talkmaster und Kolumnisten aus Politik und Klatsch, Popliteraten, assimilierte Türken und Vertreter anderer Medien-Moden vor, diese "Helden der neuen Normalität", wie er sie ironisch nennt, die glauben, alle Welt müsse sich für ihre oft allzu nebensächlichen Themen und Ansichten interessieren, die ihre Äußerungen, so Zaimoglu, für "Mitschnitte der Weltgeschichte" halten. Er treibt das auf die Spitze, was er die "Banalisierung der Öffentlichkeit" nennt und nimmt den Interviewer, der seine gegenüber einerseits entlarvt, andererseits aber auch teil des Betriebs ist, gleichermaßen aufs Korn. Ob der Humor dieser Interviews jedermanns Sache ist, mag man mal dahingestellt sein lassen. Wirkliche Kleinode finden sich jedenfalls unter den kurzen Erzählungen und Texten, die als Kolumnen schon in verschiedenen Stadtmagazinen, im Spiegel oder in der Zeit erschienen sind.

    "Ich beobachte sehr gerne. Ich stieren nicht. Ich glotze nicht. Es ist die Technik des wohlwollenden Blicks. An einer Stelle beschreibe ich zum Beispiel die Blickduelle eines sagen wir mal ziemlich gut ausgewachsenen Unterschichtshelden mit arglosen Familienvätern. Ich beschreibe Kleinigkeiten, kleine Details, weil ich immer wieder feststellen muss, dass ich gegen zu schnell gefasste Meinungen oder Zusprechungen oder Markierungen allergisch bin. Und an diesen Kleinigkeiten erkenne ich vielleicht nicht etwas Typisches, aber ich entdecke etwas sehr Persönliches. Und das ist ein großer Unterschied."

    Was für Assoziationen wecken im Schaufenster eines Sanitätshauses ausgestellte Kompressionsstrümpfe bei Sami, dem "versiertesten Pferdeäpfelschnüffler unter den Diaspora-Kleinasiaten"? Was haben türkische Kitschfilme mit Dirndl-Kleidern und Latz-Lederhosen zu tun? Mit wie viel Einfallsreichtum und Schlitzohrigkeit sichern sich junge Kanakster ihren Lebensunterhalt und wie begegnet man ihnen auf der Bank, wenn der Dispo ausgeschöpft ist? Solchen und anderen Fragen geht Zaimoglu nach, kratzt an den oberflächlichen Erscheinungen und gönnt seinen Motiven immer einen zweiten, genaueren und liebevollen Blick. In diesem Sinne bezeichnet Zaimoglu sich in dem schon zitierten Eingangstext als Chronist seiner Zeit, als einer, der in seinen Geschichten festhält, was in der Geschichte eines Tages vielleicht doch einfach Vergangenheit ist.

    Von der Generation der ersten Stunde bis über die zweite, dritte zur vierten Generation strömen hunderte und aberhunderte Legendenrinnsale zum großen Erzählstrom zusammen. Er vereint Geschichten vom Kampf um Recht und Aufenthalt, von Stolz und Würde, von Esprit und Schickness, von orientalischer Opulenz und großstädtischer Eleganz. Es gilt als Chronist Zeugnis davon abzulegen, denn später wird es heißen: Die Geschichte der Zuwanderer, ihrer Kinder und Kindeskinder, ist die Geschichte von herkunftsfremden Deutschen, die trotz Kränkung und Demütigung, trotz Politikerpopulismus und Fremdenhass geblieben sind. Sie sind geblieben, weil es sich lohnte zu bleiben in diesem Land.