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Gesundheit für Musiker

Das Lampenfieber ist sicherlich das häufigste Leiden von Berufs- und Hobbymusikern. Dabei kann die Aufregung vor dem Auftritt auch positive Seiten haben: Man ist konzentrierter bei der Sache und das ausgeschüttete Adrenalin sorgt dafür, dass das Konzert fehlerfrei zu Ende geht. Anders ist es bei der Bühnenangst: Sie lähmt Körper und Geist und behindert den Musiker in seinem Spiel - dagegen sollte er etwas tun.

Von Thomas Wagner | 31.03.2009
    "Willkommen, bien viennue, to the international Congress of Music Physiologie and Musiker-Medizin."

    Ein gelungener, weil gesungener Konferenzauftakt: Professor Claudia Spahn und Professor Bernhard Richter, den beiden Tagungsleitern des Freiburger Institutes für Musikermedizin ist eines gemeinsam: Beide haben sowohl eine medizinische als auch eine musikwissenschaftliche Ausbildung absolviert. Und dennoch: Ein wenig Lampenfieber flackert vor so einem Auftritt immer noch auf.

    "Ein kleines bisschen Aufregung und Anspannung gehört vorher einfach dazu. Wir unterscheiden da ja auch das positive Lampenfieber von der Bühnenangst. Bühnenangst habe ich nie."

    Da kann sich Bernhard Richter glücklich schätzen. Denn die Zahl der Berufsmusiker, die an übersteigertem Lampenfieber, eben an Bühnenangst leiden, wächst stetig: Zunehmender Prüfungsdruck, der Kampf vieler Berufsmusiker um immer weniger Stellen sind da die ausschlaggebenden Faktoren.

    "Also es ist so, dass etwa ein Viertel bis ein Drittel der Musiker nach den epidemologischen Untersuchungen, die es gibt, an dieser leistungsmindernden Form des Lampenfiebers leiden. Das ist die Auftrittsangst in diesem Fall","

    zitiert Claudia Spahn vom Freiburger Institut für Musikermedizin aus den Statistiken. Das Problem dabei: Gegen Lampenfieber ist kein Kraut gewachsen und noch keine wirkungsvolle Pille gedreht.

    ""Mit Medikamenten machen wir eigentlich bei Musikern weniger gute Erfahrungen. Es gibt schon Musiker, die das in Eigenregie versuchen. Dazu gehören Betablocker oder Beruhigungsmittel. Sie haben leider oft nicht die Wirkung, die Künstler sich davon erwarten. Betablocker stellen oft schon die körperliche Seite ruhig, so wirken sie auch mit ihren Beta-Rezeptoren, die das Adrenalin blockieren. Aber sie sind psychisch sind total weiterhin aufgeregt. Und diese Spannungen sind weiterhin sehr, sehr unangenehm."

    Viel nachhaltigere Verbesserungen erzielten die Musiker-Mediziner bei der Therapie mit "Lampfenfieber-Patienten" im Rahmen eines ausgeklügelten Auftritts-Trainings. Je öfters Auftritte simuliert werden, desto geringer die Neigung zu krankhaftem Lampenfieber. Claudia Spahn:

    "Was wir auch sehr viel machen, ist Bühnenexpositionstraining, also auf die Bühne gehen, das Hereinkommen üben, filmen, sehen, wie bewege ich mich, wie komme ich an auf der Bühne. Und daraus sich selbst sehen, merken, dass die Aufregung von außen gar nicht so wahrnehmbar ist. Das ist auch etwas sehr Entlastendes, wenn Künstler das sehen. Und damit kann man dann erfolgreich weiter arbeiten."

    Ein Pianist im Übungsraum der Freiburger Musikschule: Wer aufmerksam auf seine Hände schaut, der entdeckt: Ein Finger sieht merkwürdig verkrampft aus.

    "Also Pianisten merken plötzlich in der rechten Hand, dass bestimmte Triller nicht mehr gut gehen, dass Läufe nicht mehr gut und gleichmäßig ablaufen. Und das geschieht ohne Schmerzen: Häufig ist es den Musikern nur durch die verschlechterte Gleichmäßigkeit bewusst. Und da schauen sie auf die Hände und sehen: Da zieht sich ein Finger unwillkürlich ein", "

    so Professor Eckart Altenmüller, Musikmediziner an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Distonie - so benennen die Fachleute dieses Krankheitsbild, das häufig bei Pianisten, aber beispielsweise auch bei Berufsmusikern mit Blasinstrumenten auftritt.

    ""Die Ursache ist eine Störung der feinmotorischen Repräsentation in verschiedenen Großhirnbereichen. Wir haben Repräsentationen für einzelne Finger oder beispielsweise für Ober- und Unterlippe. Normalerweise sind die schön säuberlich getrennt in etwas voneinander entfernten Hirnarealen. Und bei der Distonie kommt es eben zur Verschmelzung dieser feinmotorischen Repräsentationen unterschiedlicher Finger. Und wenn schon das Gehirn nicht mehr unterscheiden kann: Kommt jetzt etwas zum Mittelfinger oder zum Ringfinger? Dann ist es klar, dass es die Motorik von vornherein nicht richtig ansteuern kann."

    Nach den Erkenntnissen der Musiker-Mediziner sind mehrere Ursachen dafür ausschlaggebend: Die schnellen Bewegungen eines Musikers, aber auch die lang anhaltenden Übungsphasen mit immer wiederkehrenden Bewegungsabläufen. Hier haben sich mehrere Behandlungsmethoden in den vergangenen Jahren als Erfolg versprechend heraus kristallisiert. Zum einen wurden entsprechende Medikamente gegen Distonie bei Berufsmusikern entwickelt. Eckart Altenmüller:

    "Der Fall Leon Fleischer, der Pianist aus Amerika, hat es ja schön gezeigt, der nach vielen Jahren seiner Spielunfähigkeit jetzt wieder spielen kann."

    Daneben haben die Experten aber als alternative Behandlungsform auch ein so genanntes "Re-Training" entwickelt. Dabei werden die Verwischungen, die im Gehirn zur Distonie führen, durch bestimmte Übungen regelrecht repariert.

    "Also in Berlin wird das beispielsweise bei Pianisten durchgeführt: Wahrnehmungstraining - also zunächst einmal werden die einzelnen Finger, die die Kontrolle verloren haben - da lernt der Pianist zunächst einmal wieder, diese Finger auf der Tastatur überhaupt ohne Anstrengung und Krampf zu berühren. Ursprünglich löst ja bei den Betroffenen bereits die Berührung der Tastatur Krämpfe aus. Wenn er das gelernt hat, dann werden die einzelnen Finger ganz vorsichtig und leise angesteuert. Wenn er das gelernt hat, dann werden verschiedene Fingerkombinationen gemacht. Gleichzeitig wird versucht, dass man insgesamt eine Spannungswahrnehmung in der Muskulatur feststellt und dass ein ungewöhnliches Feedback erfolgt, zum Beispiel dass Kameras unter die Hand gelegt werden und das Bild dann zurückgemeldet wird an den Betroffenen. Er bekommt damit ein vollkommen neues Verhältnis und zu seinen Bewegungen.")

    Noch keine optimalen Lösungen bietet die Musikermedizin denjenigen an, die beispielsweise in einem professionellen Orchester mitwirken und unter der Dauerschallbelastung leiden. Hörschädigungen sind oftmals die Folge. Versuche mit schallschluckenden Stöpseln im Ohr brachten nicht den Durchbruch: Zum einen muss der Musiker stets auch den Rest des Orchesters noch hören können. Zum anderen tritt vor allem bei Blechbläsern der so genannte "Okklusionseffekt" auf. Professor Bernhard Richter vom Freiburger Institut für Musikermedizin:

    "Ein Okklusionseffekt besteht darin, dass, wenn der äußere Hörgang verschlossen wird durch diesen Gehörschutz, sich der Bläser innen drin ganz anders plötzlich hört, viel lauter letztendlich, als wenn das Ohr offen wäre. Dadurch entstehen massive Probleme: Er trifft die Intonation nicht, er hört sich nicht ganz genau."

    Deswegen erproben die Entwicklungsingenieure derzeit Schallschutz-Stöpsel für die Ohren von Berufsmusiker, die mit einem elektronischen System fallweise zugeschaltet werden können, beispielsweise dann, wenn der Blechbläser in seiner Partitur eine längere Pause hat. Bis solche Entwicklungen aber auf den Markt kommen, werden noch mindestens vier bis fünf Jahre vergehen, schätzen die Experten in Freiburg.