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Selbstbedienung für Parlamentarier?

Ist es Sozialneid und Abgeordnetenschelte oder der Einsatz für Gerechtigkeit und gegen Selbstbedienung in der Politik? Wie beim immer wiederkehrenden Streit um die Diäten, wie bei der Auseinandersetzung um die Alterssicherung der Parlamentarier, so stellt sich die Frage auch bei der dritten Säule der Abgeordnetenbezüge: Der so genannten Aufwandsentschädigung, pauschal, nachweislos und steuerfrei.

Von Gudula Geuther | 01.10.2008
    Morgen entscheidet der Bundesfinanzhof über ein emotionalisierbares Thema. Die Wogen können schnell hochgehen, wie kürzlich auf einer Diskussion ums Steuerrecht, die bis dahin sachlich verlaufen war und die dann eine Meldung aus dem Publikum auf die persönliche Ebene hob:

    "Sie haben mindestens 133.000 Abgeordnetenbezüge pro Jahr, wahrscheinlich wesentlich mehr noch, und davon ist ungefähr ein Drittel frei, nämlich 45.000. Wie kommen Sie dazu, eine so hohe, die höchste Pauschale in Deutschland für sich zu beanspruchen? Das ist ein Skandal!"

    So kann man nicht rechnen, erklärte ein hörbar verärgerter Michael Meister, CDU. Und so könne man auch an die Pauschale nicht herangehen:

    "Wir sind frei gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Und wir haben niemandem Rechenschaft zu legen, was wir tun mit unserem Mandat; - schon gar nicht der zweiten und dritten Gewalt. Es ist so: Wir sind die erste Gewalt. Und es kann nicht sein, dass ein Mitglied der Exekutive mir vorgibt, ob es richtig ist, dass ich als Abgeordneter im Sinne meiner Mandatswahrnehmung etwas tue oder nicht. Und wenn die Exekutive der Meinung ist, das sei falsch, sie dann entscheidet: Das kannst Du nicht absetzen. "

    Genau das aber ist die Frage: Wie frei ist der Abgeordnete, wenn es um seine Aufwendungen fürs Mandat geht? Haben es sich die Parlamentarier mit der Pauschale zu leicht gemacht, vielleicht sogar so leicht, dass das gegen die Verfassung verstößt?

    Ein Rest der Emotionen fand sich auch in der mündlichen Verhandlung in München vor drei Wochen wieder, in dem Verfahren, in dem der Bundesfinanzhof klärt, ob er die Frage den Kollegen am Bundesverfassungsgericht vorlegt.

    Ähnlichkeiten in der Argumentation sind kein Zufall, denn der Rufer aus dem Publikum war geladen: Michael Balke, selbst Finanzrichter, ist einer von drei Bürgern, die in der Sache geklagt haben. Ihn treibt, wie er in der Verhandlungspause sagte, der Wunsch nach Gerechtigkeit.

    "Ich habe jeden Tag auch mit meinen Kollegen zusammen über Fälle zu entscheiden, und es geht immer um Steuergerechtigkeit. Um die gleiche Belastung der Bevölkerung. Und wenn sich dann eine Personengruppe von sechshundert Leuten, die Abgeordneten, davon ausnehmen, ist das nicht in Ordnung. Vor allen Dingen deshalb nicht, weil sie ja nun für alle anderen die Regelungen, die steuerrechtlichen Regelungen machen, die ja sehr kompliziert sind. Aber diesen komplizierten Regelungen wollen sie sich selbst nicht unterwerfen. Und das wollen wir ändern."

    Tatsächlich ist die Regelung für Abgeordnete alles andere als kompliziert. Für das, was sie in Zusammenhang mit der Ausübung ihres Mandates bezahlen müssen, bekommen sie im Monat 3.782 Euro. Die steuerfreie Pauschale erleichtert ihnen zweierlei: Sie müssen nicht gegenüber der Bundestagsverwaltung abrechnen, und auch nicht gegenüber dem Finanzamt.

    Das hat seinen Grund, sagt der Staatsrechtler Christian Waldhoff, Gutachter im Auftrag des Bundestages in dem Verfahren. Das Parlament beruft sich auf das Bundesverfassungsgericht selbst, auf die grundlegende Entscheidung zu den Diäten aus dem Jahr 1975.

    "Das Gericht hat gesagt, man kann diese Pauschale einführen, sie muss nur realitätsgerecht sein. Sie darf jetzt nicht absurd hoch sein, sie darf kein verschleiertes Einkommen sein, sondern muss im Rahmen einer Pauschalierung irgendwie den tatsächlichen Aufwand abdecken. Und dann hat es verschiedene Kommissionen mit unabhängigen Persönlichkeiten - etwa Präsidenten oberster Bundesgerichte waren dort beteiligt - gegeben, die sozusagen pauschalierend geschätzt haben, wie hoch der Aufwand für einen durchschnittlichen Abgeordneten etwa ist. Und in diesem Rahmen hält sich die Pauschale bis heute."

    Auf genau diese Entscheidung des Verfassungsgerichts berufen sich freilich auch die Kläger. Realitätsgerecht und nicht absurd hoch, kein verschleiertes Einkommen? Michael Balke sieht das anders.

    "Weil man hier einfach Ausgaben unterstellt, die gar nicht da sind. Abgeordnete haben sehr, sehr viele sonstige Beträge, die sie erstattet bekommen: Mitarbeiterpauschale von 163.000 Euro etwa im Jahr. Sie bekommen die BahnCard im Werte von 5.900 Euro. Also: Einen Kostenapparat wie ein normaler Steuerpflichtiger haben die ja überhaupt nicht. Und dann zusätzlich noch eine Pauschale zu bekommen für nicht nachgewiesene Aufwendungen ist ein Verstoß gegen das Nettoprinzip. Es werden Ausgaben unterstellt, die niemals angefallen sein können."

    So allerdings ist es wohl nicht. Was Abgeordnete aufzählen, summiert sich tatsächlich zu stolzen Summen. Es geht ja um Mehraufwendungen, die gerade aus dem Mandat entstehen, sagt etwa der Kölner Martin Dörrmann, SPD.

    "Das heißt, man muss gucken: Welche Aufgaben hat ein Abgeordneter? Er muss im Wahlkreis präsent sein. Da unterhalte ich persönlich zum Beispiel drei Wahlkreisbüros mit entsprechenden Mietkosten. Er muss natürlich in Berlin präsent sein, deshalb muss man dort eine Zweitwohnung finanzieren. Man möchte als Abgeordneter die Öffentlichkeit informieren, deshalb mache ich Veranstaltungen, versende Briefe, kopiere, mache einige Publikationen. Und da kommt schon einiges zusammen. "

    Mehr kann er dann auch nicht absetzen, Werbungskosten, doppelte Haushaltsführung usw. sind in der Pauschale mit drin. Aber 3.782 Euro?

    "Ich weiß, dass das ein sehr hoher Betrag ist. Aber nach meinen Berechnungen, die ich immer Anfang der Periode mache - man muss das immer so ein bisschen grob rechnen - ist diese Pauschale angemessen. In manchen Monaten wird man sogar drüber liegen."

    So in etwa kommt das hin, sagt auch der Grüne Hans-Christian Ströbele, der - erster Kostenpunkt - in Berlin zwei Abgeordnetenbüros unterhält.

    "Zweitens habe ich mir angewöhnt im Laufe der Jahre, dass ich jedes Jahr, jedes zweite Jahr einen Rechenschaftsbericht an die Wählerinnen und Wähler verschicke. Das sind dann 100.000 Briefe, beim letzten Mal waren es über 60.000, die dann gedruckt werden und ausgetragen werden. Und da entstehen schon Kosten von - einmal waren das über 15.000 Euro, also bei der größeren Zahl und jetzt waren es an die 10.000 Euro."

    Der eine bewirtet eher mal ausländische Gäste, der andere trifft sich oft mit Interessenvertretern. Es gibt die Druckkosten für Flugblätter, Ausgaben für Fachliteratur, Fahrtkosten für die Mitarbeiter. Oder es fallen Spenden an oder Zuschüsse zu Projekten, die er oder sie unterstützen will. Hans-Christian Ströbele etwa nennt eine Veranstaltung, auf der er unter vielen anderen aufgetreten ist und die am Schluss im Minus stand, da fand er, er solle einspringen.

    Die Beispiele zeigen: Was da ganz genau noch Teil des Mandats ist und was allgemeines gesellschaftliches Engagement, ist nicht immer ganz leicht zu trennen. Vielleicht auch nicht, wo genau der Wahlkampf beginnt, und von dem ist klar: Er fällt nicht unter die Pauschale und wird auch sonst nicht vom Steuerzahler erstattet. Es drängt sich der Eindruck auf: Die Höhe der Pauschale ist irgendwie plausibel und irgendwie gegriffen. Martin Dörrmann formuliert es anders herum:

    "Die Bürgerinnen und Bürger mögen vielleicht den Eindruck haben, dass man als Abgeordneter an diese Pauschale so rangeht, nach dem Motto: Wie kann ich am Ende des Monats möglichst viel Geld noch behalten? Ich gehe anders rum: Ich sage: Wie viel Geld habe ich zur Verfügung, und was mache ich damit. Und dann setze ich meine Schwerpunkte. Natürlich könnte ich genauso gut wesentlich mehr Geld ausgeben, wenn ich es zur Verfügung hätte. Dann würde ich noch mehr Veranstaltungen machen oder würde flächendeckend eine Zeitung verteilen im Wahlkreis, das kann ich nicht. Also: Ich muss mit meinem Budget auskommen."

    Dass dem einen dies, dem anderen das als mandatsbedingte Aufwendung wichtig ist, hält Heinrich Kolb, für die FDP im Bundestag, dabei vom Grundgesetz für vorgegeben. Denn das sieht vor, dass jeder Abgeordnete selbst entscheidet, wie er sein Mandat wahrnimmt. Er ist frei und nur seinem Gewissen unterworfen.

    "Das ist genau der Punkt. Das müsste dann bei einer Abrechnung auch im Einzelfall, auch wenn es die Pauschale nicht gäbe, jeder Abgeordnete verantworten, was er abrechnet, was er nicht abrechnet. Und die Kontrolle wird ausgeübt durch die Öffentlichkeit, durch die Presse. Ich glaube von daher ist die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten, eines gewählten, eben keine gewöhnliche Erwerbstätigkeit. Was auch Auswirkungen dann bis hinein in die Frage der Aufwendungen haben kann. "

    Das ist das Argument von Michael Meister aus der Podiumsdiskussion, und es ist wohl die zentrale Begründung für die Pauschale: Der Abgeordnete kontrolliert die Verwaltung und nicht die Verwaltung den Abgeordneten. Ob die Freiheit des Abgeordneten so weit geht, ist aber umstritten. Graubereiche bei der Abrechnung gebe es immer, sagen die Kritiker. Jeder Steuerpflichtige kenne das: Dann müsse eben das Finanzamt entscheiden, was es noch anerkennt. So wie bei anderen Berufen auch, so auch beim Abgeordneten. Das Mandat also als Beruf wie andere auch? Der Bundestags-Gutachter Christian Waldhoff widerspricht:

    "Die Abgeordneten haben ein Amt, das einzigartig ist, das im Grundgesetz selbst ausgestaltet ist, für das es keine vergleichbaren Berufe normaler Art gibt."

    Nur: Was folgt daraus? Heinrich Lang ist einer der Staatsrechtler, die die Pauschale für verfassungswidrig halten. Die Freiheit des Abgeordneten gehe nicht so weit, dass er keiner Kontrolle unterliege, im Gegenteil.

    "Dieses Argument: Die Abgeordneten kontrollierten die Verwaltung und nicht die Verwaltung die Abgeordneten entstammt vielleicht dann doch einem frühliberalen Verständnis von Gewaltenteilung."

    Denn Einfluss auf den Umgang mit ihren Kosten hätten die Abgeordneten ja in jedem Fall:

    "Das Bundesverfassungsgericht hat das immer für geboten gehalten, dass die Abgeordneten über die Ausgestaltung der Diäten in eigener Sache entscheiden, durch Gesetz. Und insoweit ist ja die normative Vorsteuerung in den Händen der Abgeordneten selber. Also da würde ich jetzt kein verfassungsrechtliches Problem sehen."

    Heinrich Lang setzt die Schwerpunkte allerdings ganz anders als die Kläger. Ihn stört nicht, dass die Abgeordneten insgesamt zu viel bekämen. Von Selbstbedienungsmentalität zu sprechen, wie die Kläger es tun, hält er für falsch.

    "Es ist einfach eine Selbstbedienungskonstellation. Und die Abgeordneten vielfach möchten das gar nicht, wären diesen Fluch der Entscheidung in eigener Sache ganz gerne los."

    Genau das aber dürfen sie nicht. Wiederum ist es das Bundesverfassungsgericht, das verlangt: Die Parlamentarier müssen offen entscheiden und vor der Öffentlichkeit vertreten, was sie bekommen. Nur glaubt Heinrich Lang, dass sie dabei mit der Pauschale den falschen Weg gewählt hätten. Und dort trifft er sich zum Teil wieder mit den Klägern. Zum Beispiel mit einem nahe liegenden Argument: Wie kann es eine Pauschale für alle Abgeordneten geben, wo doch die Ausgaben offensichtlich völlig unterschiedlich sind. Bei denen etwa, die ihren Wahlkreis in Passau, Erfurt oder Darmstadt haben und den Berlinern. Wer für die Sitzungswochen nicht anreisen muss, spart weit mehr als Mietkosten, das zeigt die Rechnung Martin Dörrmanns:

    "Wenn ich jetzt alleine an meine Wohnung in Berlin denke, da kommen ja am Anfang immer auch Möbelkosten hinzu, weil man die Wohnung ja auch instand setzen muss. Ich hab doppelte Haushaltsführung. Das heißt ich muss meine Kleidung - das ist ja Berufskleidung - doppelt vorrätig haben, wenn ich's nicht jedes Mal mit im Flieger haben muss. So dass ich im Prinzip Anzüge in Köln und hier in Berlin habe und, und, und. Also es ist schon eine ganze Menge, die da zusammen kommt. "

    Das sind Kosten, die für Hans-Christian Stöbele, wie für alle Berliner und vielleicht auch einen Teil der brandenburgischen Abgeordneten nicht anfallen. Dafür aber habe er ein Direktmandat, sagt Ströbele. Da müsse er sich seinen Wählern mehr erklären, unter dem Strich gleiche sich das bei den meisten irgendwie aus, kann er sich vorstellen. Ganz glücklich ist er trotzdem nicht mit der Pauschale - so wie einige Abgeordnete.

    Darunter auch Carl-Ludwig Thiele, FDP:

    "Was mir am Verfahren nicht gefällt ist, dass die Abgeordneten hier den Eindruck erwecken, sie schaffen Sonderregeln für sich selbst. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir eine unabhängige Kommission bekommen, die entsprechende Vorschläge unterbreitet, um da eben auch solche Fragen aus dem Wege zu räumen."

    Während Hans-Christian Ströbele sich vorstellen kann, dass alle Steuerbürger mehr pauschal abrechnen können; das würde Bürokratie abbauen - ein auch in Zusammenhang mit der Abgeordnetenpauschale viel bemühtes Argument. Bei den Abgeordneten gehe das aber auch gezielter. Er stellt sich vor, dass man einen geringeren Betrag ansetzt und sagt:

    "Das darüber hinausgehende, das könnt ihr dann auch geltend machen, wenn Ihr's belegen könnt. Dann kann man auch eine gewisse Überprüfung oder Nochmal-Draufsicht auch der Bundestagsverwaltung einbauen."

    Das ist in etwa das, was die Kläger wollen. Und es ist auch das, was eine der Kommissionen vorgeschlagen hat, auf die sich der Bundestag gerade beruft. Die so genannte Kissel-Kommission, benannt nach dem damaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Otto Rudolf Kissel, hatte 1993 vorgeschlagen, etwa 500 Euro pauschal anzusetzen, mehr hätte des Nachweises bedurft, bis zu einem Höchstbetrag. Daraus wurde der Höchstbetrag - pauschal. Heraufgesetzt wird er entsprechend den Lebenshaltungskosten. Das mag unter dem Strich angemessen sein, sagt Heinrich Lang.

    "Was aber ein Problem ist, ist, dass das Bundesverfassungsgericht - wegen der Entscheidung in eigener Sache - Diätenentscheidungen einem Transparenzgebot unterwirft. Das heißt: Abgeordnete müssen selbst entscheiden, vor den Augen der Öffentlichkeit, wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, weil eben Vertrauen ohne Transparenz nicht möglich sei. Und wenn nun aber in der Aufwandsentschädigung verdeckte Gehaltszuflüsse erfolgen, weil eben kein Nachweis erforderlich ist, dann wird weniger die Höhe der Entschädigung insgesamt verfassungsrechtlich problematisch als vielmehr eben jener Transparenzgedanke."

    Darin liegt nicht die Unterstellung: Die Abgeordneten behalten das Geld für sich, sondern nur der Vorwurf der Undurchschaubarkeit, die abstrakte Möglichkeit, dass es so sein könnte. Das gleiche gilt für den Vorwurf einer verdeckten Parteienfinanzierung. Parlamentarier zahlen eine so genannte Mandatsträgerabgabe an ihre Partei. Wieder könnte man mit dem entsprechenden Misstrauen unterstellen: Vielleicht zum Teil auch aus der Pauschale. Bei einer Einzelabrechnung - mit oder ohne kleiner Grund-Pauschale - wäre das anders. Für möglich halten die auch Befürworter der jetzigen Lösung. Kein Wunder: Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben sich für solche Modelle entschieden. Der Staatsrechtler Christian Waldhoff:

    "Das Grundgesetz sieht nicht ein bestimmtes Modell vor, sondern der Gesetzgeber hat hier einen Gestaltungsspielraum. Davon ist auf Bundesebene im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen halt unterschiedlich Gebrauch gemacht worden. Ich halte beide Regelungen für verfassungsmäßig. Die Unabhängigkeit des Mandats wird vielleicht durch die Regelung, wie wir sie auf Bundesebene haben, noch etwas besser geschützt."

    Die Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen haben sich auch nicht etwa aus verfassungsrechtlichen Gründen für die Neuregelung entschieden, sondern aus politischen. Um den Ruch der angeblichen Selbstbedienung zu vermeiden. Es scheint zu funktionieren. Beschwerden gibt es derzeit nicht. Ob dabei allerdings weniger Kosten herauskommen oder nicht vielleicht sogar mehr, ist nicht bekannt. Eine Begrenzung nach oben gibt es nicht. Ein Mitarbeiter des Düsseldorfer Finanzministeriums sagt, man habe keinen Anlass, das zu überprüfen. Die Abgeordnete Christine Scheel etwa hat ihre Zweifel:

    "Ich weiß von vielen Kollegen, die sagen, dass ihnen für den Aufwand, den sie haben im wirklichen politischen Leben die Pauschale nicht ausreicht, sondern dass sie aus dem Geld, was sie zu versteuern haben, noch was drauflegen. Und unsere Diskussion war immer die: Ist es insgesamt teurer für den Staat, wenn die Abgeordneten Einzelfallabrechnung machen, oder ist es für den Staat günstiger?"

    Das aber sind die Niederungen der Praxis, in die sich der Bundesfinanzhof nicht begeben muss. Er hat nicht darüber zu befinden, ob die Pauschalierung günstiger ist oder ob die Einzelabrechnung sachgerechter wäre. Die Münchner Richter müssen nur entscheiden, ob sie so starke Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit haben, dass sie die Frage nach Karlsruhe schicken. Eine gewisse Bereitschaft dazu scheint es zu geben. Denn der Bundesfinanzhof hätte sich der Frage nicht unbedingt annehmen müssen. Die Vorinstanzen - alle drei Finanzgerichte, die über die Klagen zu entscheiden hatten - hatten die Revision nicht zugelassen, der Bundesfinanzhof entschied anders. Dahinter steht noch eine andere Frage, und auf die wird es zuerst ankommen. Nämlich die, ob ein Bürger hier überhaupt klagen kann. Die Ausgangssituation nämlich ist mindestens ungewöhnlich: Alle drei klagen nicht etwa gegen die Pauschale. Sondern sie verlangen die Steuererleichterung für sich selbst. Aus Gleichheitsgründen. Michael Balke:

    "Wir wollen genau so behandelt werden, wie die Abgeordneten. Jedenfalls so lange diese Regelung besteht. Und schließlich gehen wir davon aus, wenn wir Erfolg haben sollten, dass man dann natürlich überlegen kann für die Zukunft: Das kann ja nicht - wenn das dann jeder in Anspruch nimmt - kann ja nicht fortgeführt werden. Und dann kann man natürlich in der Zukunft die Regelung abschaffen, für die Abgeordneten und für alle anderen auch."

    Dass das so nicht geht, dürfte auch den Klägern klar sein. Christian Waldhoff, der vor Gericht für den Bundestag sprach, warnt davor, dass ein solches Beispiel Schule macht:

    "Es würde bedeuten, dass jeder Steuerpflichtige jede wirkliche oder vermeintliche Steuervergünstigung eines anderen angreifen könnte. Das wäre allerdings ein Problem eventuell - da müsste man mal schauen, was vom Steuerrecht noch übrig bliebe. Also das deutsche Rechtschutzsystem sieht nur die Rüge der Verletzung in eigenen Rechten vor. Es gibt aber keine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle, dass man jetzt irgendeinen Missstand in diesem Staat auf den eigenen Fall beziehen kann."

    Vereinfacht gesagt: Was die Abgeordneten bekommen, ist nicht Sache der Kläger. Zumindest nicht in ihrer eigenen Steuererklärung und dem Prozess darüber. Das Problem sieht auch Heinrich Lang. Nur sagt er: Auf diese Weise gibt es gerade im Recht der Abgeordneten immer wieder Bürger, die klagen wollen, aber nicht dürfen. Und auf der anderen Seite diejenigen, die es dürften, die Abgeordneten selbst. Was diese aber - gegen die eigenen Interessen - nicht tun werden.

    "Deshalb muss man wohl überlegen, ob nicht in einer Konstellation, in der Abgeordnete selbst über die Ausgestaltung ihrer Entschädigungsleistungen entscheiden, man von diesem Grundsatz des Ausschlusses der Popularklage etwas abrücken muss, eben wegen dieser Entscheidung in eigener Sache. Und dann doch eine erweiterte gerichtliche Prüfung zulässt."

    Das wäre eher kühn. Für völlig ausgeschlossen können es aber die Richter in München nicht halten, sonst gäbe es das Verfahren nicht. Seit der Zulassung der Revision allerdings hat sich die Zusammensetzung des Senats verändert. Und selbst wenn die Frage nach Karlsruhe käme, wäre noch nicht heraus, ob sie nicht dort an eben dieser Frage - können die Kläger hier überhaupt klagen? - scheitern würde.

    Die Frage der Verfassungsmäßigkeit stünde dann immer noch im Raum. Michael Balke hat schon angekündigt, falls er jetzt unterliegt, Verfassungsbeschwerde einzureichen. Mit ähnlichen Problemen. Trotz der Zweifel mancher Abgeordneter: Aussichtsreiche parlamentarische Initiativen gibt es derzeit nicht. Manchen Volksvertretern wäre es aber nur recht, wenn das Verfassungsgericht entschiede. - Und sei es auch nur, damit die Frage endlich geklärt ist - so oder so.