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Kosovo und Kriegsverbrecher

Die serbischen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadzic sind weiter auf freiem Fuß. Der Streit um ihre Auslieferung hat politische Hintergründe. Das Unabhängigkeitsstreben des Kosovos indes lässt die EU über ihre harte Haltung gegenüber Belgrad in der Frage der Kriegsverbrecher debattieren. Doris Simon berichtet.

10.01.2008
    Es war die Art von Überraschung, die in der Europäischen Union überhaupt nicht geschätzt wird: Slowenien werde dafür sorgen, dass bis zum Ende dieses Monats ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien unterzeichnet wird, erklärte der slowenische Außenminister Rupel zum Auftakt der slowenischen Ratspräsidentschaft. Nicht nur die Journalisten waren erstaunt. Schließlich liegt die Unterzeichnung liegt seit längerem auf Eis, weil die Serben bislang keinerlei Anstrengungen unternehmen, um den gesuchten Kriegsverbrecher Radko Mladic festzusetzen und ans Jugoslawien-Tribunal nach Den Haag auzuliefern. Doch kurz darauf ruderte der slowenische Außenminister wieder zurück. Nun soll eine Arbeitsgruppe aus EU-Präsidentschaft, Kommission und Europäischem Rat den Annäherungsprozess Serbiens an die EU überwachen:

    "Diese Serbien-Arbeitsgruppe soll sicherstellen, dass Serbien schneller Fortschritte macht auf dem Weg in die EU. Wir verstehen darunter mehr Zusammenarbeit mit dem Jugoslawientribunal in Den Haag und alle Vorbereitungen, damit Serbien das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen unterschreiben kann."

    Vor allem die Niederländer sind strikt gegen die Unterzeichnung dieses Abkommens, und auch die Belgier zögern. Sie glauben nicht, dass die Regierung in Belgrad wirklich alles unternimmt, um Mladic, einen der schlimmsten Kriegsverbrecher der Balkankriege, zu finden. Auch in den meisten anderen Mitgliedsländern ist man nicht naiv: Wenn Premier Kostunica Armee und Geheimdienst beauftrage, Mladic festzunehmen, dann werde das auch geschehen, heißt es in Brüssel. Doch die übrigen 25 EU-Mitglieder wollen Serbien trotzdem schnell die Tür in die EU öffnen. Schon am 28. Januar beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel sollte das geschehen, unterstützten die Luxemburger heute laut die Forderung der Slowenen. Sie fürchten sonst angesichts der bevorstehenden Unabhängigkeit des Kosovo eine Radikalisierung in Serbien.

    Der niederländische Grünen-Abgeordnete Joost Lagendijk ist Kosovoberichterstatter im Europäischen Parlament. Bis vor einem Monat noch war er gegen die Unterzeichnung mit Serbien. Nun hat er seine Meinung geändert:

    "Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo wir uns zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden müssen: Entweder ist man gegen das Assoziierungsabkommen mit Serbien. Dann nimmt man in Kauf, dass in Belgrad möglicherweise bei den Wahlen ein Nationalist an die Macht kommt und Mladic auf jeden Fall nicht ausgeliefert wird - und sich die Beziehungen der EU zu Serbien sehr verschlechtern. Oder man sagt: In dieser Situation ziehen wir es vor, das Assoziierungsabkommen jetzt zu unterzeichnen und erst später auf der Erfüllung aller Bedingungen zu bestehen."

    Der Fall Kroatien beweist, dass auch später Druck erfolgreich ist: Das Assoziierungsabkommen unterzeichnete die EU noch mit Zagreb, aber in den Beitrittsverhandlungen ging es erst weiter, nachdem der gesuchte kroatische General Gotovina ans Jugoslawien-Tribunal nach Den Haag überstellt war. Doch der niederländische Europaparlamentarier Lagendijk zweifelt an der Bereitschaft seiner Regierung, sich auf diesen Ausweg einzulassen: Zu schwer wiege in den Niederlanden die Erinnerung an das Massaker von Srebrenica 1995. Dort waren niederländische Blauhelme nicht in der Lage gewesen, die Bevölkerung vor Mladic und seinen Männern zu schützen.

    Die balkanerfahrene Europaparlamentarierin Doris Pack von der CDU hofft dagegen auf ein Einlenken der Niederländer und der Belgier. Bauchschmerzen hätten alle, solange Mladic frei herumlaufe. Aber die Europäer müssten vor allem an die Menschen in Serbien denken.

    "Wir haben ja einen Premierminister in Serbien, der ja jetzt schon sagt, was brauchen wir die EU, wenn die sich im Kosovo so verhält? Dann wollen wir gar nicht in die Europäische Union. Das kann er zwar sagen, aber das ist unverantwortlich aus dem Munde eines Premierministers, denn es ist die Zukunft dieser jungen Menschen, die dort leben, die er damit quasi aufs Spiel setzt. Und deshalb müssen wir alles tun von der Europäischen Union aus, die anderen demokratischen Politiker zu bestärken, auf dem Weg in die europäische Union weiterzugehen."

    Der Zeitrahmen dafür ist eng: Am 20. Januar trifft sich die Serbien-Arbeitsgruppe der EU zum ersten Mal, doch schon Anfang Februar findet in Serbien der entscheidende zweite Wahlgang der Präsidentschaftswahlen statt. Und spätestens dann wird sich das Kosovo für unabhängig erklären.