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Die Folgen des VW-Skandals in Emden
"Es wird zu erheblichen Einschnitten kommen"

In Emden hingen 75 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen von der Autoindustrie ab, sagte Stadtkämmerer Horst Jahnke im DLF. Nach dem VW-Abgas-Skandal rechne er nicht mehr damit, dass von VW in diesem Jahr noch Steuern kämen. Einschnitte seien deshalb unvermeidlich. Aber das wäre noch nicht einmal das Allerschlimmste.

Horst Jahnke im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 07.10.2015
    Neufahrzeuge von Audi werden auf dem VW-Autoterminal in Emden auf einen Autotransporter verladen.
    Wie geht es weiter? Fahrzeuge werden auf dem VW-Autoterminal in Emden auf einen Autotransporter verladen. (picture alliance / dpa - Ingo Wagner)
    Jessica Sturmberg: Noch ist völlig unklar, wie hoch die Zahlungen sind, die auf den VW-Konzern zukommen. Kunden und Aktionäre wollen Entschädigung, Staaten kündigen Strafen an und fordern Steuernachzahlungen. Also eines ist klar: Die Summe dürfte gewaltig sein. Das trifft nicht nur den Konzern selbst und die Mitarbeiter, sondern auch Zulieferer, gesponserte Vereine und die VW-Städte. Wolfsburg hatte sofort reagiert und direkt eine Haushaltssperre verhängt. Auch Braunschweig hat das getan. In diesen beiden Städten wird vorerst nicht mehr eingestellt, geplante Projekte sind auf Eis gelegt. Von einem auf den anderen Tag ist die Haushaltslage eine ganz andere. Auch die Stadt Emden hat ein VW-Stammwerk. Dort wird der Passat gebaut. Und nicht nur das: Von hieraus werden viele Fahrzeuge in die Welt verschifft. Wie steht es jetzt um die Seelenlage der Emdener und wie trifft sie das? Das habe ich den Stadtkämmerer Horst Jahnke von der SPD in seiner Mittagspause gefragt.
    Horst Jahnke: Ja, auch uns trifft das natürlich hart, was wir rund um Volkswagen an Nachrichten bekommen, weil wir, wie Sie schon richtig gesagt haben, ja nicht nur ein Stammwerk in Emden haben, einen entsprechenden Standort mit 9.500 Mitarbeitern, sondern auch eine erhebliche Verladung von Fahrzeugen über dem Emdener Hafen, im letzten Jahr über 1,3 Millionen Fahrzeuge. Wir haben einen großen Zulieferpark, den wir selbst über eine städtische Tochter betreiben, die "Zukunft Emden". Insofern sind wir auch sehr maßgeblich von den Dingen bei Volkswagen betroffen, auch natürlich was unsere Steuereinnahmen angeht.
    In diesem Jahr wohl keine Steuern von VW mehr
    Sturmberg: Wie wirkt sich das denn bei Ihnen jetzt konkret aus? Mit wie viel weniger rechnen Sie?
    Jahnke: Das können wir noch nicht genau sagen. Wir wollen zunächst mal die etwas konkreteren Daten in den nächsten Wochen noch abwarten. Wir sind da auch im Austausch mit unserem Hauptsteuerzahler. Wie man sich vorstellen kann ist das das Werk, das Volkswagen-Werk in Emden. Wir sind dort im Austausch und wenn wir konkretere Daten haben, wollen wir in die Haushaltsberatung einsteigen. Wir haben insofern gemeinschaftlich mit dem Rat reagiert, dass wir gesagt haben, wir werden nicht jetzt wie vorgesehen am 4. November den Haushaltsentwurf für die Jahre '16 bis '19 einbringen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt auf der Basis konkreterer Daten.
    Sturmberg: War denn eine Haushaltssperre bei Ihnen auch im Gespräch?
    Jahnke: Eine Haushaltssperre jetzt für '15 war bei uns insofern noch kein Thema, weil wir in '15 sehr vorsichtig bilanziert haben. Wir sind sehr vorsichtig mit den Zahlungen umgegangen. Insofern mussten wir noch keine ad hoc beziehungsweise Akutmaßnahme verhängen. Aber das Jahr '15 ist fast herum und spätestens am 1. 1. '16 wird der Prozess beginnen müssen, wo wir nachhaltig über Sparmaßnahmen nachdenken müssen, gemeinschaftlich mit dem Rat. Also, es wird zu erheblichen Einschnitten kommen, da braucht man kein Prophet sein, weil in diesem Jahr rechne ich eigentlich kaum damit, dass in irgendeiner Art und Weise noch Steuerzahlungen seitens Volkswagen zu erwarten sind.
    Sturmberg: Wie war denn bisher die Finanzlage bei Ihnen? Was konnten Sie sich leisten, was Sie sich demnächst nicht mehr leisten können?
    Rücklagen könnten schnell aufgebraucht sein
    Jahnke: Ich sage mal so: Wir haben bisher in den letzten Jahren erheblich profitiert von Gewerbesteuereinnahmen. Wir hatten zwei wirklich außerordentlich herausragend gute Jahre, wo wir über 70 Millionen Gewerbesteuereinnahmen hatten. Das waren außergewöhnlich gute Werte in den Jahren '12 und auch im letzten Jahr in 2014. Das haben wir aber, weil wir vorsichtig waren, ein Stückchen auch auf die hohe Kante gepackt. Die Stadt Emden ist in der glücklichen Situation, noch über Rücklagen in Höhe von 30 Millionen Euro im Ergebnishaushalt zu verfügen. Aber wenn wir über die Größenordnung sprechen und ich gerade gesagt habe, dass wir zu 75 Prozent in unseren Gewerbesteuereinnahmen von der Automobilindustrie abhängig sind, also nicht nur vom Werk selbst, sondern alles, was damit verbunden ist, Verladung über dem Emdener Hafen, Hafenwirtschaft, Zulieferpark, dann kann man sich vorstellen, wie schnell auch solche Rücklagen aufgebraucht sind. Also wir werden unseren gesamten Haushalt uns anschauen müssen, die freiwilligen Ausgaben natürlich sowieso, aber auch in den Pflichtausgaben, was möglicherweise Standards angeht. Und dazu gehört auch, dass wir unser Investitionsprogramm - da gehen wir jetzt von aus - erheblich zusammenstreichen müssen. Da geht es um die Sanierung von Straßen, Erneuerung von Straßen, Erneuerung von Brücken, Erneuerung von Gebäuden. Diese ganzen Maßnahmen werden wir erheblich zurückschrauben müssen im Kontext zu dem, was wir bisher geplant haben.
    Sturmberg: Wie werden das die Emdener zu spüren bekommen? Geringere Öffnungszeiten von Einrichtungen, oder was steht da auf dem Spiel?
    Jahnke: Das ist durchaus denkbar. Das ist durchaus denkbar, dass es zur Verringerung von Öffnungszeiten kommt. Aber der Bürger wird es auch dadurch merken, dass manche Straßenbaumaßnahme, wo die Erneuerung für die nächsten Jahre geplant war, zunächst mal ausgesetzt beziehungsweise verschoben werden muss. Davon ist auszugehen.
    Sturmberg: Das Ganze kam ja für die meisten wie aus heiterem Himmel. Von der einen auf die andere Minute sieht Ihre Finanzlage völlig anders aus, wie Sie uns ja gerade auch dargestellt haben. Sind Sie sauer auf das VW-Management?
    Arbeitsplatzverluste wären das Allerschlimmste
    Jahnke: Ja, auf das VW-Management sicherlich, auf diejenigen, die das zu verantworten haben. Volkswagen ist ja dabei, das umfassend aufzuklären. Das trifft uns als Stadt ganz hart und die anderen VW-Städte natürlich auch. Aber ich denke dabei auch an die ganzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wo ja auch noch nicht klar ist. Glücklicherweise gibt es jetzt ja Aussagen, dass dort im Moment noch nichts zu befürchten ist, aber welche weiteren Ausmaße das in den nächsten ein, zwei Jahren haben wird, das kann ja auch noch keiner richtig absehen. Insofern ist es schon wichtig, das aufzuklären und auch diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die das zu verantworten haben, denn das war ja eine gezielte Manipulation.
    Sturmberg: Wie sehen das denn Ihre Bürger?
    Jahnke: Ich denke mal genauso. Wenn man so auf der Straße mit den Leuten spricht, die sehen das eigentlich alle so. Es ist schlimm, dass einige wenige hier gezielt manipuliert haben und damit eigentlich einen hervorragend aufgestellten Konzern, der ja auch ein hervorragendes Produkt hat - in Emden wird der Passat gebaut, das neueste Passat-Modell; das ist ein hervorragendes Auto, ein hervorragendes Produkt und ein sehr gut aufgestellter Konzern. Dass einige wenige mit einer solchen Manipulation den ganzen Konzern ins Wanken bringen, da kann man eigentlich nur noch mit dem Kopf schütteln und sagen, zieht die schnell zur Verantwortung und dann muss man schnell Ruhe in den Laden bringen, dass nicht auch noch Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Das wäre ja das Allerschlimmste.
    Sturmberg: Das war Horst Jahnke, Stadtkämmerer von Emden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.