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Weltklimagipfel
"Eigentlich dürften es nicht mehr als 1,5 Grad sein"

Nur zwei Grad mehr Erderwärmung als vor Beginn der industriellen Revolution - das ist das Ziel der Pariser Klimakonferenz. Doch nicht einmal das würde reichen, sagt der Kieler Klimaforscher Mojib Latif im DLF. Denn diese Begrenzung wird viele Klimakatastrophen nicht verhindern. Trotzdem setzt Latif große Hoffnungen in die Konferenz.

Mojib Latif im Gespräch mit Jochen Spengler | 01.12.2015
    Mojib Latif, deutscher Meteorologe, Klimaforscher, Hochschullehrer und Autor.
    Mojib Latif (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Auch zwei Grad seien schon sehr viel, sagte der Klimaforscher des Kieler Leibnitz-Instituts für Meereswissenschaften. Eine solche Begrenzung würde nicht verhindern, dass viele Inselstaaten im Meer versänken und die Korallenriffe stürben. Eigentlich dürfte die Erderwärmung nicht mehr als 1,5 Grad betragen - und selbst dann sei keineswegs garantiert, dass etwa die Eisdecke Grönlands nicht abschmelze, meinte Latif.
    Nach Ansicht des Wissenschaftlers kann von der Pariser Klimakonferenz dennoch ein wichtiges Zeichen ausgehen: Wenn sich alle Staaten zu Reduktionszielen verpflichteten, wäre einiges erreicht. Allerdings müssten die Ziele dann in der kommenden Zeit deutlich verschärft werden. Schließlich gehe es nicht nur ums Klima. Ein ungebremster Klimawandel hätte auch eine weltweite wirtschaftliche Rezession und Flüchtlingsströme ohnegleichen zur Folge.
    "China und USA tricksen"
    Latif warf China und den USA als weltweit größten Luftverschmutzern vor, bei ihren Klimaschutzzielen zu tricksen. Beide berechneten ihre Reduzierung auf den Stand gegenüber 2005. Beide Staaten hätten ihre Emissionen aber zwischen 1990 und 2005 massiv erhöht. Da seien die Ziele der Deutschen und der Europäer deutlich couragierter, weil sie sich mit ihren Reduktionszzielen auf den Stand von 1990 bezögen.
    Deutschland müsse hier ein Vorbild sein, unterstrich Latif. Wenn es die Bundesrepublik tatsächlich schaffe, mit einer kompletten Dekarbonisierung ihren CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu senken, dann hätte dies eine enorme internationale Signalwirkung. Dann würde man im Ausland sehen, dass eine saubere Umwelt bei einer gleichzeitig florierenden Wirtschaft möglich sei.
    "Den Klimawandel verneinen inzwischen nur noch Lobbyisten"
    Der Forscher begrüßte, dass es inzwischen auf Seiten der politisch Verantwortlichen niemanden mehr gebe, der die Ergebnisse der Klimawissenschaftler in Frage stelle. Dies sei ein Hoffnungszeichen. Stimmen aus dem anglo-amerikanischen Raum, die die Erderwärmung immer noch bezweifelten, könne man nicht ernst nehmen, betonte Latif. Denn diese stammten nicht von Wissenschaftlern, sondern von Lobbyisten, die von der Industrie bezahlt würden.


    Das Interview in voller Länge:
    Jochen Spengler: In einem NDR-Studio in Hamburg begrüße ich Mojib Latif, Klimaforscher und Meteorologe. Guten Abend, Herr Professor Latif.
    Mojib Latif: Guten Abend.
    Spengler: Ehe wir über Paris sprechen, ganz grundsätzlich: Ist die globale Erderwärmung, ist der Klimawandel wirklich eindeutig erwiesen? 2015 soll das wärmste Jahr gewesen sein. Sie selbst aber haben ja vor sechs Jahren einmal von einer Pause der Erderwärmung gesprochen.
    Latif: Ja. Wenn man sich die Entwicklung seit Beginn der Industrialisierung anguckt, sagen wir mal so seit 1850, zeigt der Temperaturtrend klar nach oben. Natürlich gibt es Schwankungen, die überlagert sind. Das sind die natürlichen Klimaschwankungen. Aber wenn man mehrere Jahrzehnte betrachtet, kann man einfach den Anstieg der Erdtemperatur nicht missen. 2014 war ein Rekordjahr, 2015 wird wieder ein Rekordjahr werden.
    Spengler: Die Pause der Erderwärmung ist vorbei?
    Latif: Die Pause der Erderwärmung ist vorbei. Ich habe sie ja selbst vorhergesagt. Aber ich hatte eben auch gesagt, Mitte des Jahrzehnts wird es dann wieder umso schneller weitergehen, und genauso ist es auch gekommen.
    Spengler: Und dennoch gibt es vor allem im angloamerikanischen Raum viele Klimaskeptiker, Wissenschaftler, Politiker, die entweder die globale Erwärmung an sich anzweifeln, oder die bestreiten, dass der Klimawandel Folge menschlichen Handelns ist und vom Menschen beeinflusst werden kann. Wie ernst nehmen Sie diese Argumente?
    Latif: Diese Argumente kann man nicht ernst nehmen, weil das sind gar keine Wissenschaftler. Meine Kollegen in den USA - und ich bin ja oft in den USA -, die sagen genau das gleiche, was wir hier in Europa und in Deutschland sagen. Das sind nicht meine Kollegen, sondern das sind Lobbyisten meistens, die diese Dinge in die Welt setzen, und das einzige Ziel, das sie haben - und damit haben sie gerade in Amerika auch viel Erfolg -, ist Zweifel sähen, denn am Ende des Tages können die Menschen ja selbst nicht beurteilen, wer hat nun eigentlich Recht. Man hört das eine, man hört das andere. Aber wenn man diese kritischen Stimmen hört, dann muss man sich einfach mal die Mühe machen zu hinterfragen, wer sagt denn das eigentlich, und oftmals sind das dann Leute, die von der Energiewirtschaft gesponsert werden.
    "Zwei Grad ist schon sehr, sehr viel. Das darf man nicht vergessen"
    Spengler: Lobbyisten, die die Kohle, die Shell-Gas etc. befürworten?
    Latif: Genau. So ist es. Und oftmals sind es sogar Leute, die schon vorher Kampagnen gestartet haben, zum Beispiel eine Kampagne, dass Rauchen gar nicht schädlich ist, und die gleichen Leute haben sich dann andere Themen gesucht, unter anderem auch den Klimawandel.
    Spengler: Der Wissenschaftler-Mainstream sagt nun, die schlimmen Folgen der Erderwärmung lassen sich für Mensch und Natur noch einigermaßen beherrschen, wenn man den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad begrenzen würde im Vergleich vor Beginn des Industriezeitalters. Wie zwingend sind diese zwei Grad?
    Latif: Ja, die sind eigentlich nicht so zwingend. Zwei Grad ist schon sehr, sehr viel. Das darf man nicht vergessen. Denn nach allem, was wir wissen, würde das vermutlich bedeuten, dass viele Inselstaaten tatsächlich überflutet werden würden. Es würde auch bedeuten, dass viele tropische Korallen sterben würden, und insofern sind zwei Grad wirklich schon eine enorme Erwärmung, die auch schon unkalkulierbare Risiken beherbergen würde. Deswegen sind wir eigentlich der Meinung, es dürften nicht mehr als 1,5 Grad sein.
    Spengler: Und davon haben wir 1,2 Grad schon erreicht?
    Latif: Davon haben wir inzwischen ein Grad, ein knappes Grad erreicht, und das ist auch genau der Grund, warum wir eigentlich beim Klimaschutz keine Zeit mehr zu verlieren haben.
    Spengler: Und 1,5 Grad bedeutet dann, garantiert die Wissenschaft, dass die Gletscher nicht mehr schmelzen und die Meeresspiegel nicht steigen?
    Latif: Nein. Das ist ja das große Problem. Wissen Sie, das Erdsystem ist so kompliziert, das durchschauen auch Wissenschaftler nicht in allen Details. Deswegen sollte man mit dem Planeten Erde nicht so herumexperimentieren. Es kann sein, dass selbst bei 1,5 Grad das Abschmelzen Grönlands zum Beispiel gar nicht mehr zu verhindern ist. Das würde einem weltweiten Meeresspiegelanstieg von sieben Metern entsprechen. Deswegen, weil auch eine gewisse Unsicherheit da ist, sollten wir eigentlich immer auf Nummer sicher gehen, was wir übrigens in unserem persönlichen Leben immer tun.
    Spengler: Das zentrale Mittel zur Temperaturbegrenzung 1,5 Grad, sagen wir jetzt mal, das wäre die Verringerung der Treibhausgase, also Kohlendioxid etc. Die Emission, der Ausstoß müsste bis 2050 um mindestens 50 Prozent sinken, in den Industrieländern sogar um bis zu 95 Prozent. Ist das realistischerweise überhaupt noch zu schaffen?
    Latif: Ja natürlich ist das zu schaffen. Deutschland versucht es ja zumindest, hier Vorbild zu sein. Wir werden hoffentlich, so zumindest die Bundesregierung, unseren Ausstoß gegenüber 1990 um 40 Prozent senken bis 2020, und insofern ist es dann nur konsequent, wenn wir dann tatsächlich auch schon fast die sogenannte berühmte Dekarbonisierung hinbekommen haben, das heißt kein CO2 mehr ausstoßen gegen Mitte des Jahrhunderts. Und wenn wir es schaffen, ich glaube, dann hat das wirklich eine enorme Signalwirkung in die Welt hinaus, und dann, bin ich mir sicher, werden andere Länder folgen.
    Spengler: Aber was bringt es eigentlich, wenn wir es schaffen oder Europa es schafft, wenn die besonders großen Umweltsünder wie China und Indien nicht mit im Boot sitzen?
    Latif: Na ja, wir müssen zeigen, dass wir trotzdem eine florierende Wirtschaft haben. Wir müssen zeigen, dass bei uns die Jobs nicht verloren gehen. Und wir müssen letzten Endes zeigen, dass saubere Umwelt möglich ist und Wirtschaftswachstum zugleich. Und wenn wir das zeigen, dann wird das natürlich Schule machen, denn wer möchte denn schon freiwillig die Luft verpesten, wenn es auch anders geht.
    Spengler: Nun hat China heute in Paris angekündigt, es wolle seine CO2-Emissionen bis 2030 um bis zu 65 Prozent reduzieren, allerdings im Vergleich zu 2005. Ist das für Sie ein hoffnungsvolles Zeichen?
    Latif: Na ja, das einzige Hoffnungszeichen ist, dass es eigentlich niemand mehr gibt, der die Klimawissenschaftler irgendwie kritisch hinterfragt, sondern das, was der Weltklimarat auf den Tisch legt, das ist sozusagen heilig. Jeder weiß, worum es geht. Ich finde, das ist ein Fortschritt. Aber jetzt darf es keine Tricksereien mehr geben. Da wird sehr viel getrickst mit dem Bezugsjahr 2005 oder 1990. Auch die Amerikaner machen das. Damit muss jetzt Schluss sein. Und ich halte es eigentlich wie jeder normale Mensch. Ich gucke mir die Zahlen an und danach bewerte ich dann das, was tatsächlich passiert ist.
    Spengler: Aber Sie können es besser bewerten als ich. Ist das ein Trick, wenn China sagt, 2030 65 Prozent im Vergleich zu 2005, oder ist das kein Trick?
    Latif: Na ja, es ist natürlich ein Trick. Aber wie gesagt: Die Amerikaner machen den gleichen Trick. Die haben nämlich gegenüber 1990 bis 2005 massiv erhöht und dann wollen sie von diesem hohen Ausstoß senken. Wir Deutschen und wir Europäer, wir sagen, wir gucken relativ zu 1990 und senken gegenüber dem Ausstoß von 1990, und insofern ist das durchaus couragierter, was wir anbieten, als das, was zum Beispiel die Amerikaner oder die Chinesen anbieten.
    "Der weltweite Ausstoß von CO2 ist um 60 Prozent gestiegen"
    Spengler: Wichtig ist ja nun, dass möglichst viele dabei sind. Würden Sie sagen, dass der Einstieg in eine verbindliche Absprache zur Reduktion für alle möglicherweise wichtiger ist als ein strenges Ziel von 1,5 oder zwei Grad, an dem sich dann nur wenige beteiligen?
    Latif: Ja. Ich denke auch, man muss vermutlich langsam anfangen. Wenn sich alle zur Reduzierung verpflichten, dann ist das schon mal ein Fortschritt. Aber dann muss man wirklich Gas geben in den Jahren danach, denn wir dürfen nicht vergessen: Wir sprechen jetzt über die 21. Weltklimakonferenz und bis jetzt ist so gut wie nichts passiert. Ganz im Gegenteil: Der weltweite Ausstoß von CO2 ist um 60 Prozent gestiegen. Anspruch und Wirklichkeit könnten hier nicht weiter auseinanderliegen. Und gut, ja, ich bin bereit, das hinzunehmen. Aber wenn dann nicht in den Jahren danach wirklich diese Ziele deutlich verschärft werden, dann haben wir letzten Endes nichts gewonnen.
    Spengler: Wenn der Gastgeber Francois Hollande sagt, in Paris stehe der Frieden, die Zukunft des Planeten, ja des Lebens auf dem Spiel, dann hat er nicht übertrieben?
    Latif: Er hat nicht übertrieben, denn wir dürfen nicht vergessen: Es geht ja nicht "nur" um das Klima, sondern es geht ja um viel mehr. Denn ein ungebremster Klimawandel wird die Weltökonomie, das heißt die Weltwirtschaft, nachteilig betreffen. Es gibt ernst zu nehmende Studien, die zeigen, dass man in Folge eines wirklich starken Klimawandels eine weltweite Rezession zu erwarten hätte. Und das dürfen wir auch nicht vergessen: Die Sicherheitsarchitektur auf unserem Planeten würde komplett umgedreht werden, denn wenn wirklich in vielen Gegenden der Welt die Lebensbedingungen sich dramatisch verschlechtern, wenn es Flüchtlingsströme ohne gleichen gibt, dann wird das natürlich auch die Sicherheitslage auf der Erde beeinflussen.
    Spengler: Wird Paris ein Erfolg oder ein Misserfolg?
    Latif: Na ja, ich bin Optimist. Deswegen sage ich erst mal, er wird ein Erfolg. Zumindest hoffe ich, dass zumindest retrospektiv in zehn oder 20 Jahren wir sagen können, damals in Paris, damals haben wir die Wende eingeleitet.
    Spengler: Soweit Mojib Latif, Professor am Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften IFM-GEOMAR in Kiel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.