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Drittes Reich
Ambivalentes Verhältnis gegenüber Tabak und Kaffee

Dass der Konsum von Tabak und Kaffee gut für die Stimmung im Volk ist, das hatte Propagandaminister Joseph Goebbels früh erkannt - entgegen der Warnungen aus der Wissenschaft über die gesundheitlichen Folgen des Nikotingenusses. Unter dem NS-Regime gab es also keine rigide genussfeindliche Politik, stellt die Historikerin Nicole Petrick-Felber in ihrer Studie fest.

Von Otto Langels | 28.12.2015
    Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler (l) schaut mit Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels am 14. März 1938, einen Tag nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich, vom Balkon des Hotels Imperial in Wien am Schwarzenbergplatz auf die ihm zujubelnde Menge, die sich vor dem Hotel versammelt hat.
    Während Hitler das Rauchen in seiner Umgebung verbot, erkannte Goebbels die Bedeutung der Genussmittel für die Stimmung im Volk. (picture alliance / dpa / apa Brandstätter-Verlag)
    Kurz nach der Machtübernahme der Nazis tauchten in Gaststätten Plakate auf mit der Aufforderung: "Die deutsche Frau raucht nicht!" Und, etwas höflicher: "Damen werden gebeten, nicht zu rauchen!" In Erfurt wandte sich der Polizeipräsident an alle "Volksgenossen", auf der Straße rauchende Frauen an ihre Pflichten als deutsche Frau und Mutter zu erinnern.
    Doch solche Appelle blieben eher die Ausnahme. Das NS-Regime betrieb keine konsequente genussfeindliche Politik, stellt die Historikerin Nicole Petrick-Felber fest.
    "Tatsächlich lebten die Konsumenten im Dritten Reich in einer 'gespaltenen Lebenswelt', die dadurch geprägt war, dass das NS-Regime mit 'heterogenen Lenkungsimpulsen' gewisse Konsumgüter zu unterdrücken versuchte, andere dagegen forcierte und wieder andere nur als Verheißung auf eine fernere Zukunft projizierte."
    Diese Ambivalenz nationalsozialistischer Konsumpolitik zeichnet Nicole Petrick-Felber akribisch nach. Sie wertet dabei umfangreiches statistisches Material aus und stellt ihre Analyse auf eine fundierte empirische Basis. Ihre nüchterne Darstellung geht dabei freilich manchmal zulasten der Anschaulichkeit.
    Weniger Kaffee und Zigaretten nach Kriegsbeginn
    Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs gab sich das NS-Regime zunächst generös. Der Konsum von Bohnenkaffee nahm zu, höherwertige Tabaksorten kamen in die Läden, doch mit Kriegsbeginn änderte sich die Situation schlagartig: Die Importe aus Übersee gingen zurück, Kaffee gab es nur noch für die Wehrmacht, die Qualität des Tabaks sank, Zigaretten wurden ungleich verteilt, so Nicole Petrick-Felber.
    "Die vermeintlich homogene Volksgemeinschaft ist sehr stark durchdekliniert und klassifiziert in der Menge, die jemand konsumieren kann. Frauen bekommen zum Beispiel genau die Hälfte der Männerration, und die jüdische Bevölkerung wird sehr früh vom Tabakkonsum ausgegrenzt."
    Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes der SS signalisierten eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung angesichts der sinkenden Qualität und Quantität der Produkte. Da sich Warteschlangen vor den Tabakläden bildeten, verzichtete die NS-Führung auf ein Verbot der "gefährlichen Gifte der Menschheit" - obwohl deutsche Ärzte als erste den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs erkannt hatten und die Nationalsozialisten wissenschaftliche Untersuchungen zu den Folgen des Nikotingenusses förderten.
    Gesundheitspolitische Ideologen wie Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti und Gauleiter Fritz Sauckel konnten sich mit ihren Vorstellungen von einem "gesunden Volkskörper" gegen Pragmatiker wie Joseph Goebbels nicht durchsetzen:

    "Der Propagandaminister erkennt die Bedeutung der Genussmittel sehr früh für die Stimmung im Volk, fürchtet auch sogar diese Schlangen, weil er sie für Brutzellen der Meckerei hält und sorgt dann dafür, als Gauleiter von Berlin zum Beispiel, dass mit Sonderzuteilungen und Produktionssteigerungen diese Warteschlangen wegkommen und der Mangel erst mal behoben wird."
    Bedeutung der Genussmittel für die Stimmung im Volk
    Goebbels stufte schließlich die Tabakfrage unter gesundheitlichen Aspekten als nicht kriegsentscheidend ein und verschob eine grundsätzliche Lösung auf die Zeit nach dem Krieg. Eine rigide genussfeindliche Politik hätte vermutlich für größeren Unmut in der Bevölkerung gesorgt. Warum sollte sich das Volk in Verzicht üben, während der Raucher Joseph Goebbels, der Morphinist Hermann Göring und der "Reichstrunkenbold" Robert Ley ihren allgemein bekannten Lastern frönten?
    Nach Kriegsbeginn verschwand die Kaffeewerbung aus der Öffentlichkeit, sie war überflüssig, weil es keinen Bohnenkaffee mehr zu kaufen gab. Die Reklame für bekannte Zigarettenmarken wie Astra oder Milde Sorte unterlag nunmehr strengen Vorschriften. Die von Joseph Goebbels erlassenen Restriktionen erinnern an die heutige Tabakwerbung:
    "Er beschränkt dann die Tabakwerbung auf reine Markenwerbung, sie darf nicht mehr Frauen adressieren, sie darf nicht mehr Vorbilder beim Rauchen zeigen, die für die Jugend stimulierend wären, also Vorbilder wären und die Jugend zum Rauchen anreizen würden."
    Hier wie auch an anderen Stellen des Buches wären konkrete, anschauliche Beispiele zum Tabak- und Koffeinkonsum wünschenswert gewesen. Anekdoten, zum Beispiel, dass Hitler Bakterien im Tabakqualm vermutete und deshalb das Rauchen in seiner unmittelbaren Umgebung verbot, bleiben die Ausnahme.
    Untergang des NS-Regimes zeichnete sich auch im Tabakkonsum ab
    Anders als etwa Norman Ohler mit seinem unlängst erschienenen, unterhaltsam geschriebenen Buch über Drogen im Dritten Reich fühlt sich Nicole Petrick-Felber einem wissenschaftlichen Duktus verpflichtet. Die Autorin konzentriert sich wegen der ergiebigen Quellenlage auf Tabak und Kaffee, klammert zum Beispiel den Alkoholgenuss aus und gelangt so in ihrer profunden Studie zu gesicherten Erkenntnissen.
    "Was den Konsum von Tabak und Kaffee anbelangt, so war das Dritte Reich weder eine 'Tyrannei des Mangels' noch eine allein oder überwiegend auf sozialer Bestechung beruhende 'Gefälligkeitsdiktatur'. Vielmehr verlangte das NS-Regime für die Verfolgung ideologisch geprägter militärischer Ziele vom Volk zunächst nur Anpassung, dann Verzicht und schließlich immer mehr Opfer."
    Als im Winter 1941 der Vormarsch der Wehrmacht an der Ostfront ins Stocken geriet und mit einem schnellen Kriegsende nicht mehr zu rechnen war, erging die Anweisung an die Presse, die Bevölkerung auf Mangel und Durchhalten einzustimmen.
    "Man beschränkt sogar das Singen von Weihnachtsliedern nur auf den Heiligabend und den ersten Weihnachtsfeiertag und möchte die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass es in diesem Jahr weniger zu schenken gibt als sonst."
    Immerhin gab es Weihnachten 1941 noch eine Sonderzuteilung mit Hülsenfrüchten, Schokolade, Fischkonserven, Bienenhonig, Äpfeln und - für jeden erwachsenen Volksgenossen - 60 Gramm Bohnenkaffee.
    Der Untergang des NS-Regimes zeichnete sich auch im Tabakkonsum ab. 1939 konnten die Deutschen noch bis zu 15 Zigaretten am Tag mit wohlklingenden Namen wie Lord, Nil, Juno oder Leichte Regatta rauchen. Gegen Kriegsende waren es nur noch zwei dünne, qualmende und kratzende Einheitszigaretten in Notpackungen.

    Nicole Petrick-Felber: "Kriegswichtiger Genuss. Tabak und Kaffee im 'Dritten Reich'"
    Wallstein, 580 Seiten, 42,00 Euro, ISBN: 9783835316669