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Präsidentenwahl in Mexiko
"Lopez Obrador will sich von der Mafia der Macht abgrenzen"

Der Sieg des Links-Nationalisten Andrés Manuel López Obrador bei der Präsidentenwahl in Mexiko beruht nach Einschätzung des Lateinamerika-Experten Günther Maihold darauf, dass die Wähler von der Politik sowohl der bisherigen Regierung als auch der Opposition enttäuscht waren. Es gehe um die Wirtschaft, Sicherheit und die Korruption.

Günther Maihold im Gespräch mit Sandra Schulz | 02.07.2018
    Älterer Mann in Anzug mit silbergrauen Haaren spricht in ein Mikrofon und gestikuliert.
    Der 64-jährige Kandidat der linken Morena-Partei, Andrés Manuel López Obrador, hat Laut Wahlbehörde die Präsidentschaftswahl in Mexiko gewonnen (dpa)
    Sandra Schulz: Am Telefon ist Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik und Lateinamerika-Kenner. Schönen guten Morgen!
    Günther Maihold: Guten Morgen.
    Schulz: Aus welchen Zutaten ist dieser Wahlsieg gemacht?
    Maihold: Er ist vor allem aus der Enttäuschung gemacht, weil die Wähler inzwischen die Nase voll haben von der klassischen Politik der PRI, aber auch von der Politik der früheren Opposition PAN, die ja die Präsidenten vor Pena Nieto gestellt hat. Also eine Enttäuschung über die bisher an der Macht gewesenen Parteien und die Hoffnung, dass nun alles besser wird mit der dritten Option, die bisher noch nicht den Zugang zur Macht hatte.
    Schulz: Warum haben die denn so enttäuscht?
    Maihold: Letztlich deswegen, weil die zentralen Probleme des Landes nicht gelöst werden konnten, von der Sicherheit angefangen über die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung, die Bekämpfung der Korruption und den Aufstieg Mexikos in eine neue Liga in der internationalen Politik. Alles dies ist auf halbem Wege geblieben und das führt zu der großen Unzufriedenheit.
    Wunsch nach einem Systemwechsel
    Schulz: Sind das alles Ursachen, die wirklich im Land liegen oder ist das auch so eine Art mexikanische Antwort auf Donald Trump?
    Maihold: Nun, es ist natürlich vor allem ein Wunsch nach einem Systemwechsel. Man identifiziert dies alles mit dem alten PRI-System, das über 70 Jahre an der Macht war, und meint nun, dass Lopez Obrador hier einen neuen Punkt setzen könnte, um diese Kontinuitäten aufzubrechen. Aber er hat natürlich ganz schwierige Rahmenbedingungen, weil die Beziehung zu den USA sich in der Krise befindet und die Zukunft des NAFTA-Abkommens für die wirtschaftliche Entwicklung Mexikos doch ganz zentral ist.
    Schulz: Welche Kante, welche Umgehensweise wird er denn zeigen können gegenüber Donald Trump?
    Maihold: Ich fürchte, es wird eine Kopie sein. Genauso wie Donald Trump hat er erklärt, dass für ihn Innenpolitik die beste Außenpolitik ist, und das bedeutet, wir treffen auf zwei Politiker, die ihre außenpolitischen Maximen stark im innenpolitischen Raum definieren werden. Und da laufen zwei Züge aufeinander zu, die eigentlich nur zum Konflikt führen können, und es ist zu hoffen, dass die jeweiligen politischen Apparate in der Lage sind, dies abzufedern.
    Schulz: Jetzt hat Lopez Obrador zwei Megaprobleme in seinem Land vor der Nase. Das ist die Gewalt und die Korruption. Was wird er dem entgegensetzen können?
    Maihold: Er hat vor allem auf sich selbst verwiesen, dass er nicht korrupt sei und dass er deswegen als Beispiel vorangehen könne. Und er will sich gerade von der Mafia der Macht abgrenzen, die bisher den staatlichen Apparat auf allen Ebenen der Regierungsführung, aber auch bis in die Wirtschaft hinein dominiert habe. Aber dies ist genau das Problem. Er wird natürlich mit einer Fülle von Leuten aus dieser Mafia zusammenarbeiten müssen, wenn er den Systemwechsel hinbringen will, den die Bevölkerung erwartet.
    Schulz: Sehen Sie denn da schon eine Strategie? Es wird ja sehr wahrscheinlich nicht reichen für den Präsidenten selbst, nicht korrupt zu sein. Es bräuchte ja einen Masterplan oder eine Strategie, um dagegen vorzugehen.
    Maihold: Da liegen genau die Probleme. Wir haben keine konkreten Maßgaben, die für ihn vorgegeben wurden. Es gibt zum Beispiel die Ankündigung, dass er die Gehälter der öffentlichen Bediensteten um 50 Prozent kürzen will – alles Maßnahmen, die natürlich dazu führen würden, wenn sie umgesetzt werden, dass eine Fülle von qualifiziertem Personal abwandert oder er kein neues gewinnen kann. Hier ist noch vieles im Ungaren. Und er hat jetzt bis zum Amtsantritt am 1. Dezember ja noch einige Monate Zeit, hier zu einer klareren Definition seiner Programmatik zu kommen.
    Krise um brasilianischen Baukonzern Odebrecht
    Schulz: Warum ist die Korruption in Mexiko eigentlich zu diesem Superproblem geworden?
    Maihold: Es sind natürlich Fälle aufgetreten im Kontext auch dieser ganz Lateinamerika erfassenden Krise um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht, der zusammen mit dem mexikanischen Ölkonzern Pemex entsprechende Korruptionssummen an bestimmte Leute bezahlt hat, dann die persönlichen Korruptionsfälle einiger Minister und des Präsidenten selbst, bis hinein in die verschiedenen Ebenen der Regierung. Es sind mehrere Gouverneure verschiedener Parteien strafrechtlich verfolgt worden und da steht eine Fülle von Gerichtsverfahren an und die Frage ist, ob die mexikanische Justiz dies auch so umsetzen wird, wie man das von ihr erwartet.
    Schulz: Und die Korruption ist auch im schlechten Sinne die Ursache für die Gewaltexplosion, die Mexiko ja gesehen hat mit den jetzt auch gerade noch mal zitierten 29.000 Morden im vergangenen Jahr?
    Maihold: Das greift in gewisser Weise ineinander, da natürlich Drogenkartelle und andere Gewaltakteure versuchen, auf die lokalen insbesondere Machtkonstellationen einzuwirken, sich Straflosigkeit zu sichern, sich da Vorzüge zu erlangen, die sich auf das Augen zudrücken und das Ohren zuhalten gegenüber kriminellen Aktionen beziehen. Und dies ist natürlich ein Strukturproblem, das man nicht einfach mit einem Strich vom Tisch wischen kann. Hier muss er eine langfristige strategische Positionierung einnehmen, um dieses Gewaltproblem in den Griff zu bekommen.
    Geschäft mit Kartellfunktionären und Gewaltakteuren?
    Schulz: Da fand ich überraschend, dass Lopez Obrador ja unter anderem von einer Amnestie für Drogenhändler gesprochen hat. Warum ist das eine Ankündigung, mit der man in Mexiko eine Wahl gewinnt?
    Maihold: Da bin ich mir nicht so sicher, ob das die zentrale Ankündigung ist, die wirklich die Stimmen gebracht hat. Das ist sehr kritisch diskutiert worden. Weil man natürlich sieht, wenn sich diese Amnestie nicht nur auf kleine Drogenhändler bezieht, die an irgendeiner Straßenecke was verkaufen, wo es durchaus sinnvoll ist, alternative Strafen zu suchen. Aber wenn hier ein Zugriff vorgeschlagen wird, mit den führenden Kartellfunktionären und Gewaltakteuren ins Geschäft zu kommen, da würde sicherlich auch der Nachbar in den USA die Augenbrauen nach oben ziehen und die mexikanische Gesellschaft sich wohl kritischer verhalten. Ich halte das eher für ein Wahlangebot, um etwas anderes darzustellen, aber durchgedacht ist das alles noch nicht.
    Schulz: Der Lateinamerika-Experte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank!
    Maihold: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.