Aus den Feuilletons

Was Genderforscherinnen über Selbstmordattentäter denken

Piktogramm von Mann und Frau gemischt, Intersexualität
Piktogramm von Mann und Frau gemischt, Intersexualität © dpa / picture alliance / Christian Ohde
Von Tobias Wenzel · 21.11.2018
Einen bunten Strauß an Aufregern und Aufregendem haben die Feuilletons zusammengebunden: Die "Welt" verreißt ein neues Lisbeth-Salander-Abenteuer, die "Zeit" beschäftigt sich mit den Gebeinen eines Philosophen. Und die "FAZ" entsetzt sich über Genderforscher.
Kleine Warnung vorab: Diese Kulturpresseschau wird sehr körperlich. Es geht um Hirn, Herz und Genital. "Wir müssen Sie leider bitten, schon an dieser Stelle ihr Gehirn auszuschalten", schreibt Elmar Krekeler in der WELT. "Wie Sie jetzt weiterlesen sollen, ist uns zwar auch ein Rätsel. Aber es ist zu Ihrem Besten. Der Gegenstand nämlich, mit dem sich die folgenden Zeilen beschäftigen werden, könnte zu ernsten Ausfallerscheinungen in ihrem zentralen Nervensystem führen."

Der neue "Millennium"-Film - eine Attacke aufs Hirn

Krekelers Hirn wurde vom neuen Kinofilm "Verschwörung" attackiert. Der basiert auf dem Buch von David Lagercrantz. Er durfte den vierten "Millennium"-Roman schreiben: Autor Stieg Larsson ist nach dem dritten Band gestorben. Fede Alvarez hat den vierten Band der Reihe um Lisbeth Salander verfilmt, die durch Missbrauch zur Einzelgängerin wurde und nun gnadenlos für andere misshandelte Frauen kämpft und Verbrecher jagt. "Man sieht Menschen, die sich ihr komplettes Gesicht vom ausgehöhlten Schädel ziehen können. Ein Horrorhaus spielt eine nicht unbeträchtliche Rolle", schreibt Krekeler. "Zwischen allem rast Lisbeth als zunehmend zerdellte Lara Croft des skandinavischen Raums mit Motorrad und Lambo hin und her." Für Krekeler ist das alles "Unsinn". Inhaltliche Details bekomme nur derjenige mit, dessen Hirnzellen sich bis dahin nicht "komplett in die innere Emigration" verabschiedet hätten.

Michel de Montaigne im Keller

Vom Hirn zum Herz über die sterblichen Überreste. Die von Michel de Montaigne scheinen im Keller eines kleinen Museums in Bordeaux gefunden worden zu sein, in einer Familiengruft. DNA-Abgleiche mit lebenden Nachfahren des Schriftstellers sollen noch für Gewissheit sorgen. Darüber berichtet Georg Blume in der ZEIT. Aber wie konnten die Gebeine Montaignes vier Jahrhunderte verschwinden? Das hat mit den Verfügungen seiner Ehefrau zu tun: "Françoise de Montaigne hatte die Leiche ihres Ehemannes den Mönchen übergeben – allerdings ohne sein Herz, das sie auf dem geliebten gemeinsamen Landschloss verwahrte."
Zum Schluss vom Herz zum Genital und wieder zurück zur Hirnlosigkeit: Einigen Gender-Instituten falle es schwer, Genitalverstümmelungen zu verurteilen, schreibt Judith Basad in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Die Journalistin hat wissenschaftliche Texte aus dem Bereich der Geschlechter- und Postkolonialismusforschung analysiert. Spätestens nach der Lektüre dieses Artikels hält man diese Forscher nicht für Wissenschaftler, sondern für Sektenmitglieder.

Der Westen ist verwerflich - die Genitalverstümmelung nicht

Einerseits werde das Patriarchat als herrschend und verwerflich angesehen, andererseits der ganze Westen, schreibt Basad. Das könne gefährliche Folgen haben. "Denn so werden moralische Grundsätze wie die Ablehnung von Gewalt, Terrorismus oder Verstümmelung außer Kraft gesetzt und eine antiwestliche Agenda in den Wissenschaften etabliert", erläutert die Journalistin. Da aber die Kolonialmächte, also das Böse an sich, die Genitalverstümmelung kritisiert haben, erscheint sie einigen Wissenschaftlern sogar als schützenswertes Kulturgut. Selbst islamistischer Terror werde gegen den Westen verteidigt.
Das habe auch die Geschlechterforscherin Claudia Brunner in ihrer Doktorarbeit getan: "In 'Wissensobjekt Selbstmordattentat' werden nicht etwa die Anschläge der Hamas, des IS oder der Taliban verurteilt, sondern Bilder von Selbstmordattentätern, die auf Covern der westlichen Fachliteratur zu sehen sind", gibt Basad in ihrem FAZ-Artikel die Gedanken der Wissenschaftlerin wieder. "Der Selbstmordattentäter an sich, so Brunner, sei ebenfalls nur eine Erfindung einer 'okzidentalistischen Selbstvergewisserung', die durch die 'koloniale Expansion europäischer Staaten' und durch das 'kapitalistische Weltsystem' gelenkt würden."
Kommentar der Journalistin: "Derartige Verschwörungstheorien stellen keineswegs einen wissenschaftlichen Ausrutscher innerhalb der Gender Studies dar. Denn Claudia Brunner wurde für ihre Arbeit mit dem Caroline-von-Humboldt-Preis für Nachwuchswissenschaftlerinnen* ausgezeichnet – einem der höchstdotierten Wissenschaftspreise in Deutschland."
*Claudia Brunner teilte uns mit, ihr Werk "Wissensobjekt Selbstmordattentat" habe nicht – wie von der FAZ geschrieben - den genannten Preis erhalten, sondern den Nachwuchspreis der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, und das bereits 2011. Den im zitierten Aufsatz genannten Preis habe sie für ihr Habilitationsprojekt "epistemische Gewalt" 2012 erhalten, in dem es überhaupt nicht um Terrorismus gehe.
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