"Herero Nama" am Schauspiel Köln

Die Selbstgewissheit ins Wanken bringen

07:59 Minuten
Nuran David Calis trägt legere Kleidung und blickt in die Kamera.
Der Regisseur Nuran David Calis: Es war kein verrückter General, sondern systematischer Mord. © Costa Belibasakis
Nuran David Calis im Gespräch mit Gesa Ufer · 08.03.2019
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Der Regisseur Nuran David Calis bringt die Geschichte des Genozids an den Herero und Nama auf die Bühne. Samstagabend ist Premiere am Schauspiel Köln. Mit "Herero_Nama: A History of Violence" will sich Calis den "Wunden der Vergangenheit" nähern.
Gesa Ufer: Zwei Jahre hat Nuran David Calis an seinem aktuellen Projekt gearbeitet: "Herero_Nama" heißt es und widmet sich einem Teil der deutschen Kolonialgeschichte, über die lange geschwiegen wurde, dem Mord des deutschen Kaiserreichs an circa 80.000 Herero und Nama in Namibia, der als erster Genozid des 20. Jahrhunderts in die Geschichte einging. Morgen Abend ist die Premiere von "Herero_Nama: A History of Violence" am Schauspiel Köln, und der Autor und Regisseur Nuran David Calis ist mir jetzt aus Köln zugeschaltet. Gab es für Sie eine Initialzündung, sich mit diesem Kapitel der Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen?
Calis: Ich hatte zwei Standbeine, als ich mich diesem Thema angenähert habe. Das eine war natürlich meine persönliche Geschichte, die ich als Armenier im Kampf für die Anerkennung des Völkermords sozusagen in die eigene Biografie hineingeschrieben bekommen habe, und auch teilweise diesen aussichtslosen Kampf, den wir immer wieder geführt haben, um die Armenienfrage zu klären mit der Türkei. Das hat mich total berührt, dass die Herero und Nama einen ähnlichen Kampf schon etwas früher angefangen haben, um die Anerkennung des Völkermords für sich und für ihr Volk der breiteren Gesellschaft sichtbar zu machen.
Ufer: Sie sprachen von zwei Standbeinen. Also einerseits diese armenische Geschichte, gibt es noch ein zweites?
Calis: Genau, das zweite war die momentane Situation der Flüchtlingsströme, die über das Mittelmeer nach Europa eindringen, und mir ist es zu einfach, zu sagen, dass man die Grenzen hochzieht und Ankerzentren in Nordafrika baut. Ich wollte den großen gesellschaftlichen und zeitlichen Zusammenhang verstehen, warum dieser Kontinent so nach Europa reindrückt, und da ist mir sichtbar geworden, dass wir eine 500-jährige Kolonialgeschichte hinter uns haben, in dem wir diesen Kontinent total kaputtgemacht haben, und jetzt kommt er Stück für Stück zurück.

"Wir waren schnell bei denen, die es getan haben"

Ufer: Wie nähern Sie sich dramaturgisch dem, was damals passiert ist, also wie verarbeiten Sie diese Geschichte auf der Bühne?
Calis: Also zunächst einmal sind wir selber Archäologen. Ich habe zum Beispiel ein deutsches Abitur, ein normales, und ich habe nichts über diese Kolonialgeschichte erfahren, und dann haben wir in Schulbüchern angefangen zu graben und zu gucken und uns selber die Frage zu stellen und zu befragen: 'Was ist da eigentlich passiert?' zusammen mit den beiden Vertretern der Herero und Nama in diesem Probenprozess.
Über diesen Aufbau, was ist da passiert, sind wir dann auch sehr schnell zu denen gekommen, die es eigentlich getan haben, also in das deutsche Kaiserreich und in das koloniale Denken haben wir versucht, uns hineinzubegeben, und aus dem Bereich, aus diesen zwei Teilen hat sich die Gegenwart sozusagen abgebildet, indem wir uns jetzt befragen, wie wir mit diesem Thema politisch umgehen müssen, weil ein Theater ist ja kein Gericht oder so etwas. Wir können nicht Schuld oder Unrecht sprechen, aber wir können eine höhere politische Debatte oder ein Gespräch, einen Diskurs versuchen anzustoßen.
Hereros 1907 in dem Album "Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegs- und Friedensbilder"
Hereros 1907 in dem Album "Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegs- und Friedensbilder", Original-Aufnahmen von Friedrich Lange, Windhuk (Verlag Franz Rohloff) © picture alliance/dpa/Foto: akg-images
Ufer: Ihr Kollege Milo Rau versucht ja, genau diesen Prozess nachzustellen mit seinem "Kongo-Tribunal". Das ist ein Verfahren, was auf sehr viel positive Resonanz gestoßen ist und für alle Zuschauer sehr, sehr eindrucksvoll ist.
Calis: Genau, das ist der eine Weg, dass man sozusagen so etwas nachstellt und den Zuschauer hineinzieht. Das andere war, dass ich über die Biografien mich entschieden habe, sich diesem Thema anzunähern. Also das heißt, wir haben zwei Vertreter da, und anhand dieser Biografien, das Mitgehen in diese Biografie des Zuschauers, und dann an diese verschiedenen Wendepunkte und die verschiedenen Konfliktpunkte herangeführt zu werden, um sichtbar zu machen, wie eng dieses Land Namibia mit Deutschland eigentlich verwoben ist.
Also wir haben zwei Vertreter, dessen Großeltern und einmal Urgroßeltern, also zwei Elternteile in dieser normalen Linie deutscher Abstammung sind. Das ist natürlich für mich unheimlich wichtig, dass wir dort auf ein Volk treffen, in dem eine Art Verschmelzung stattgefunden hat und die sich auch wirklich als Teil des deutschen Lebens und Gesellschaft angesehen haben, und auch große Teile Deutschlands haben das auch so gesehen, dass das ein Teil ihrer Heimat dort ist.
Dass dann innerhalb dieser Nähe eine so signifikante Entmenschlichung stattgefunden hat, indem man praktisch einer Volksgruppe nicht mehr die Existenz erlaubt hat und sie ausgeschlossen hat aus dem Leben, das ist natürlich ein unheimlich schmerzvoller Prozess gewesen, der auch in dem Probenprozess sichtbar wurde.
Ufer: Vier Jahre lang dauerten ja die Verfolgungen und das Gemetzel in Namibia an, von 1904 bis 1908. Was war es an dieser Geschichte, was Sie so besonders verstört hat, was Sie jetzt auch versuchen auf die Bühne zu bringen?
Calis: Dass man wirklich systematisch versucht hat, diese beiden Volksstämme aus der Welt zu eliminieren. Man muss ganz klar sagen, da ist gar nichts aus dem Ruder gelaufen oder so, und es war auch nicht ein verrückter General, der auf einmal das Gefühl hatte, er muss jetzt diese Menschen alle töten. Das ist systematisch geplant worden von dem deutschen Kaiserreich aus, aus Berlin, und die Chirurgen des Tötens sind da runtergegangen nach Namibia und haben versucht, diese beiden Volksstämme aus der DNA der Welt herauszuradieren, und wirklich, die Beweislast ist erdrückend.
Im Grunde gibt es da gar nichts zu verhandeln, durch die deutsche Bürokratie ist auch alles schriftlich zugänglich in den Archiven des Außenministeriums, und man kann das alles nachlesen, dass es sich einwandfrei um einen geplanten Völkermord gehandelt hat.
Ufer: Sie haben sich zuletzt mit dem Anschlag des NSU in der Kölner Keupstraße beschäftigt mit Ihrer Keupstraßen-Trilogie, "Die Lücke", "Glaubenskämpfe" und "Istanbul", da auch gemeinsam mit Anwohnern und Anwohnerinnen besagter Straße. Hier sind es also reale Nachfahren. Wie fügt sich das Projekt jetzt in Ihr gesamtes Werk ein, also warum sind beide Teile der Geschichte so wichtig für die Gegenwart?
Calis: Dieser Theaterprozess ist ohne diese Partei, um die es eigentlich geht, nicht vorstellbar, es auf die Beine zu stellen. Sie müssen mit in diesem Theaterraum ihre eigene Geschichte verhandeln. Man kann nicht dieses Thema, auch damals bei dem NSU-Prozess … Also der Weg, den ich da gehe, ist, man kann nicht so wichtige signifikante Störungen in einem gemeinsamen Mitleben versuchen zu verhandeln ohne diese Parteien, um die es geht, mit auf die Bühne zu bringen und denen einen Raum zu geben.
Ufer: Und was würden Sie sich wünschen, was dieses Stück auch möglicherweise doch wieder in Bewegung bringt?
Calis: Auch so wie es bei dem NSU-Prozess war, die Selbstgewissheit, in der wir uns teilweise in der deutschen Gesellschaft befinden, ein Stück weit ins Wanken zu bringen, dass der Rechtstaat überprüft werden muss, dass vielleicht unsere Organe des Rechtstaats überprüft werden müssen, ob alles das, was wir wirklich tun, auch umgesetzt wird. Das muss man sich schon fragen.
Es geht mir gar nicht um Recht oder Unrecht, sondern um eine große, breitere gesellschaftliche Debatte, sich den Wunden der Vergangenheit zu nähern. Ich sage es mal in Heiner Müller: die Toten auszugraben, um die Zukunft und die Gegenwart besser zu verstehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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