Freitag, 19. April 2024

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Russland und die NATO
Teltschik: Nicht nur Russland für Wettrüsten verantwortlich

Im angespannten Verhältnis zwischen NATO und Russalnd mache Horst Teltschik, ehemaliger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, nicht der Krim-Konflikt die größten Sorgen, sondern ein neues Wettrüsten. Russland sei dafür aber nicht allein verantwortlich, sondern auch die USA.

Horst Teltschick im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 04.04.2019
Horst Teltschik, früherer Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz
Horst Teltschik, früherer Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz (imago stock&people)
Ann-Kathrin Büüsker: Horst Teltschik, ehemaliger Berater von Helmut Kohl, ehemaliger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und Autor des Buches "Russisches Roulette: Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden". Einen schönen guten Morgen!
Horst Teltschik: Guten Morgen.
Büüsker: Herr Teltschik, die Prämisse der Anfangszeit der NATO war ja, sie solle die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten halten. Der Teil mit den Deutschen ist inzwischen ziemlich überholt. Aber wie sehr gelten die ersten beiden Aspekte heute noch?
Teltschik: Ja, das ist eine gute Frage, die die NATO nach der Wiedervereinigung und in den Jahren anfangs der 90er-Jahre ja versuchte, zu beantworten, und soweit ging, dass selbst Präsident Clinton damals Präsident Jelzin in Russland angeboten hatte, sowohl in Form eines Briefes, wie er mir einmal persönlich berichtete, als auch in einem mündlichen Gespräch, Mitglied der NATO zu werden. Jelzin hat damals gesagt, diese Anfrage käme für ihn zu früh. Selbst als sein Nachfolger, Präsident Putin ins Amt kam, war auch dieser anfänglich durchaus aufgeschlossen, dass Russland möglicherweise Mitglied der NATO werden könnte. Dabei ging es um die politische Organisation, nicht um die militärische Organisation, weil die russische Führung zurecht sagte, sie könnten nicht davon ausgehen, dass zum Beispiel die Bundeswehr Russland an der Ostgrenze gegenüber China verteidigen würde in einem Konfliktfall. Ich sagte daraufhin, da hätten sie wohl recht. – Wir waren schon sehr weit in der Überlegung, wie können wir Russland einbeziehen.
Büüsker: Aber dann gucken wir mal ins Jetzt, weil jetzt ist es doch vollkommen undenkbar, dass Russland jemals Teil der NATO werden könnte, oder?
Teltschik: Undenkbar ist im Leben nichts. Wenn Sie mal an die Ereignisse in den 90er-Jahren sich zurückerinnern: Wer hätte gedacht, dass 500.000 sowjetische Soldaten sich friedlich aus Mitteleuropa zurückziehen. Wer hätte gedacht, dass sich der Warschauer Pakt friedlich auflöst. Wer hätte gedacht, dass sich die UDSSR friedlich auflöst.
"Da ist nicht Russland allein verantwortlich"
Büüsker: Und wer hätte gedacht, dass 2014 Russland die Krim besetzt. Das ist ja etwas, was insbesondere den Osteuropäern heute große Angst macht.
Teltschik: Ja, das ist richtig, und man muss sich natürlich fragen, warum konnte das geschehen und wie können wir diese Beziehungen, die heute sehr gespannt sind, zwischen Ost und West – viele sprechen ja von einem neuen Kalten Krieg, obwohl ich immer sage, Sie haben den tatsächlichen Kalten Krieg nicht in Erinnerung, sonst könnten Sie solche Vergleiche nicht ziehen. Die Bundeskanzlerin war ja diejenige, die versucht hat, eine Lösung mit dem Minsker Abkommen herbeizuführen. Wir müssen einfach überlegen: Wie können Russland und die NATO-Staaten wieder zusammenkommen und die entstandenen Probleme lösen? Da sehe ich die Krim nicht vorrangig als das Problem Nummer eins, sondern was mir am meisten Sorge macht ist, dass wir vor einem gewaltigen neuen Wettrüsten stehen. Da ist nicht Russland allein verantwortlich, sondern das fängt bei unserem wichtigsten Partner an: bei den Vereinigten Staaten von Amerika. Dazu gehört heute China und ich würde mir wünschen, dass wir die Instrumente, die wir nach '90 geschaffen haben, nutzen, um wieder Verhandlungen zu führen. Wir haben 1989/90/91 in der Geschichte die weitreichendsten Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen erreicht und wir sind dabei, diese Abkommen heute in Frage zu stellen. Denken Sie an das Abkommen über die Zerstörung aller nuklearen Mittelstreckenraketen.
Büüsker: Das INF-Abkommen.
Teltschik: Ja. – Gorbatschow hat einmal gesagt, wir haben damals 80 Prozent der Nuklearraketen vernichtet. Jetzt werden wieder neue produziert, die noch schneller sein sollen. Es wird darüber gesprochen, die Sprengkraft zu reduzieren, damit sie einsatzfähiger werden, und so weiter.
"Die letzten zehn Jahre gab es überhaupt kein Treffen"
Büüsker: Das ist jetzt ja eine Bestandsaufnahme dessen, was gerade passiert. Was wäre denn Ihr Ansatz, um aus dieser Rüstungsspirale, die Sie beschreiben, rauszukommen?
Teltschik: Wir haben nach 1990 eine Reihe von Institutionen geschaffen, in deren Rahmen wir sprechen können und sprechen sollten. Das ist zum Beispiel der NATO-Russland-Rat. Ich frage mich schon, warum ist der NATO-Russland-Rat in den Krisensituationen nicht zusammengetreten. Ob das der Georgien-Konflikt war, ob das der Ukraine-Konflikt war – nie ist der wirklich wirksam geworden. Im letzten Jahr gab es drei Treffen, in diesem Jahr ein Treffen, aber nur auf Botschafterebene, obwohl vorgesehen ist, dass er auf Außen- und Verteidigungsministerebene zusammentreten kann, vorgesehen ist, dass er sogar auf Regierungschefebene zusammentreten kann.
Wir haben mit der Pariser Charta für ein neues Europa die OSZE gegründet. Wir haben dort ein Konfliktverhütungszentrum. Ich kann mich nicht erinnern, dass dies wirklich öffentlich sichtbar tätig wurde.
Wir haben Überprüfungskonferenzen verabredet, auch auf Staats- und Regierungsebene. Es haben ja drei, vier stattgefunden, aber die letzten zehn Jahre überhaupt kein Treffen. Warum nutzen wir diese Instrumente nicht!
Büüsker: Sie beschreiben jetzt verschiedene Instrumente, die man nutzen könnte, und die Frage, warum wir sie nicht benutzen, würde ich gerne mal auf russischer Seite stellen. Russland müsste ja, Ihrer Argumentation nach, auch ein Interesse daran haben, beziehungsweise ein russisches Interesse wäre eine Voraussetzung, damit diese Instrumente funktionieren. Sehen Sie denn auf russischer Seite irgendein Anzeichen dafür, dass Putin ein Interesse daran hat, diese Spirale zu durchbrechen?
Teltschik: Ich kann mir schon vorstellen, dass Putin, der natürlich erst einmal so reagiert hat, dass er auf die Ankündigung von Präsident Trump, neue Waffen zu entwickeln, nun seinerseits fast automatisch geantwortet hat, wenn Du das machst, dann machen wir das auch. Die Volksrepublik China hat entsprechend reagiert. Das ist ja fast – ich sage das manchmal etwas leichtfertig – ein Sandkastenspiel: Wirft der eine mit Sand, dann wirft der andere auch mit Sand.
"Trump hatte ein Zwei-Stunden-Gespräch mit Putin"
Büüsker: Wobei Donald Trump ja auch argumentiert, die Russen beziehungsweise die Chinesen hätten angefangen.
Teltschik: Ja. Wer was getan hat, führt uns ja nicht weiter, sondern die Frage ist, setzen sich die Herren endlich an einen Tisch. Präsident Putin und seine Umgebung behaupten, sie hätten Präsident Trump Gespräche angeboten. Trump hatte ein Zwei-Stunden-Gespräch mit Putin, über das niemand irgendetwas erfahren hat, weil Trump selbst die Notizen der Dolmetscherin kassiert hat, damit niemand erfährt, was er mit Putin gesprochen hat. Jetzt ist die inneramerikanische Putin-Affäre ja beendet und die Frage ist, wäre jetzt nicht der Zeitpunkt, dass die beiden Bosse, der amerikanische Präsident und der russische Präsident sich zusammensetzen und die entstandenen Probleme diskutieren und versuchen zu lösen. Trump hat da ja einen zweifachen Anlauf mit Nordkorea gemacht. Warum jetzt nicht mit Russland?
Büüsker: So die Frage von Horst Teltschik, ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Herr Teltschik, vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Teltschik: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.