Gastkritik

Der Juli kann kommen

13:03 Minuten
Jule Böwe
In Frank Witzels "Jule, Julia, Julischka" treffen die Schauspielerinnen Jule Böwe (im Bild), Julia Rieder und Julischka Eichel in echt und in ihren Rollen aufeinander © Deutschlandradio / Sandro Most
Von Hans-Ulrich Wagner · 02.07.2019
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Vom Krimi über die japanische Mafia, einem Kurz-Feature über den Balkan bis hin zur Apollo 11-Mission sowie neuen Stücken von Erfolgsautor Frank Witzel und dem israelischen Autor Noam Brusilovsky – im Juli erwartet Sie ein vielseitiger Hörspiel-Monat.
"Der Dieb" (Hörbeispiel)
Liebhabern des Krimi-Genres empfehle ich das Hörspiel "Der Dieb". Am 8. Juli ist der Rückblick eines Meister-Taschendiebs zu hören – im Programm von Deutschlandfunk Kultur. Heike Tauch hat aus dem literarisch gerühmten Roman des Japaners Fuminari Nakamura eine düstere Psychologie des Stehlens entwickelt. Und das klingt dann wie ‚film noir‘ für die Ohren. Was nicht zuletzt die Musik schafft: Die Komposition ist von Janko Hanushevsky. Das Saxophon spielt Leonhard Huhn.
Es ist die Geschichte vom edlen Verbrecher, der in die Fänge der japanischen Mafia gerät. Spannend zweifelsohne, aber freilich auch ein wenig ungewohnt, nicht zuletzt, weil wir rauchende raunende Ganoven bislang eher in Paris verorten als in Fernost.
Perspektivenwechsel auch in einem weiteren Hörspiel, das ich hier zum Einstieg erwähne. Es stößt uns auf das Thema Balkan.
"Mehr Balkan wagen" – heißt es beim Westdeutschen Rundfunk. In seinem Programm "Eins Live" läuft die Reihe "Ey, Jugo!".
"Mehr Balkan wagen"
Das ist an sich schon bemerkenswert, denn bislang liest man und hört man wenig vom 20. Jahrestag des Kosovo-Krieges. Das Hörspiel "Mehr Balkan wagen" wird am 1. Juli in dieser Reihe gesendet.
Das Halbstunden-Hörspiel ist ein merkwürdiges Zwitterwesen – es ist ein Feature, ein Vortrag, eine satirische Revue. Der Autor Adnan Softic spielt damit. Über weite Strecken hört es sich an wie ein "Gedanken-zur-Zeit"-Essay: Warum zerstören die neuen Nationalismen das friedliche Zusammenleben verschiedener Ethnien? – Auf dem Balkan hat das mitunter gut funktioniert. Warum heute nicht mehr?
Doch an dieser Stelle wird das Hörspiel mehr zu einer Nummern-Revue. Es führt die europäischen Sprechblasen vor und bringt sie zum Platzen.
"Mehr Balkan wagen" ist also beides – sowohl analytisch als auch satirisch. Kein großes Kunstwerk vielleicht, aber ein Stück, das aktuell und brisant ist und ein Aufruf, über das – wie es heißt – "Balkanische in uns" nachzudenken.
Große Kunst gibt es im Juli gleich drei Mal.
Patricia Görg, versierte Hörspielautorin seit langem, führt uns diesmal in die "Gesänge der Raumfahrer" ein. Ihr "Fernlehrgang" startet pünktlich zum 50. Jahrestag der "Apollo 11"-Mission vor 50 Jahren. Den "Gesängen" kann man am 17. Juli im Programm von Deutschlandfunk Kultur lauschen.
"Die Gesänge der Raumfahrer" (Hörbeispiel)
Sie merken, hier steckt viel Humor im Text. Es wird seit Ur-Zeiten ‚nach den Sternen gegriffen‘ – in den Religionen mit ihren Vorschriften für die Zeremonien, also für die richtige Kommunikation mit den Außer-Irdischen.
Dasselbe aber gilt auch für die "Star Wars", für die "Kriege der Sterne". Das Raumfahrt-Programm im Kalten Krieg wurde als die Erfüllung eines Menschheitstraumes gefeiert, eines Traums der westlichen Welt, eines Traums der Überlegenheit.
"Apollo" und all die weltweiten Mythen – wie so häufig in letzter Zeit werden auch hier verschiedenste Geschichten miteinander verwoben. Das Hörspielteam um Regisseurin Anouschka Trocker entfaltet einen – wie es heißt – "Erinnerungsraum". Doch wir haben es gehört, das Augenzwinkern, das im Text von Patricia Görg steckt. Und genau das – dieses Augenzwinkern, dieses Spielerische, wenn man so will, das macht den Reiz dieses ‚luftigen‘ lunearen Stückes aus.
"Jule, Julia, Julischka"
Sehr irdisch geht es bei Frank Witzel zu. Der Erfolgsautor widmet sich dem großen Theater, dem Rollenspiel und den Diven der Schauspielkunst. Sein "Jule, Julia, Julischka" ist am 14. Juli beim Hessischen Rundfunk zu hören.
Es geht um eine ‚Star‘-Besetzung: Julia Riedler, Jule Böwe und Julischka Eichel kommen im Hörspielstudio zusammen. Die bekannten Schauspielerinnen spielen Julia, Jule du Julischka – also sich selbst … und doch die Rollen, die Frank Witzel ihnen zugeschrieben hat.
Witzel, der mittlerweile viel für das Hörspiel arbeitet, hat einen sehr dichten Text gewoben. Er bietet ein wunderbares Rollen-Spiel um Identitäten, um Person, Auftreten und Wahrnehmen.
Nicht gerade bescheiden verweist Witzel dabei auf Thomas Bernhards Drama " Ritter, Dene und Voss" hin. Das Stück des Österreichers trägt die Nachnamen dreier Schauspieler im Titel. Bei Witzel nun sind es die Vornamen der Schauspielerinnen, die das Stück ausmachen und die uns ein Sprechspiel vom Feinsten liefern.
Schließlich möchte ich noch zu Noam Brusilovskys neuem Hörspiel einladen. Der israelische Theatermacher in Berlin legt nach dem Erfolg von "Broken German" ein neues Stück vor. Es dreht sich auf vielen Ebenen um das Sterben. Sein Titel: "Der Tod des Iwan Iljitsch – Sterben in Bern". Es wird am 13 Juli im Programm des Deutschlandfunks gesendet.
"Der Tod des Iwan Iljitsch" (Hörbeispiel)
Der Ausschnitt zeigt, wie temporeich das Sterben hier umkreist wird. Ein kurzer Blick dahin, ein kurzer Blick dorthin: Schnitt, Blende, Atmo-Wechsel. Dazu das In- und das Übereinander von verschiedenen Ebenen: da ist der Roman, da ist die Theater-Inszenierung – und schließlich ist da das Hörspiel, das das alles zusammenbringt. Für meine Begriffe und Ohren ein wunderbar radiophones Stück, das die Möglichkeiten der Hörspielkunst unter Beweis stellt. Es macht einfach Spaß, so lustvoll über das Sterben nachzudenken.
Hörspiele hören und darüber forschen, schreiben und sprechen – das tue ich seit gut 25 Jahren. Gern setze ich mich dabei für das ein, was man früher einmal das "Original"-Hörspiel genannt hat. Publizistisch setze ich mich immer auch für die Autorinnen und Autoren ein, die für das akustische Medium schreiben; für Kreative, die die Möglichkeiten nutzen, ihre Geschichte im "HÖR"-Funk zu erzählen.
Mit Blick auf den Sommer-Monat Juli ist mir dabei nicht bange. Im Gegenteil! Die Radiomacherinnen und Radiomacher bieten große Stimm- und Klangkunst – und sie nehmen aktuell Stellung.
Das machte und macht Spaß. Der kommende Juli wird ein guter Monat für das Hörspiel!