Freitag, 19. April 2024

Archiv

Symposium in Hamburg
Politische Haltung und der Musikbetrieb

Das Symposium "The Art of Music Education" behandelte in diesem Jahr Fragen nach der Politik im Konzert und nach dem gesellschaftlich verbindenden Potenzial der Musik. Dazu äußerten sich unter anderem Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale, und der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Von Marcus Stäbler | 02.03.2020
    Ein Notenständer mit einem geöffneten Notenheft, welches durch zwei orangefarbene Klammern befestigt ist.
    "Wie viel Politik verträgt das Konzert?" lautete eine Fragestellung des Symposiums "The Art of Music Education", veranstaltet von der Körber-Stiftung (imago / Westend61)
    Die Musik als Träger einer weltumspannenden Kraft, die Menschen unterschiedlicher Herkunft verbindet: Eine verführerische Idee. Kann und soll Musik also die zunehmende Zersplitterung der Gesellschaft in Einzelgruppen und -interessen aufhalten? Ist Kultur der Kitt der Gesellschaft? Carsten Brosda, Kultursenator in Hamburg, hatte dazu am Eröffnungstag des Symposiums eine klare Antwort:
    "Was für ein grandioser Unsinn. Kunst darf zerreißen. Kunst darf kaputt machen. Kunst darf spalten, Kunst darf irritieren. Kunst darf uns wehtun, muss das vielleicht auch. Aber Kunst hat nicht die Aufgabe a priori Dinge zusammenzuführen."
    Kunst und Musik dürfen nicht für ein bestimmtes Ziel vereinnahmt werden – das betonten auch Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale, und der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert. Kunst habe keinen konkreten Zweck, aber einen Sinn – und der bestehe darin, einen Raum zu eröffnen, "in dem ständig etwas Neues, etwas Anderes entstehen kann, ohne dass klar ist, warum", sagt Norbert Lammert.
    Im spannenden Grundsatzgespräch von Norbert Lammert und Carsten Brosda rückte das besondere emotionale Potenzial der Kunstform Musik vielleicht etwas zu weit in den Hintergrund. Auch wenn sie keine konkrete Aufgabe hat, so gehört es doch immerhin zu den Möglichkeiten von Musik, Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft miteinander in Verbindung zu bringen.
    Plädoyer für die Freiheit der Kunst
    Anstatt auf diese Möglichkeiten einzugehen, formulierten die beiden ein eindringliches Plädoyer für die Freiheit der Kunst. Weshalb es wichtig ist, sie mit Nachdruck zu verteidigen, zeigen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit. Gerade Parteien von Rechtsaußen versuchen sich in die Programmgestaltung und die personelle Besetzung von Kulturinstitutionen einzumischen und beschweren sich über Meinungsäußerungen von Künstlern. "Wie viel Politik verträgt das Konzert" lautete deshalb eine weitere Fragestellung des Symposiums.
    Für Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensemble Resonanz, ergibt sich aus den aktuellen gesellschaftlichen Themen eine Verpflichtung zur Stellungnahme.
    Tobias Rempe: "Man kann nicht nicht-politisch sein, man kann sich da nicht raushalten. Es gibt keine Neutralität."
    Konzert und politische Äußerungen
    Wie konkret ein Statement von Musikerinnen und Musikern aussehen kann, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. Vor einem Konzert bloß einen Appell loszuwerden und dann die Musik zu spielen, als wäre nichts gewesen, hält Tobias Rempe für aktionistisch. Wenn es aber einen Zusammenhang zum Programm gebe, sei es mitunter ein menschliches Gebot, Haltung zu bekennen. Das ging Rempe und seinen Musikerkolleginnen und Kollegen vom Ensemble Resonanz so, als sie ein Programm mit dem Titel "Heimatweise" geplant hatten – und zwei Wochen vor dem Konzerttermin kamen plötzlich Geflüchtete aus Lampedusa in die Stadt.
    Rempe: "Und dann denkt man sich, unser Konzert heißt 'Heimatweise', was machen wir denn jetzt? Das geht ja gar nicht, dass wir uns gar nicht dazu verhalten. Wir waren dann, als sie schon im Kirchenasyl waren, in der St. Pauli-Kirche, wir haben sie ins Konzert eingeladen, wir haben das auch öffentlich gemacht, dass sie eingeladen waren, dass wir es bedauert haben, dass sie sich nicht sicher genug gefühlt haben in der Stadt, um von der St. Pauli-Kirche in die Laeiszhalle zu kommen."
    Natürlich ist es das gute Recht aller Musikerinnen und Musiker, zu politischen Themen Stellung zu beziehen. Aber der Spielraum ist bei eher kleineren Gruppen wie dem 18-köpfigen Ensemble Resonanz oder bei Einzelkünstlern ein ganz anderer als bei größeren Institutionen. Frauke Roth, Intendantin der Dresdner Philharmonie:
    "Wenn ich mich politisch äußere, als Institutionsleiterin, und eine sehr große Einrichtung vertrete, dann ist immer die Frage: Wie viel der Mannschaft versammelt sich hinter mir?"
    Wie es gelingt, auch ohne explizite politische Äußerung ein Zeichen zu setzen, belegt die Neugründung eines "Bürgerchores" im Dresdner Kulturpalast. Seit vergangenem Herbst kommen dort regelmäßig engagierte Laiensängerinnen und -sänger zusammen. Die Proben finden am Montagabend statt, also als zeitliches und inhaltliches Gegenangebot zu den Treffen der rassistischen Organisation Pegida.
    Roth: "Aus meiner Sicht ist Singen, gemeinsam Singen und sich gegenseitig zuhören etwas, was in meiner Welt eine Gegenbewegung ist."
    Musikerausbildung des 21. Jahrhunderts
    Ein drittes zentrales Thema des Symposiums führte in den Kernbereich der Musikvermittlung: die Frage nach der Musikerausbildung des 21. Jahrhunderts. Dazu präsentierte die Kulturmanagerin und Musikforscherin Esther Bishop eine erhellende Bestandsaufnahme. Ihre statistische Erhebung an den 24 eigenständigen Musikhochschulen in Deutschland offenbarte ein ernüchterndes Bild: Obwohl es mittlerweile in den sogenannten berufsfeldorientierten Fächern – also etwa Projektmanagement oder Musikvermittlung – ein breites Angebot gibt, sind diese Fächer in der Realität des Studiums zu oft noch das fünfte Rad am Wagen. Auch weil das Punktesystem des Bachelorstudiums sie viel zu niedrig bewertet, wie Esther Bishop analysiert.
    Bishop: "Es gibt zwar mittlerweile eine ganze Menge Studiengänge, die Angebote in diesem Bereich machen. Aber sie sind dann eben doch, was die Credits betrifft, so wenig hoch gehängt, dass kein Anreiz aus der Perspektive geschaffen wird, sich damit auseinander zu setzen."
    Wenn es ans Eingemachte geht, an die Frage, wie viel Zeit und Gewicht ein Fach bekommt, sitzen die berufsfeldorientierten Studiengänge noch immer am Katzentisch der Musikhochschulen, obwohl sie so elementar wichtig sind. Da müssen noch viele überholte Strukturen aufgebrochen werden. Die Musikvermittlung hat in den letzten Jahren viele neue Blickwinkel erschlossen, wichtige Diskussionen angestoßen und substanzielle Erfolge erzielt. Aber bis sie wirklich einen angemessenen Platz im Verständnis und im praktischen Alltag der Lehre bekommt, ist noch ein weiter Weg zu gehen.