Sachbuchbestenliste März

    Von Diskurswächtern und mittelmäßigen Lügnern

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    Caroline Fourests "Generation beleidigt", Volker Reinhardts "Die Macht der Seuche" und Ijeoma Oluos "Das Land der weißen Männer" bilden die Top Drei der Sachbuchbestenliste für März. Insgesamt schafften es neun Bücher neu auf die Bestenlste. © Deutschlandradio / Edition Tiamat, C. H. Beck, Hoffmann & Campe
    24.02.2021
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    Drei Neueinsteiger führen die Sachbuchbestenliste für März an. Caroline Fourest an der Spitze beschäftigt sich in "Generation beleidigt" mit identitätspolitischem Aktivismus - und erklärt, wo dieser aus ihrer Sicht seine Grenzen finden sollte.
    Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnen und Kritikern.

    1 (-) Caroline Fourest: "Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei"
    Aus dem Französischen von Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hesse
    Edition Tiamat, Berlin 2020
    144 Seiten, 18 Euro

    Das Cover von Carolinie Fourests Buch: "Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei"
    Caroline Fourest: "Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei"© Deutschlandradio / Edition Tiamat
    Sie wollen Dostojewski aus der Lektüreliste verbannen und kein Sushi essen, das von Weißen zubereitet wurde: Über den identitätspolitischen Aktivismus an US-Universitäten ist schon viel geschrieben worden. Die Autorin Caroline Fourest erklärt, wie es so weit kommen konnte. Und plädiert aus linker Perspektive für die freie Rede: Das Seminar solle zum "Safe Space" der kontroversen Debatte werden. 62 Punkte

    2 (-) Volker Reinhardt: "Die Macht der Seuche"
    C. H. Beck, München 2021 (2. Auflage)
    256 Seiten, 24 Euro

    Zu sehen ist das Buchcover von Volker Reinhardts Buch: "Die Macht der Seuche" auf orange-weißem Hintergrund, Auf schwarzem Hintergrund sieht man einen Totenschädel mit zwei gekreuzten Knochen.
    Volker Reinhardt: "Die Macht der Seuche"© Deutschlandradio / C.H. Beck Verlag
    Als Corona im Frühjahr in Italien wütete, erflehten die Menschen in den sozialen Medien die Wiederkehr eines gewissen Luchino Visconti. Der Alleinherrscher von Mailand hatte 1348 die gesamte Stadt abgeriegelt, um seine Bürger vor der Pest zu schützen. Der Wunsch nach Autoritäten ist nur eine von vielen Parallelen, die der Historiker Volker Reinhardt zwischen Gegenwart und Vergangenheit zieht. 57 Punkte

    3 (-) Ijeoma Oluo: "Das Land der weißen Männer"
    Aus dem Englischen von Benjamin Mildner
    Hoffmann & Campe, Hamburg 2021
    384 Seiten, 25 Euro

    DIe Autorin Ijeoma Oluo schreibt über die Geschichte der USA und als eine Geschichte weißer Männer, die sich über andere hinwegsetzten.
    Ijeoma Oluo: ""Das Land der weißen Männer"© Deutschlandradio/ Hoffmann und Campe
    Anders als in Western dargestellt, war das Skalpieren keine "Indianergrausamkeit". In Wahrheit waren die Skalps der Ureinwohner ein bezahlter "Arbeitsnachweis" bei der brutalen Landnahme durch die europäischen Siedler. Die Dominanz des weißen Mannes beruhe auf Lügen wie dieser, findet Ijeoma Oluo. Mit bitterbösem Spott beschreibt ihn die nigerianisch-amerikanische Autorin als mittelmäßige Figur, die vor den Problemen der Gegenwart nur kapitulieren kann. 45 Punkte

    4 (3) Julian Barnes: "Der Mann im roten Rock"
    Aus dem Englischen von Gertrude Krueger
    Kiepenheuer und Witsch, Köln 2020
    304 Seiten, 24 Euro

    Cover des Buchs "Der Mann im roten Rock" von Julian Barnes vor einem Aquarellhintergrund mit orangenen Farbflächen
    Julian Barnes; "Der Mann im roten Rock" © Kiwi Verlag / Deutschlandradio
    Die Belle Époque ließe sich aus Sicht vieler großer Persönlichkeiten erzählen: Oscar Wilde etwa, Guy de Maupassant oder Marcel Proust. Der Schriftsteller Julian Barnes wählt für sein buntes Epochenporträt eine Figur, die heute weitestgehend unbekannt ist: den Arzt Dr. Samuel Pozzi. Ein Freigeist, Visionär und Intellektueller, der sie alle kannte. 41 Punkte

    5 (-) "Nicola Gess: "Halbwahrheiten. Zur Manipulation von Wirklichkeiten""
    Matthes & Seitz, Berlin 2021
    157 Seiten, 14 Euro

    Das Cover des Buches von Nicola Gess, "Halbwahrheiten", auf orange-weißem Grund.
    Nicola Gess: "Halbwahrheiten"© Deutschlandradio / Matthes & Seitz
    Der Kern des Postfaktischen ist nicht die Lüge, sondern die Halbwahrheit, schreibt die Germanistin Nicola Gess. Sie seien deshalb so wirkungsvoll, weil sie sich scheinbar faktisch belegen ließen. Anhand von Uwe Tellkamp, Ken Jebsen und Claas Relotius zeigt sie: Mit Faktenchecks komme man gegen Halbwahrheiten nicht an. Ihr Prinzip sei nicht "wahr oder falsch", sondern "passend oder unpassend". 40 Punkte

    6 (-) Avi Loeb: "Außerirdisch. Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten"
    Aus dem Englischen von Jürgen Schröder
    DVA, München 2021
    272 Seiten, 22 Euro

    Buchcover von Avi Loeb: "Außerirdisch. Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten", DVA, 2021.
    Avi Loeb: „Außerirdisch. Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten“ © DVA / Deutschlandradio
    2017 entdeckte ein Teleskop auf Hawaii ein Flugobjekt mit seltsamen Eigenschaften in unserem Sonnensystem: "Oumuamua" hatte die Form einer Zigarette, leuchtete variabel und hinterließ keine Spuren von Gas oder Staub. War es ein solarbetriebenes Alien-Raumschiff? Harvard-Astronom Avi Loeb ist davon überzeugt – und stellt die Frage, was sich daraus für die Zukunft der Menschen ableiten lässt. 33 Punkte

    7 (9) Philippe Sands: "Die Rattenlinie – ein Nazi auf der Flucht"
    Aus dem Englischen von Thomas Bertram
    S. Fischer, Frankfurt am Main 2020
    25 Euro, 544 Seiten

    Das Cover von Philippe Sands Buch: "Die Rattenlinie – ein Nazi auf der Flucht: Lügen, Liebe und die Suche nach der Wahrheit"
    Philippe Sands: "Die Rattenlinie – ein Nazi auf der Flucht: Lügen, Liebe und die Suche nach der Wahrheit"© S. Fischer / Deutschlandradio
    Als "Rattenlinien" bezeichneten US-Agenten nach dem Krieg Fluchtrouten für Nazis. Einer jener flüchtigen NS-Verbrecher war Otto Wächter. Nach einer Begegnung mit dessen Sohn erzählt Philippe Sands, britischer Anwalt und Bestsellerautor, Wächters Leben. Eine Geschichte von Liebe, Intrigen, Spionage – und den Verstrickungen der katholischen Kirche. 31 Punkte

    8 (-) Annet Mooij: "Das Jahrhundert der Gisèle"
    Aus dem Niederländischen von Gerd Busse
    Wallstein, Göttingen 2021
    447 Seiten, 34 Euro

    Cover des Buches "Das Jahrhundert der Gisele" von Annet Mooij auf orange-weißem Grund
    Annet Mooij: "Das Jahrhundert der Gisele"© Deutschlandradio / Wallstein
    Als die Nazis die Niederlande besetzt hatten, bot die Künstlerin Gisèle van Waterschoot ihren jüdischen Freunden Schutz in ihrer Amsterdamer Wohnung. Unter ihnen auch der Dichter Wolfgang Frommel, der nach dem Krieg die Kulturstiftung "Castrum Peregrini" gründete – ein von sexueller Ausbeutung überschatteter Männerbund, protegiert von Gisèle. Die Rekonstruktion eines bewegenden Lebens. 30 Punkte

    9 (-) Julia Leeb: "Menschlichkeit in Zeiten der Angst"
    Suhrkamp, Berlin 2021
    234 Seiten, 18 Euro

    Das Cover von Julia Leebs Buch "Menschlichkeit in Zeiten der Angst" auf orange-weißem Hintergrund
    Julia Leeb: "Menschlichkeit in Zeiten der Angst"© Deutschlandradio / Suhrkamp
    Sie will die toten Winkel der Welt beleuchten, sagt die Fotoreporterin Julia Leeb. Die Orte, von denen sonst keine Dokumente nach außen dringen. Diese lebensgefährlichen Reisen in den Sudan, nach Nordkorea oder zu den Warlords im Kongo sind Gegenstand ihres Reportagebandes. Leeb zeigt: Es sind vor allem die Frauen, die auch in den schlimmsten Krisen Hoffnung geben. 27 Punkte

    10 (-) Elif Shafak: "Hört einander zu!"
    Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
    Kein & Aber, Zürich 2021 (erscheint am 16.März)
    96 Seiten, 12 Euro

    Das Cover von Elif Shafaks Buch: "Hört einander zu!" auf orange-weißem Hintergrund. Autor und Titel stehen auf dem Cover.
    Elif Shafak: "Hört einander zu!" © Deutschlandradio / Kein & Aber
    "In dem Moment, in dem wir damit aufhören, uns widersprüchliche Meinungen anzuhören, können wir auch nichts Neues mehr lernen", schreibt Elif Shafak. Genau diese Gefahr sieht die türkisch-britische Bestseller-Autorin aber in den Echokammern der sozialen Medien. Sie zeigt Wege auf, wie wir durch Einfühlungsvermögen unseren Glauben an eine bessere Zukunft zurückgewinnen können. 25 Punkte

    10 (-) Emilia Roig: "Why we matter. Das Ende der Unterdrückung"
    Aufbau, Berlin 2021
    397 Seiten, 22 Euro

    Das Cover von Emilia Roigs Buch: "Why we matter" auf orange-weißem Hintergrund
    Emilia Roig: "Why we matter"© Deutschlandradio / Aufbau Verlag
    Es beginnt mit einer Fliege. Statt sie totzuschlagen, versucht Emilia Roig, mit ihr zu leben: "Der neue Blick erlaubt mir, sie als lebenswert zu sehen", schreibt die Diskriminierungsforscherin. Einen Perspektivwechsel will auch sie herbeiführen. Roig mischt Biografisches mit postkolonialer Theorie, um zu zeigen, wie Minderheiten systematisch unterdrückt werden. Ein Plädoyer, die Welt neu zu denken. 25 Punkte

    So funktioniert die Abstimmung:

    Jedes Jurymitglied vergibt an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.

    Die Jury der Sachbuch-Bestenliste:

    René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur)
    Peter Arens (ZDF)
    Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur)
    Ralph Bollmann (FAS)
    Stefan Brauburger (ZDF)
    Alexander Cammann (DIE ZEIT)
    Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel)
    Heike Faller (DIE ZEIT)
    Daniel Fiedler (ZDF)
    Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch)
    Manuel J. Hartung (DIE ZEIT)
    Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur)
    Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur)
    Inge Kutter (DIE ZEIT)
    Hannah Lühmann (DIE WELT)
    Ijoma Mangold (DIE ZEIT)
    Susanne Mayer (DIE ZEIT)
    Tania Martini (taz)
    Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur)
    Jutta Person (freie Literaturkritikerin)
    Bettina von Pfeil (ZDF)
    Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung)
    Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur)
    Anne Reidt (ZDF)
    Anna Riek (ZDF)
    Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte)
    Hilal Sezgin (freie Autorin)
    Catrin Stövesand (Deutschlandfunk)
    Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
    Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg)

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