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Composer Pianisten von heute: Fazil Say
Sein Leben, seine Luft

Mozart hat es getan, Chopin oder Clara Schumann: sie schrieben ihre eigenen Klavierkonzerte. Der türkische Pianist Fazil Say nimmt diese fast verlorene Tradition wieder auf. Seine Ideen sprudeln und verbinden dabei Klassik mit Jazz und türkischer Volksmusik.

Von Philipp Quiring | 12.10.2021
    Fazil Say bei einer Outdoor-Konzertveranstaltung in Kirazli, bei der er auf der Bühne vor seinem Klavier steht und sich verbeugt. Im Hintergrund steht ein großer Baum, der scheinbar aus dem Flügel erwächst.
    Fazil Say hat mehrere Konzerte für Klavier und Orchester geschrieben. (The Associated Press)
    "Er ist voll mit Ideen. Er schreibt, komponiert wahnsinnig ernst. Er ist sehr fleißig. Das ist sein Leben, seine Luft." So erinnern sich die Zwillinge und Pianistinnen Ferhan und Ferzan Önder an Say. Sie lernten ihn bereits während seines Studiums in Ankara kennen. Sie haben ihn noch vor Augen, wie er immer mit Noten in den Händen herumgelaufen ist.

    Für die eigenen Fähigkeiten schreiben

    Der türkische Pianist Fazil Say setzt als Komponist eine Tradition fort, die über viele Jahre verschwunden war: Er schreibt für sich selbst Klavierkonzerte, so wie vor ihm Bach, Mozart, Beethoven oder auch Rachmaninow, Mendelssohn oder Chopin. Ziel dieser komponierenden Pianisten: das eigene, besondere Können und die Vorlieben ins Pianisten-Schaufenster zu stellen und das im Stil der aktuell angesagten "Musik-Mode".
    Fazil Say mit dunklen Haaren spielt auf einem großen Flügel. Hinter ihm sitzt das ihn begleitende Orchester.
    Fazil Say bringt seine politische Haltung inzwischen vor allem durch Musik zum Ausdruck, auch in seinen Klavierwerken. (imago stock&people)
    Mit seiner Musik verbindet Say Klassik und Jazz mit türkischer Volksmusik. So knüpft er an die erste Generation klassischer Komponisten in der Türkei an, an die sogenannten türkischen Fünf, die Anfang des 20. Jahrhunderts die türkische Klassik prägten. Werke dieser Fünf, darunter Ferit Alnar, Necil Kâzım Akses und Ahmed Adnan Saygun, spielt er gerade in einer großen Edition ein.

    Körperlichkeit beim Spiel

    "Meine Musik ist nicht super Avantgarde und nicht extrem abstrakt", sagt Fazil Say. "Sondern es ist mehr eine konkrete Musik, die ich gerne höre. Sie hat einen Kontakt zum Menschen, zum Zuschauer." Diese Nähe zum Zuschauer erreicht Fazil Say auch durch seine expressiven Auftritte. Sein Spiel ist körperbetont: Er stampft mit dem linken Fuß, schnaubt und singt hörbar und ackert sich vornübergebeugt am Klavier ab. Klatschnass-durchgeschwitzt und sichtbar außer Atem ist er dann nach einem solchen Konzert.

    Das Weltgeschehen mit Musik kommentieren

    Die Inspiration für seine Kompositionen kommt oft aus seiner türkischen Heimat. Es können Orte sein, wie Istanbul für die Istanbul-Symphonie oder Anatolien für das Klavierkonzert "Silence in Anatolia". Im Cellokonzert oder der vierten Symphonie verarbeitet Say dagegen IS-Terrorattacken und die Hoffnungslosigkeit angesichts des Terrors.
    Die Proteste im Gezi Park 2013 spiegeln sich in gleich drei Werken des Pianisten. Darunter ein Konzert für zwei Klaviere, das er den Önder-Schwestern gewidmet hat. Politische Positionen lässt Fazil Say inzwischen vor allem durch seine Musik durchschimmern. 2013 wurde ein Gerichtsprozess gegen ihn angestrengt. Zu kritisch, zu laut hat er seine Meinung zur türkischen Politik geäußert.
    Letzten Endes wurde das Verfahren eingestellt. Trotzdem: Fazil Say hält sich mit religions- oder regierungskritischen Kommentaren zurück. Seine Musik erhält dadurch mehr Gewicht.