Lebererkrankungen

Die unerkannte Gefahr

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Nahaufnahme eines Auges mit einer gelblichen Verfärbung der Lederhaut.
Bei Vorsorgeuntersuchungen sollte man sich gezielt auf Lebererkrankungen abchecken lassen, raten Experten. © Unsplash / Lucas Doddema
Von Magdalena Neubig · 21.10.2021
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Was ist rot-bräunlich, ganze 1,5 Kilo schwer und liegt im rechten Oberbauch? Die Leber! Als zentrales Stoffwechselorgan ist sie anfällig für Erkrankungen. Doch die sind schwer zu bemerken. Wenn aber etwas mit der Leber nicht stimmt, wird es brenzlig.
"Die Leber, wenn man das bildlich sieht, könnte man auch als Kläranlage bezeichnen, weil sie die Giftstoffe entgiftet, die aus dem Darm kommen", sagt Marcus Cornberg. Er ist Professor für Infektiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und zudem medizinischer Geschäftsführer der Deutschen Leberstiftung.
"Zweitens kann man es als große Fabrik bezeichnen, weil zum Beispiel bestimmte Eiweißstoffe in der Leber gebildet werden, die für die Gerinnung notwendig sind. Auch Immunzellen sind in der Leber."
Weil die Leber ein so komplexes Organ ist, ist sie auch anfällig für die unterschiedlichsten Erkrankungen. Hepatitis, also Leberentzündungen, Stoffwechselerkrankungen sowie genetische und Autoimmun-Krankheiten.

Erkrankungen bleiben oft unbemerkt

Das Problem: Viele Menschen merken lange Zeit nichts von ihren Erkrankungen. Die Deutsche Leberstiftung geht davon aus, dass es mindestens 5 Millionen Leberkranke in Deutschland gibt, davon etwa eine Million, die von einer Virusinfektion betroffen sind. Da die Leber aber stumm leidet und die Symptome für Lebererkrankungen wie etwa Müdigkeit und Konzentrationsstörungen sehr unspezifisch sind, erkennen sie viele nicht frühzeitig. Und das kann lebensgefährlich werden: Denn wenn die Leber aufhört zu arbeiten, tritt innerhalb weniger Stunden bis Tage der Tod ein.
Marcus Cornberg empfiehlt deshalb, sich bei Vorsorgeuntersuchungen gezielt auf Lebererkrankungen abchecken zu lassen.
"Es gibt Leberwerte – ALT, AST und die Gamma GT– wenn die erhöht sind, dann sollte man auf jeden Fall spezifische Lebererkrankungen ausschließen. Und die Leberwerte sind ganz leicht zu messen, das kann jeder Hausarzt machen."
Problematisch aber sei, dass die Leberwertmessungen nicht standardmäßig bei Vorsorgeuntersuchungen kontrolliert werden. Und dass es vielen Patient*innen unangenehm sei, selbst um die Tests zu bitten.

"Die Leber ist in der Schmuddelecke"

"Die Leber ist natürlich immer in der Schmuddelecke, was Erkrankungen angeht. Leber denkt man immer gleich an Alkohol. Ah man ist leberkrank, ja das ist ein Alkoholiker. Und das führt dazu, dass das immer unter dem Radar war, dass man ungern über Lebererkrankungen spricht."
Exzessiver Alkoholkonsum ist zwar eine Ursache von Lebererkrankungen, aber eben nur eine. Weitere Ursachen sind Diabetes und vor allem Übergewicht. Etwa ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland leidet nach Angaben der Deutschen Leberstiftung an einer Fettleber. Dazu gehört auch Elisa Hartmann, die eigentlich anders heißt. Nach einer Gallenoperation wurde sie von ihrer Hausärztin auf das Problem aufmerksam gemacht.
"Was eine Fettleber angeht, die nicht alkoholisch bedingt sind, das war mir gar nicht geläufig. Das habe ich also erst im Zusammenhang mit meinen eigenen Leberwerten gehört. Dass sich letztlich auch geringeres Übergewicht dann schon so negativ auswirken kann."
Für Menschen mit Fettleber steigt das Risiko von Leberentzündungen, Leberkrebs und Diabetes. Denn eine verfettete Leber arbeitet langsamer, und die Blutzucker- und Blutfettwerte steigen an.

Lebererkrankungen lassen sich gut behandeln

Die gute Nachricht ist aber, dass sich Lebererkrankungen, wenn sie nicht schon zu weit fortgeschritten sind, gut behandeln lassen. Denn die Leber zeichnet eine besondere Eigenschaft aus: Sie kann sich unglaublich gut regenerieren. Selbst wenn schon viele ihrer Zellen zu Grunde gegangen sind. Ganz wie in der Geschichte vom griechischen Titanen Prometheus, dessen Leber immer wieder nachwächst, nachdem ein Adler davon gefressen hat.
"Das hat man sich zu Nutze gemacht in der Transplantationsmedizin, sodass man Kindern die Hälfte einer Leber von Mutter oder Vater transplantieren kann und die Leber bei der Mutter oder Vater wächst dann nach", sagt Marcus Cornberg.
Auch eine Fettleber kann sich also wieder regenerieren. Innerhalb weniger Wochen bis Monate kann sie auf ihre Normalgröße zurückgehen. Und das nicht durch eine medikamentöse Behandlung, sondern durch eine veränderte Lebensweise: Mehr Bewegung hilft, kein Alkohol und kalorienärmeres Essen.

Industriezucker, Weizenprodukte und fettes Fleisch sind Tabu

In Elisa Hartmanns Küche hängt inzwischen ein Zettel, auf dem vermerkt ist, welche Lebensmittel besonders leberfreundlich sind und welche nicht. Industriezucker, Weizenprodukte und fettes Fleisch sind Tabu. Stattdessen stehen Artischocken, Rucola, Grapefruit, Rosenkohl und vieles mehr auf dem Speiseplan. Zwei Drittel ihrer Mahlzeiten bestehen jetzt aus Gemüse und Salat.
"Es ist mir nicht schwergefallen, weil die Grundstruktur der Ernährung hatte ich schon vorher, aber eben die Mengenverhältnisse waren ganz andere. Und man soll nicht mehr als 60 Gramm Fett am Tag zu sich nehmen, da gucke ich jetzt einfach auch drauf, dass ich das so einhalte."
Alina Walter ist Ernährungsberaterin in Berlin und unterstützt viele Menschen mit Lebererkrankungen bei der Ernährungsumstellung. Sie rät, sich dafür genügend Zeit zu nehmen, da ja zum Teil jahrzehntelange Gewohnheiten verändert werden müssen.
"Bei einer Ernährungsumstellung geht es ja darum, potenziell krankmachende Gewohnheiten durch Gesündere zu ersetzen. Die Voraussetzung, dass das gelingt ist: Die neue Ernährung muss zu uns passen, sie muss satt machen und vor allem sie muss schmecken. Nur so bleibt man auf Dauer dran."

Die Leber braucht auch Pausen

Man sollte sich konkrete Ziele setzen und mit den Gewohnheiten anfangen, die man am leichtesten ablegen kann. Also etwa Olivenöl statt Sonnenblumenöl verwenden oder ab sofort bei jeder Mahlzeit mindestens eine Portion Gemüse essen.
"Was immer ganz wichtig ist, ist, dass die Leber auch Pausen braucht. Also dass man versucht auch Essenspausen einzulegen zwischen den Mahlzeiten – idealerweise so 4 bis 5 Stunden, damit in dieser Zeit auch wirklich der Fettabbau in der Leber gefördert werden kann."
Darüber hinaus ist es wichtig, täglich zwei Liter Wasser oder ungesüßte Tees zu trinken. Der Leberexperte Markus Cornberg hat außerdem eine gute Nachricht für alle Kaffeeliebhaber.
"Was man gut machen kann, ist Kaffee trinken! Da gibt’s gute Studien, zwei Tassen Kaffee am Tag sind Leberprotektiv. Wer Kaffee trinkt, kriegt weniger häufig eine Leberzirrhose."
Wie lange die Leber braucht, um sich zu regenerieren, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Elisa Hartmann ernährt sich jetzt schon knapp vier Monate lang bewusst leberfreundlich. Bei der letzten Untersuchung waren ihre Leberwerte noch nicht wesentlich besser, aber:
"Ich fühle mich schon besser, was auch damit zusammenhängt, dass ich seit dieser Umstellung der Ernährung, das, was ich mir in den letzten Jahren als Übergewicht zugelegt habe – so 6,7 Kilo – die habe ich verloren."
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