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Wenn der Schmerz nicht ausreichend behandelt wird

Schmerzen der Patienten müssen ernst genommen werden. Das ist die zentrale Botschaft, die vom deutschen Schmerzkongress vergangenes Wochenende ausging. 2300 Mediziner sprachen über neueste schmerztherapeutische Verfahren. Eine ganze Reihe verschiedener Studien, die in Bremen präsentiert wurden, beschäftigten sich auch mit alternativen Schmerzbehandlungen. Darüber hinaus richtet sich der Blick der Schmerzmediziner zunehmend auch auf die Krankenhäuser in Deutschland, denn dort werden Patienten immer noch unzureichend gegen Schmerzen behandelt.

Von Michael Engel | 25.10.2005
    Akupunktur mindert die Schmerzen! Insofern war die Studiensituation bisher eindeutig. Verwirrung indes stiftet die gerade abgeschlossene "ART-Studie" der Uni München und der Berliner Charité. Demnach profitieren auch diejenigen Patienten, bei denen im Rahmen einer so genannten "Scheinakupunktur" die Nadeln an völlig falschen Stellen gesetzt wurden. Auch in diesem Fall ließen sich die Schmerzen um die Hälfte mindern. Prof. Michael Zenz von der Ruhr-Universität Bochum und Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes, mit einem Erklärungsversuch:

    " Es kommt damit aber sicherlich zum Ausdruck, dass aufgrund dieser Nadelung eben auch eine sehr intime, eine sehr vertraute Beziehung zwischen Therapeut und dem Patienten aufgebaut werden kann. Und das sollten wir auch positiv sehen. Wir sollten einfach sehen, dass alles, wo Vertrauen höher ist, eine positive Wirkung in der Medizin ausübt. "

    Der kuriose Befund hat auf dem Schmerzkongress eine heftige Diskussion ausgelöst. Kritiker fragen: "Welchen Sinn macht die langwierige Ausbildung zum Akupunkturarzt überhaupt, wenn praktisch jeder - ohne Vorkenntnisse - das gleiche Ergebnis erzielt? Doch nicht nur bei der Akupunktur, auch sonst sind Placebos - also Scheinmedikamente - gerade in der Schmerztherapie überaus wirksam.

    " Wir dürfen das nicht nur verdammen. Das ist sicher auch einer der positiven Effekte dieser Studie, nachgewiesen zu haben, dass Methoden, die keine schädlichen Wirkungen hervorrufen, heilsame Wirkungen beim Krankheitsverlauf hervorrufen können. Und daran sollten wir weiter arbeiten. "

    Als Herausforderung sieht die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes auch das Projekt "schmerzfreies Krankenhaus". Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass 60 Prozent der Patienten in deutschen Krankenhäusern unzureichend versorgt werden und unter Schmerzen leiden. "In erster Linie ist es die Unkenntnis der Ärzte und der Pflegenden über das Ausmaß der Schmerzen ihrer Patienten", so die niederschmetternde Beobachtung, die Projektleiter Prof. Christoph Maier vom Klinikum der Ruhr-Universität Bochum gemacht hat.

    " Diese Versorgungslücken sind überraschender Weise nicht nur im operativen Bereich, sondern eben auch gerade besonders häufig bei konservativen Abeilungen zu sehen - internistischen Erkrankungen wie Angina pectoris, wie Diabetes mellitus, also bei Patienten, die gar nicht operiert werden. "

    Sogar Patienten, die ihre Schmerzen gegenüber dem Krankenhauspersonal äußern, werden in ihrer Not allein gelassen. Nach Meinung des Experten fehlen in diesen Häusern entsprechende Richtlinien, die verbindlich festlegen, dass die Schmerzen der Patienten auch dokumentiert werden müssen. Informationen über die Schmerzen eines Patienten bleiben so bei der Stationsschwester hängen, ohne dass der Arzt informiert wird. Im Extremfall fehlen die lindernden Präparate auf Station sogar.

    " Es gibt Kliniken, bei denen sich Patienten gar nicht melden. Wenn sie Schmerzen haben. Möglicherweise haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht, oder niemand weiß, was er dann tun soll. Das ist auch im inneren Bereich häufiger als im operativen. "

    Mehr als 4000 Patienten, 3000 Pflegekräfte und 1000 Ärzte wurden befragt, um die schmerztherapeutischen Versorgungslücken im deutschen Kliniksystem aufzudecken. Herausgekommen ist ein ganzer Strauß von Veränderungsvorschlägen: neue Dokumentationssysteme, pflegerische Handlungsanweisungen und Schmerzsprechstunden. Fünf Kliniken in Deutschland setzten das Verfahren seit wenigen Wochen ein. Jetzt denkt Prof. Christoph Maier an eine Zertifizierung aller anderen Krankenhäuser in Deutschland, damit kein Patient mehr Schmerzen erleiden muss.

    ".... und ich glaube, dass wenn es sich rumspricht, dass Schmerztherapie ein wesentlicher Bestandteil der Qualität der Klinik X ist, und Patienten lernen danach zu fragen. Wenn Sie sich allein mal anschauen, auf dem typischen Informationsblatt, dass jeder Patient heute kriegt, wenn er in eine Klinik kommt, da steht dann drauf, wo er operiert wird und wo es das Fernsehen gibt usw. ... Ich ruf die Patienten auf, schauen Sie doch mal nach, ob da was über Schmerztherapie steht. Wenn nichts dasteht, dann hat die Klinik den Zug der Zeit noch nicht verstanden. Fragen Sie nach und entscheiden Sie sich gründlich. "