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Memoiren von Shirin Ebadi
Ein Kampf für Menschenrechte im Iran

Oppositionelle verlieren oft den Einfluss auf das Geschehen in ihrer Heimat, wenn sie vor ihren Gegnern ins ausländische Exil fliehen müssen. Wie man sich dagegen wehrt, zeichnen die Erinnerungen der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi nach. Sie liegen nun in deutscher Übersetzung vor.

Von Ulrich Pick | 05.12.2016
    Die iranische Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi während des Welttages der Pressefreiheit beim 30. Geburtstag von "Reportern ohne Grenzen" am 3. Mai 2015 in Paris.
    Die iranische Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi (AFP/Joel Saget)
    "Die Geschichte des Irans ist die Geschichte meines Lebens."
    Es ist ein Schlüsselsatz, mit dem die Memoiren von Shirin Ebadi beginnen. Die Friedensnobelpreisträgerin sieht nämlich ihr eigenes Leben unmissverständlich mit den politischen Umständen in der Islamischen Republik verknüpft. Oder anders gesagt: Solange die im Exil lebende Anwältin nicht zurück in ihr Heimaltland reisen kann, um dort unbehindert zu arbeiten, ist die Menschenrechtslage in Iran als prekär zu bezeichnen.
    Schikanen des Geheimdienstes
    Für die vorliegenden Aufzeichnungen aus den Jahren 2005 bis 2015 heißt dies: Sie sind persönliche Erinnerungen und zeitgeschichtliche Analyse in einem. In der ersten Hälfte des Buches schildert Shirin Ebadi ihre Arbeit als Anwältin in Teheran. Das Renommee des 2003 verliehenen Nobelpreises verleiht ihr zwar eine persönliche Unantastbarkeit, doch die islamistische Nomenklatura legt ihr Steine in den Weg, wann immer es möglich ist: Ihre Sekretärinnen und Assistentinnen werden bedroht oder verhaftet, die Behörden verweigern ihr Informationen und Akteneinsichten, Mitarbeiter des Geheimdienstes schikanieren sie und ihr Büro wird von staatlich organisierten Schlägern demoliert. Trotz dieser widrigen Umstände lässt sich Shirin Ebadi nicht einschüchtern. Denn sie versteht sich weder als prominente Oppositionelle noch als Regime-Kritikerin:
    "Ich war einfach nur ehrlich in Bezug auf das rechtliche Klima des Landes und versuchte nicht bewusst, den Staat herauszufordern. Heute weiß ich jedoch, dass friedlicher Ungehorsam eine machtvolle Trotzreaktion sein kann – etwas, was ich im Lauf der Zeit lernte. Nach einer Weile kamen Menschen zu mir, die es sich nicht leisten konnten, einen Anwalt zu engagieren – unter ihnen viele, die eines politischen Verbrechens beschuldigt worden waren."
    Iranische Juristen: Wenig Ahnung vom islamischen Recht
    Wer in juristisch schwieriger Lage ist, sucht Hilfe bei Shirin Ebadi. Und die Friedensnobelpreisträgerin sagt selten "nein". Sie unterstützt Frauen in ihrem Kampf um mehr Rechte, verteidigt politische Dissidenten und kritische Journalisten, ermutigt Sufis, die von einem islamistischen Mob attackiert worden sind, und nimmt sich der verhafteten Führung der iranischen Bahai-Gemeinde an – auf die Gefahr, von Anhängern des Regimes als Apostatin denunziert zu werden.
    Die meisten dieser Fälle beschreibt Shirin Ebadi recht ausführlich. Sie zeichnet damit gleichzeitig ein detailliertes Bild vom öffentlichen Leben in ihrem Land. Für einen Leser aus der westlichen Welt ist dies ausgesprochen hilfreich. Interessant in diesem Zusammenhang ist beispielsweise ihr Hinweis, dass die Jura-Studenten von heute weit weniger islamisches Recht zu lernen haben als sie selbst zur Zeit ihrer Ausbildung unter dem Schah – und dies obgleich das einst säkulare Recht nach der islamischen Revolution durch die Scharia ersetzt wurde.
    "Woran lag das? Im Wesentlichen daran, dass die Architekten des Bildungssystems der Islamischen Republik den Studenten nicht die Feinheiten des islamischen Rechts, der islamischen Philosophie und Tradition vermitteln wollten. Gut ausgebildete Studenten würden in der Lage sein, für eine moderne Auslegung des islamischen Rechts einzutreten. Doch die Islamische Republik wollte unkundige Muslime, die keine islamischen Rechtsdebatten führen konnten. Denn Muslime, die ihre Religion kannten, waren potentielle Feinde des Regimes."
    Das Jahr 2009 bildet eine Zäsur im Leben Shirin Ebadis. Im Frühjahr bricht sie zu einer Vortragsreise nach Spanien auf. Während sie im Ausland ist, wird Präsident Mahmud Ahmadinedschad wiedergewählt. Da das Ergebnis des Urnengangs mutmaßlich manipuliert ist, kommt es zu den größten Protesten in Iran seit der Islamischen Revolution. Dutzende Demonstranten werden von den Sicherheitskräften umgebracht und hunderte festgenommen, so dass Freunde in Teheran der Nobelpreisträgerin raten, vorerst nicht zurückzukommen.
    Erfolgreiche Erpressung durch das Regime
    Sie wohnt bei ihren Töchtern in Großbritannien und den USA, bekommt Unterstützung von ausländischen Freunden, fühlt sich aber einsam. Täglich verfolgt sie die Lage in Iran und telefoniert mit ihrem Mann Javad. Eines Tages berichtet er ihr mit gebrochener Stimme, dass er sich auf Vermittlung einer Bekannten mit einer früheren Geliebten getroffen und mit ihr geschlafen habe. Während des Aktes seien Männer ins Schlafzimmer gekommen, hätten ihn wegen Ehebruchs festgenommen, ins Gefängnis gebracht und zum Tode durch Steinigung verurteilt.
    Auf seine Forderung nach einem Rechtsanwalt, entgegnen ihm die Ankläger, man habe seinen Ehebruch gefilmt. Wenn er dem Todesurteil noch entgehen wolle, solle er lediglich seine Frau öffentlich denunzieren. Javad willigt ein und muss vor laufender Kamera einen vorgefassten Text aufsagen. Das Video wird in den staatlichen Fernsehnachrichten ausgestrahlt. Als kurze Zeit später in Iran auch noch ihre Schwester festgenommen und ein Großteil ihres Eigentums vom Staat konfisziert wird, steht für Shirin Ebadi fest, dass sie auf absehbare Zeit nicht zurück in ihre Heimat wird reisen können. Was ihr bleibt, ist Optimismus und der entschlossene Einsatz für Menschenrechte:
    "Ich hoffe und bete vor allem dafür, dass die derzeitigen Führer der Islamischen Republik den Iran nicht ein für alle Mal verändern. Ich weiß, dass ich eines Tages dorthin zurückkehren werde. Aber ich bin mir nicht sicher, ob dieser Iran dann noch der derselbe sein wird wie der, den ich verlassen habe."
    Trotz Rückschlägen - ein ermutigendes Vorbild
    Das vorliegende Buch ist das spannende Zeugnis einer beeindruckenden Frau, die trotz vieler Rückschläge ihren Mut nicht verloren hat, auf die problematische Menschrechtslage in ihrer Heimat aufmerksam zu machen. Es ist zudem ein sehr persönliches Dokument der Zeitgeschichte über ein Land, dessen Bedeutung in der Weltpolitik nicht unterschätzt werden sollte. Auch wenn man sich ein gewissenhafteres Lektorat gewünscht hätte – denn es haben sich etliche stilistische und grammatikalische Fehler eingeschlichen: Shirin Ebadis Memoiren sind ausgesprochen lesenswert. Denn ihre persönliche Geschichte macht – wie sie abschließend notiert – eines sehr deutlich:
    "Wenn eine Nobelpreisträgerin, die Zugang zu Medien aus aller Welt hat und selbst Anwältin mit genauen Kenntnissen des iranischen Rechtssystems ist, derart behandelt wird, dann können sie sich vorstellen, wie diese Regierung mit Bürgern verfährt, die nicht über derlei Möglichkeiten und Kenntnisse verfügen."
    Shirin Ebadi: Bis wir frei sind. Mein Kampf für Menschenrechte im Iran.
    Piper Verlag, 304 Seiten, 22 Euro.