Dienstag, 16. April 2024

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"Mensch Meier" in München
Geplatzte Träume in kindlicher Atmosphäre

Franz Xaver Kroetz' Theaterstücke zeigen Menschen, die von der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit weit entfernt waren, unglücklich und sprachlos. David Bösch bringt sein Stück "Mensch Meier" in München auf die Bühne - geschickt hat er dabei die allzu deutliche Verwurzelung der Handlung in den 1970er-Jahren herausgekürzt.

Von Sven Ricklefs | 11.01.2016
    Der Schriftsteller Franz Xaver Kroetz, Aufnahme vom Februar 2015
    Der Schriftsteller Franz Xaver Kroetz, Aufnahme vom Februar 2015 (picture alliance / dpa)
    Die silberne Hochzeit hängt als 25 in eben dieses Silber gefasst wie eine Drohung über demjenigen Ehebett, auf dem sie gleich zu Beginn über Eck sitzen: die Meiers. Otto und Martha. Nach dem Sex. Der hat offensichtlich nicht geklappt, weil er mit den Gedanken woanders war. Doch nicht bei den Sauereien wie sie denkt, sondern bei dem teuren Kugelschreiber, den er seinem Chef geliehen hat. Der hat ihn eingesteckt.
    In Hausschlappen und Strümpfen sitzen sie da. Und in Unterwäsche. Erotik sieht anders aus. Dies hier ist Ehealltag bei Meiers. Ein paar Meter die scheußliche Schrankwand weiter, lässt sich das Kinderbett ausklappen, Hier schlafe ich, steht darüber. Der Schrank daneben ist voller Cornflakespackungen. Und der Junge voller Pickel. Pubertät eben. Maurer will er werden, soll er aber nicht. Was Besseres soll er werden. Bankangestellter oder Zahntechniker.
    "Schau, dein Papa ist ein Arbeiter, auch, wenn er nicht schlecht verdient. Da kann man nichts mehr machen. Aber du: Du musst die nächste Sprosse erklimmen, sonst hätt das doch alles keinen Sinn, was man für dich getan hat."
    Erotik ist längst dahin
    Die Erotik also ist längst dahin und die Träume sind gewaltsam auf das einzige Kind projiziert: So sieht sie aus, die Welt in Franz Xaver Kroetz´ "Mensch Meier". Bis das Kind, das die Träume nicht erfüllt, sondern stattdessen im Bett liegt oder Cornflakes mampft, bis dieses Kind 50 Mark klaut aus der Haushaltskasse und damit die Meierwelt in die Luft sprengt, weil der Vater explodiert und die Schrankwand zerschlägt. Und die Mutter den Vater verlässt. Und weil auch das Kind geht und Maurer wird und damit Arbeiter, wie der Vater, auch wenn der Junge alles werden will, nur nicht so, wie der:
    - "Ich kenne mich aus in der Welt, so einen wie dich können die da nicht brauchen. Das ist so sicher, wie das Amen im Gebet. Mir bist du nicht nach."
    - "Lieber tot, als so wie du."
    David Bösch hat sich im Münchner Marstall von seinem Bühnenbildner Patrick Bannwart einen Einheitsraum bauen lassen, der Schlafzimmer ist und Küche, Supermarkt und Hobbykeller, in dem Mensch Meier mit seinen Segelflugmodellen seinen hochfliegenden Träumen nachsinnt. Zugleich ist dies alles geprägt von den Teddybären, Popplakaten und Spielzeugen des Sohnes. Es ist, als habe Regisseur David Bösch diese Welt bewusst ein wenig kindlich gestaltet, um gerade auch der fast kindlichen Gedankenwelt des Elternpaares nachzuspüren, ihren Aufstiegsträumen oder ihrer ernsthaften Beschäftigung mit verlorenen Kugelschreibern.
    Dabei stammt "Mensch Meier", uraufgeführt 1978, zugleich aus einer Phase, in der sich die Figuren von Franz Xaver Kroetz längst schon aus ihrer anfänglichen Sprachlosigkeit befreit hatten und reflexionsfähig geworden waren. Gerade auch Otto Meier:
    - "Wenn ich ein bisschen zu viel trinke, dann möchte ich eine Rasierklinge nehmen und mich von oben bis unten aufschlitzen. Und dann habe ich die Idee, aus der Haut steigt ein anderer heraus, der eigentlich ich bin und dem bloß der Weg versperrt war."
    Otto Meier kann nicht aus sich heraus
    Doch Otto Meier kann nicht aus sich heraus, er bleibt der sich seiner selbst schämende Rohrkrepierer. Wie die Silvesterrakete, die er am Schluss im Münchner Marstall in die Luft hält und die nicht zündet.
    Behutsam und mit viel Respekt für die Figuren hat David Bösch gemeinsam mit seinen drei starken Schauspielern das Stück in Szene gesetzt. Geschickt hat er dabei die allzu deutliche Verwurzelung der Handlung in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts herausgekürzt und kann trotzdem nicht ganz verhindern, dass gerade auch das Kroetzsche Frauen- und Männerbild heute leicht antiquiert wirkt.
    Doch auch, wenn seine Stücke inzwischen Patina angesetzt haben, ist es gut und richtig, dass eine Münchner Institution wie das Residenztheater Werke dieses im deutschsprachigen Raum kaum noch gespielten Autors immer wieder auf den Spielplan setzt.