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Menschenrechte
"Ein Fehler der internationalen Staatengemeinschaft"

Laut Amnesty International war 2014 ein schwarzes Jahr für die Menschenrechte. Karl-Georg Wellmann hält das für eine Folge einer verfehlten Interventionspolitik des Westens. "Die internationale Staatengemeinschaft hat die Vorstellung gehabt, man müsse nur den Diktator abräumen und schon würde eine blühende Demokratie ausbrechen, und das ist ein kardinaler Fehler", sagte der CDU-Außenpolitiker im Deutschlandfunk.

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 25.02.2015
    Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann
    Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann (imago stock&people)
    Die Welt brauche eine neue Form der Krisenbewältigung, sagte Wellmann, der für CDU im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt. "Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass nach unserem westlichen Wesen die Welt genesen soll." Man müsse andere Wertsysteme anerkennen.
    Wellmann verteidigt Waffenlieferungen an kurdische Kämpfer
    Amnesty International registrierte in seinem Jahresbericht 2014 in 160 Staaten Verletzungen der Menschenrechte, davon in 35 durch bewaffnete Gruppen. In einem nachdrücklichen Video fasst die Menschenrechtsorganisation ihre Bilanz zusammen: "62 Regierungen haben politische Gefangene, vier Millionen Menschen sind wegen des Konflikts in Syrien geflohen, 78 Länder kriminalisieren gleichgeschlechtliche Partnerschaften, 82 Prozent aller Staaten, das macht 131, folterten oder misshandelten Menschen."
    Zur weltweiten Lage der #Menschenrechte: http://t.co/WCFrwlM2tb #AIR2015— Amnesty Deutschland (@amnesty_de) 25. Februar 2015
    Die Lieferung von Waffen an kurdische Kämpfer verteidigte Wellmann. "Wir kontrollieren, was mit den Waffen passiert. Aber endgültige Sicherheit kriegen sie nie." Man müsse sich die Frage stellen: "Was ist schlimmer? Bei einem Völkermord zusehen und moralisch sauber bleiben? Oder sagen wir 'Nein!' und entscheiden uns, Waffen zu liefern um zu verhindern, dass noch Schlimmeres passiert?"
    Langfristig müssten die Ursachen der Flucht vieler Menschen bekämpft werden. "Die Menschen müssen Lebensumstände vorfinden, die sie nicht zur Flucht treiben. Europa muss sehr viel mehr tun, auch Deutschland kann und soll noch mehr tun."
    Keine Chancen räumte er der Forderung Amnestys ein, dass die Vetomächte im Sicherheitsrat bei Menschenrechtsverletzungen auf ihr Vetorecht verzichten sollten. Einem solchen Vorstoß würden Russland und China niemals zustimmen.
    (nch/wes)

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es sind dramatische Zahlen, die Amnesty International vorgelegt hat, und es ist eine gute Erinnerung daran, dass sich um uns herum Tragödien abspielen, die wir in der schnelllebigen Debatte schnell vergessen oder übersehen. 57 Millionen Menschen waren laut Amnesty International weltweit auf der Flucht im vergangenen Jahr. Das sind sechs Millionen mehr als noch im Vorjahr. Die Menschenrechtsorganisation spricht von der größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg.
    Am Telefon mitgehört hat Karl-Georg Wellmann. Er sitzt für die CDU im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten Tag, Herr Wellmann.
    Karl-Georg Wellmann: Guten Tag aus Berlin.
    Armbrüster: Herr Wellmann, Amnesty nennt die Haltung der internationalen Gemeinschaft beschämend. Schämen Sie sich auch?
    Wellmann: Na ja, Schämen ist weniger die Kategorie als die Frage, welche Fehler wurden gemacht, auch in den letzten Jahren. Und wenn ich mir angucke, was sich jetzt in Libyen abspielt, oder in Syrien, oder vor allem im Irak, dann ist das eben auch eine Folge einer verfehlten Interventionspolitik und darüber müssen wir uns Gedanken machen. Wir waren da, übrigens die internationale Staatengemeinschaft war viel zu naiv und hat die Vorstellung gehabt, man müsse nur den Diktator abräumen und schon würde eine blühende Demokratie ausbrechen, und das ist ein kardinaler Fehler, den wir gemacht haben.
    "Wir spielen ein zunehmendes Gewicht in der internationalen Außenpolitik"
    Armbrüster: Können wir denn diesen Ball möglicherweise auch etwas genauer anspielen? Können wir auch sagen, welche Fehler die Deutschen gemacht haben?
    Wellmann: Na ja, an Libyen haben wir uns ja ebenso wenig beteiligt wie am Irak, und wir Deutschen sind ja keine Weltmacht, Gott sei Dank, sage ich mal, und sind weniger dafür verantwortlich. Aber wir spielen ein zunehmendes Gewicht in der internationalen Außenpolitik. Wir werden mehr gehört. Und das, was ich gesagt habe, gilt ja eben auch gerade für aktuelle Krisen. Nehmen Sie mal Russland. Es gibt Stimmen aus Amerika, aus dem konservativen Amerika, die sagen, man müsse Russland in die Knie zwingen und einen Regime Change machen. Diese Politik war in den vergangenen Jahren nicht besonders erfolgreich und wir sollten diese Fehler nicht wiederholen.
    Armbrüster: Genügt es denn, Herr Wellmann, wenn wir uns dann ein paar Jahre später im Fall Libyen oder im Fall Irak zurücklehnen können und sagen können, da haben wir zum Glück nicht mitgemacht? Muss es nicht vielmehr heißen, da hätten wir eigentlich etwas anderes tun müssen, etwa eine andere internationale Haltung erzwingen müssen?
    Wellmann: Ja! Sofern wir das können, ja. Wir lehnen uns ja auch keinesfalls zurück. Wir werden ja sicher gleich noch über Waffenexporte sprechen. Um dem Morden und schrecklichen Töten im Nordirak Einhalt zu gebieten, haben wir Deutsche ja erstmals Waffen in ein Krisengebiet geliefert, und das ist richtig so. Das heißt, Sie können nicht pauschal sagen, Waffenlieferungen per se sind falsch, sondern Sie müssen immer sehen, wofür wird das eingesetzt.
    Armbrüster: Das Problem ist aber nach wie vor, dass wir nicht genau verfolgen können, wo die Waffen dann letztendlich landen.
    Wellmann: Im Falle Irak geben wir uns sehr große Mühe. Wir liefern in Tranchen, wir liefern nicht alles auf einmal und wir kontrollieren, soweit es geht, wo diese Waffen verbleiben. Aber endgültige Sicherheit kriegen Sie da nie. Aber Sie müssen abwägen, was ist schlimmer: Wollen wir dem Völkermord zusehen, wie Hunderttausende Frauen, Kinder und Männer nur aus religiösen oder rassischen Gründen dahingeschlachtet werden, und lehnen uns zurück und sagen, wir bleiben moralisch sauber und liefern keine Waffen? Oder sagen wir, nein, in diesem Falle entscheiden wir uns dafür, so wie der Bundestag das ja übrigens mehrheitlich gemacht hat, Waffen zu liefern, um dort zu verhindern, dass noch Schlimmeres passiert?
    Wellmann: Haben Sie den Eindruck, dass Deutschlands Partner in der Außenpolitik ähnlich vorsichtig agieren?
    Wellmann: Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass in aktuellen Krisen Deutschland eine gute Rolle spielt, dass innerhalb unseres westlichen Bündnisses, auch was die Amerikaner angeht, Deutschland eine sehr hohe Kompetenz zugemessen wird und zunehmend auf uns gehört wird. Wir können uns ja nicht gewaltsam durchsetzen gegen die anderen, sondern müssen überzeugen, und ich glaube, dass das mehr und mehr gelingen kann.
    "Wir müssen uns über andere Krisenbewältigungs- und Präventionsmechanismen Gedanken machen"
    Armbrüster: Jetzt fordert Amnesty auch - wir haben das gerade im Bericht gehört -, die fünf Mächte im UNO-Sicherheitsrat, die sollten ihr Vetorecht in solchen besonderen humanitären Katastrophen aufgeben. Ist das realistisch, oder ist das ein paar Nummern zu groß für Amnesty?
    Wellmann: Gut, darüber nachdenken kann man ja. Ich halte es allerdings für völlig unrealistisch, Vetomächten wie den USA, Russland oder China dieses Ansinnen zu stellen. Sie werden niemals zustimmen.
    Armbrüster: Das heißt, das geht voll ins Leere?
    Wellmann: Diese Forderung geht ins Leere. Wir müssen uns über andere Krisenbewältigungs- und Präventionsmechanismen Gedanken machen. Das müssen wir viel stärker tun. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass nach unserem westlichen Wesen die Welt genesen soll, dass immer dann, wenn ein Konflikt in der Welt entsteht, wir unsere Wertvorstellungen damit verknüpfen. Das gilt übrigens auch dann, wenn wir Geld geben. Wir müssen andere Wertsysteme anerkennen und wir müssen uns sehr davor hüten, mit militärischen Mitteln zu versuchen, Regime zu stürzen und neue Regime an die Macht zu bringen. Das ist in den letzten 20, 30 Jahren gründlich schiefgegangen.
    Armbrüster: Und wir müssen uns, Herr Wellmann, wahrscheinlich auch einstellen auf wesentlich größere Flüchtlingsströme, auf wesentlich mehr Menschen, die aus diesen Krisengebieten zu uns nach Deutschland kommen.
    Wellmann: Na ja, wir haben ja schon große Flüchtlingsströme, wenn Sie die Bilder der Schwarzafrikaner sehen, die übers Mittelmeer schwimmen oder mit kleinen Booten kommen und häufig genug umkommen dabei. Das ist ein Zustand, der völlig unerträglich ist, der auch dem Umstand geschuldet ist, dass da Bürgerkriege sind, in Libyen und in Zentralafrika. Besser wäre es, sich um die Ursachen mehr zu kümmern, damit nicht nur die Folgen zu bekämpfen sind. Die Ursachen müssen bekämpft werden, dass die Ursache für eine Flucht wegfällt, dass die Menschen dort, wo sie herkommen, aus ihrer Heimat, wo sie historisch und auch klimatisch hingehören, Lebensumstände vorfinden, die sie nicht zur Flucht treiben.
    Armbrüster: Herr Wellmann, ich kann mir vorstellen, dass viele Leute, die das jetzt hören, sich denken, da spricht jetzt ein Außenpolitiker der Regierungspartei in Deutschland, dem größten EU-Mitgliedsland, und spricht diesen Mangel an, von dem wir seit Jahren wissen, dass diese Entwicklung ein völliges Unding ist, dass das eigentlich nicht sein darf, dass diese Menschen im Mittelmeer ertrinken, dass wir immer wieder diese Flüchtlingskatastrophen haben. Ist das nicht wohlfeil, einfach nur so darüber zu sprechen und es als Mangel zu bezeichnen, aber eigentlich politisch nichts zu tun?
    Wellmann: Das ist nicht wohlfeil. Es wurde gerade eben in Ihrem Bericht gesagt, dass in der Welt 57 Millionen Menschen auf der Flucht sind, und viele Hundert Millionen Menschen leben in Zuständen, die aus unserer Sicht menschenunwürdig sind. Es kann doch nicht die Politik sein zu sagen, dieses ganze Elend der Welt nehmen wir in Deutschland auf, oder in Europa auf. Das würde uns ja völlig überfordern.
    "Bürgerkriegsflüchtlingen - da muss Europa sehr viel mehr tun"
    Armbrüster: Aber wir haben ja auch gehört, dass zum Beispiel ein Land wie Jordanien 700 Mal mehr Flüchtlinge aufnimmt als die komplette EU zusammen. Da scheint es ja ein Riesen Missverhältnis zu geben.
    Wellmann: Halt, halt! Wir reden von zwei verschiedenen Sachen. Ich rede von dem Flüchtlingselend in der Welt; Sie haben gesprochen, das ist in der Tat ein Punkt, was machen wir mit den Bürgerkriegsflüchtlingen. Da muss Europa sehr viel mehr tun. Deutschland tut eine Menge, kann und soll auch noch mehr tun. Das heißt, das ganze Asylverfahren wird jetzt verändert und beschleunigt. Wir haben Hunderte von Stellen, wir vom Bundestag neu geschaffen, damit das Bundesamt für Migration schneller auf diese Asylverfahren reagieren kann und wirklich die aussortieren kann, die einen Asylanspruch haben, weil im Falle von Syrern sind wir jetzt, glaube ich, bei zwei Wochen. Da sind wir ziemlich stolz drauf, dass das Asylverfahren für diese Menschen schnell abgeschlossen wird. Dafür müssen wir noch mehr tun. Aber wie gesagt, wir sind mitten drin, und man kann es immer besser machen, aber wir tun schon eine Menge.
    Armbrüster: Kann man denn eine Zahl nennen? Wie viele Flüchtlinge mehr sollte Deutschland aufnehmen?
    Wellmann: Nein, die Zahl kann ich nicht nennen, weil wir natürlich auch sehr aufpassen müssen, dass wir die Bevölkerung nicht überfordern. Wir können nicht in kleine Dorfgemeinschaften in eine ehemalige Kaserne 500 Flüchtlinge tun. Das verträgt sich nicht. Wir müssen die Bevölkerung mitnehmen und wir müssen sie überzeugen. Ich sage nur, gerade bei den syrischen Flüchtlingen sind sehr viele dabei, die wir gut gebrauchen können, die sich gut integrieren können, und es gibt wunderbare Initiativen der Handwerkskammern, der Handwerksverbände. Wir haben 80.000 Lehrstellen in Deutschland, die wir nicht besetzen können, und deshalb sagen die Handwerksverbände, lasst uns doch mal unter den Jugendlichen, die da mit den Flüchtlingsströmen kommen, gucken, ob wir nicht geeignete Jugendliche finden, die wir zum Metzger, Tischler oder Bäcker ausbilden können. Das sind die guten Strategien und da müssen wir mehr hinkommen.
    Armbrüster: ..., sagt hier bei uns in den "Informationen am Mittag" Karl-Georg Wellmann, der CDU-Außenpolitiker. Vielen Dank für Ihre Zeit an diesem Mittag.
    Wellmann: Ich danke Ihnen! Tschüss.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.