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Menschenrechte in der Zukunft

Die Menschenrechte werden gerne als unveräußerlich bezeichnet, sie stehen jedem zu und sind grundlegend. Trotzdem werden sie heute, 50 Jahre nach ihrer Verabschiedung durch die Vereinten Nationen, in vielen Ländern missachtet und verletzt. Könnte sich dies in Zukunft ändern? Darüber diskutierten Wissenschaftler auf der Veranstaltung "Menschenrechte in die Zukunft denken" in Bremen.

Von Ursula Storost | 04.12.2008
    Wenn der Gedrückte nirgend Recht kann finden, wenn unerträglich wird Tyrannenmacht, greift er hinauf getrosten Mutes in den Himmel und holt herunter seine ew'gen Rechte, die droben hangen unveräußerlich.

    So formulierte es Friedrich Schiller in seinem Wilhelm Tell unter dem Eindruck der französischen Revolution.

    Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

    Und so steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 per Resolution durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurden.

    "Unter Menschenrechten versteht man Rechte, die allen Menschen zukommen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion und ihrem Geschlecht, besonderen kulturellen Bedingungen, Behinderungen und Ähnlichem. Es sind Rechte, die sie haben, weil sie Menschen sind."

    Es war ein langer Weg bis hin zur Resolution der Menschenrechte, sagt Hans Jörg Sandkühler. Er ist Professor der Philosophie an der Universität in Bremen und leitet die deutsche Abteilung "Wissenskulturen, Transkulturalität, Menschenrechte" des UNESCO-Lehrstuhls für Philosophie. Bis ins späte 19. Jahrhundert lebten die Menschen in Ständen. Adel, Geistlichkeit , Bürger, Bauern und Landstreicher hatten völlig unterschiedliche Rechte.

    "Es gibt das Missverständnis, die Menschenrechte seien irgendwann aus dem Nichts in Europa erschienen. Wenn ich von der Dynamik der Menschenrechte spreche, heißt das, sie haben sich in schwierigsten Kämpfen, in Revolutionen, in Aufständen gegen den feudalabsolutistischen Staat herausbilden müssen. Und das bedeutet, sie sind in weiterer Entwicklung. Die Auseinandersetzung um die weitere Entwicklung der sozialen Rechte, der ökonomischen Rechte, der politischen Rechte bleibt auf der Tagesordnung."

    Dass wir heute täglich Menschenrechtsverletzungen beklagen, bedeute das nicht, dass die Rechtsnormen ohne Bedeutung sind, konstatiert Hans-Jörg Sandkühler. Der Kampf für die Durchsetzung der Menschenrechte sei das eigentliche Thema, sagt er.

    "Sie sind eben bis heute nur teilweise durchgesetzt. Wenn man aber sagt, mit den Menschenrechten ist es nicht soweit her. Man muss sich ja nur die Realität ankucken, dann sollte man sich überlegen, wie wäre unsere Realität heute, hätten wir die Entwicklung seit 1945 nicht gehabt."

    Immerhin haben Menschen heute eine Möglichkeit, ihre Menschenrechte einzuklagen. Die NGOs, die Nicht-Regierungsorganisationen, die Menschenrechtsverletzungen anprangerten, seien sehr einflussreich und die Vereinten Nationen können bei Menschenrechtsverletzungen und Völkermord eingreifen.

    "Aber alle diese Instrumente werden nur dann wirksam sein, wenn sich alle Einzelnen, alle Individuen darüber bewusst sind, dass es diese Rechte gibt, dass diese Rechte zu verteidigen sind, weil sie allen zukommen. Das heißt, Menschenrechtsbildung ist ein Stück Kampf um die weitere Entwicklung der Menschenrechte."

    Auch wenn man in weiten Teilen der Welt von der Verwirklichung universaler Menschenrechte noch weit entfernt sei, so bestehe doch ein minimaler Grundkonsens zwischen den Staaten, behauptet Stephan Gosepath. Er hat an der Universität Bremen einen Lehrstuhl für politische Theorie und Philosophie. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 sei ein Resultat der Schrecken des 20. Jahrhunderts, vor allem der Gräueltaten der Nationalsozialisten, sagt er.

    "Und die Weltgemeinschaft war sich zumindest sicher, dass so was nicht wieder passieren sollte. Und damit konnte der Minimalkonsens angestoßen werden, dass man gesagt hat, was muss denn jetzt verboten werden, damit so was nicht wieder passieren kann."

    Natürlich, schränkt er ein, würde das Bekenntnis zu Menschenrechten bei vielen Staatsführern zu bloßen Lippenbekenntnissen verkommen. Trotzdem gebe es einen Grundkonsens.

    "Die Situation, die dadurch entsteht, dass es diesen allgemeinen Druck gibt, dass sich keiner mehr traut, sich öffentlich gegen die Menschenrechte auszusprechen, führt halt dazu, dass wir jetzt in einer anderen Dialogsituation mit diesen Staaten wie China oder Ruanda oder sonst was sind, weil wir jetzt sagen können, ihr werdet euren öffentlichen Erklärungen selber nicht gerecht."

    Wenn in armen Ländern täglich Tausende von Menschen an armutsbedingten Ursachen sterben, handelt es sich um gröbste Menschrechtsverletzungen. Eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft.

    "Weil die Staaten, in denen die Leute armutsbedingt sterben, wollen nicht in der Lage sein, das zu verhindern. Und da muss die internationale Staatengemeinschaft enormen Druck ausüben auf diese Staaten, damit es nicht mehr zu so ausbeuterischen Verhältnissen kommt, die zu Armut führen."

    Ausbeutung ist eines der Hauptprobleme in unserer Welt, Beispiel Kongo: In einem Land, das Gold und Diamanten besitzt, herrschen Hunger, Krieg, Terror. Und daran sind die westlichen Industrienationen maßgeblich beteiligt, behauptet Veronique Zanetti. Sie hat einen Lehrstuhl für politische Philosophie und Ethik an der Universität Bielefeld.

    "Diese Tatsache, dass man auch Käufer findet. Man findet für diese Diamanten, für das Gold lauter Personen oder Industrien, die bereit sind zu kaufen. Egal, woher das kommt."

    Ein schwerwiegendes Problem verbirgt sich auch hinter der Frage: Wann darf die Völkergemeinschaft bei Menschenrechtsverstößen intervenieren?

    "In der Moral gibt es Dilemmata, die sind grundsätzlich und nicht aufzuheben. Und ein davon ist, will man Leben retten, macht man das auf Kosten von anderen Leben."

    Will die Weltgemeinschaft Menschenrechte durchsetzen, muss sie unter Umständen selbst Macht ergreifen: im Kosovo, in Afghanistan, im Irak. Und dabei könne es vorkommen, dass gegen Menschenrechte verstoßen wird, sagt Norman Weiß, Völkerrechtler am Menschenrechtszentrum in Potsdam.

    "Da besteht dann die Gefahr, dass diese Verstöße, die ich nicht kleinreden will und die eigentlich nicht passieren dürfen, dass die dann instrumentalisiert werden, um den Prozess insgesamt, der dazu dient, die Herrschaft des Rechts sicher zu stellen und den Schutz der Menschenrecht für alle, die in diesen Ländern leben zu gewährleisten, diesen Prozess dann zu diskreditieren, dadurch haben wir auch nichts gewonnen."

    Und, fügt Norman Weiß hinzu, auch der immer wieder erhobene Vorwurf, die Menschenrechte seien europäisch-christlich geprägt, trifft nur bedingt zu. Wenn in manchen Ländern mit dem Hinweis auf andere kulturelle Traditionen Hände abgehackt oder Zungen herausgeschnitten würden, müsse man das kritisch hinterfragen.

    "Man muss unterscheiden, von wem diese Argumente kommen. Ob es diejenigen sind, die selber eine autoritäre Herrschaft oder patriarchalische Strukturen damit aufrecht erhalten wollen, indem sie sagen, dass haben wir schon immer so gemacht. Da ist es dann hilfreich, die Opfer zu befragen. Die Opfer werden selber sagen, also ich kann gut auch Chinese oder sonst was sein, ohne dass mir die Zunge abgeschnitten wird. Das macht mein Chinesesein nicht aus. Also insofern ist es immer die Frage, wer setzt diese Argumente ein und wofür."

    Der Sozialwissenschaftler und Friedensforscher Dieter Senghaas von der Universität Bremen sieht positiv in die Zukunft. Die Bevölkerung der meisten Gesellschaften heutzutage besteht nicht mehr aus Analphabeten und Bauern. Alphabetisierung und Bildung sind auf dem Vormarsch, sagt er, und damit auch die Forderung der Menschen nach Menschenrechten.

    "Und die allmählich entdecken, sie haben auch Rechte. Sie möchten auch eine politische Teilhabe haben, sie möchten ihre Stimme in der öffentlichen Auseinandersetzung zur Sprache bringen. Das nennt man Politisierung von sich pluralisierenden Gesellschaften. Und dort gibt es dann den Konflikt zwischen den Status quo Mächten und solchen Bewegungen diverser Natur."