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Menschenrechtsaktivistin
Gastprofessur angetreten - trotz Ausreiseverbot

Die türkische Menschenrechtsaktivistin Istar Gözaydin Savasir ist die aktuelle Leibniz-Professorin der Universität Leipzig. Aufgrund ihrer angeblichen Nähe zur Gülen-Bewegung darf sie jedoch nicht nach Deutschland ausreisen. Ihre Antrittsvorlesung hielt sie trotzdem - via Skype.

Von Claudia Euen | 16.05.2018
    Die türkische Gastprofossorin Istar Gözaydin Savasir ist für ihre Antrittsvorlesung an der Universität Leipzig via Skype zugeschaltet
    Die türkischen Behörden verweigern der Rechts- und Politikwissenschaftlerin Istar Gözaydin Savasir die Ausstellung eines Reisepasses - doch ihre Gastprofessur an der Universität Leipzig hat sie trotzdem angetreten (Dr. Katarina Werneburg/Universität Leipzig)
    Uni Leipzig, gestern Abend, 18 Uhr. Rund 70 Zuhörer drängen sich in den kleinen Raum in der Research Academy. Alle Stühle sind belegt, nur der Platz in der ersten Reihe, reserviert für die türkische Professorin Istar Gözaydin Savasir, bleibt leer.
    "Good evening, kollegues, the audience, I wish I could be there, however the conditions in turkey do not allow me."
    Auf zwei Mal einem Meter erscheint Gözaydins Gesicht auf einem großen Bildschirm. Während sie zu den Leipziger Studierenden spricht, sitzt sie im türkischen Ankara vor ihrem Computer. Manchmal wackelt das Bild, dann bricht ihre Stimme weg. Das Internet schwächelt, während sie über die Türkei referiert. Die 59-Jährige ist Expertin, was die politischen und religiösen Strömungen ihres Heimatlandes angeht. Sie studierte Jura in den USA, lehrte unter anderem der Technischen Universität Istanbul.
    "Ich versuche zu analysieren, welche Schritte zu dem autoritären Regime geführt haben, was wir heute in der Türkei haben. Die Türkei kämpft derzeit mit der Demokratie, mit Prozessen und Institutionen, die seit dem 18. Jahrhundert das Land modernisieren. Es gab viele Auf und Abs - die letzten 15,16 Jahre aber waren in diesem Sinne die dramatischsten."
    Hochschulrektorenkonferenz soll eingreifen
    Bis vor einigen Tagen hatten alle noch auf ihre Einreise gehofft. Die Rektorin der Uni Leipzig, die Gözaydin feierlich begrüßte, will die Situation nicht länger so hinnehmen.
    "Das ist ein unübliches Verfahren. Wissenschaftler haben überall in der freien Welt - und bisher haben wir die Türkei auch der freien Welt zugerechnet - die Möglichkeit, solche Einladungen anzunehmen und sich am freien wissenschaftlichen Austausch zu beteiligen. Das ist ein hohes Gut. Die Uni hat natürlich kein eigenes auswärtiges Amt und ist an der Stelle nicht sehr handlungsfähig, aber sie kann appellieren an die türkischen Behörden und solche Fälle auch der Hochschulrektorenkonferenz mitteilen und das werden wir auch tun."
    Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
    Die Hochschulrektorenkonferenz hat auch schon in anderen Fällen öffentlichkeitswirksam eingegriffen, um die Situation einzelner Wissenschaftler zu verbessern. Für Gözaydın käme jede Hilfe recht, ist sie doch eine meinungsstarke Analystin der islamischen Welt. Immer wieder äußerte sie sich in politischen Debatten kritisch gegenüber der türkischen Politik, versuchte zwischen den rivalisierenden religiösen Lagern zu vermitteln. Zudem hatte sie Kontakt zur Gülen-Bewegung. Nach dem Staatsstreich im Juli 2016 verlor die Forscherin ihre Stelle an einer Gülen-nahen Privatuni. Vergangenen Oktober dann wurde ihr der Pass entzogen.
    "Am Flughafen wurde ich darüber informiert, dass mein Pass einbehalten wird. Am 20. Dezember dann hämmerte jemand 6.30 Uhr am Morgen gegen meine Tür. Ich wusste, dass da nichts Gutes auf mich wartet. Zuerst kam ich in Untersuchungshaft in Istanbul und wurde später nach Ismir überführt."
    Bis April 2017 ist sie in Haft. Der Grund: Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Erst ein Jahr später aber erklärte sie ein Gericht für unschuldig. Weil der Staatsanwalt in Berufung ging, geht der Prozess weiter.
    Einladung trotz schwieriger Situation
    In dieser Zeit kam auch der Ruf aus Leipzig, die Kollegforschergruppe "Multiple Secularities" als Gastprofessorin zu unterstützen. Denn Gözaydins Arbeit über das institutionelle Verhältnis von Religion und Politik gelte als grundlegend, sagt die Direktorin des Leibniz-Programm Monika Wohlrab-Sahr. Die Entscheidung war nicht leicht.
    "Zunächst die Frage: Schaden wir ihr mit dieser Einladung und gehen wir die Gefahr ein, dass es nicht zustande kommt. Aber wir haben uns entschieden, sie einzuladen, weil wir nicht auch noch in dieser Situation vorauseilenden Gehorsam leisten wollten und dem türkischen Staat mit seiner Schikanepolitik recht geben. Und das hat ja auch erstmal gut ausgesehen, weil sie den Prozess gewonnen hat. Aber dann stellte sich heraus, sie kann nicht ausreisen."
    Zeichen setzen gegen absolutistische Politik
    Wenn sich das nicht ändert, wird Gözaydin Savasir auch für die kommenden Vorlesungen per Skype zugeschaltet. Die Universität will flexibel bleiben. Schon die Antrittsvorlesung war von April auf Mai verschoben worden. Für viele Studenten und Promovierende war der Besuch der Vorlesung mehr als nur Wissenskonsum.
    "Ich fand's sehr spannend, es war sehr schade, dass es auf der technischen Ebene doch sehr schwierig zu verstehen war, aber nichtsdestotrotz vielleicht als politisches Zeichen wichtig, dass es trotzdem stattgefunden hat."
    "War sehr interessant der Vortrag, sehr impulsiv, vor allem, wenn man nicht so im Thema drin ist, dass die Situation weitaus komplexer ist, als man aus den Medien mitbekommt."
    "Ich fand es sehr wichtig auch neben dem Inhalt des Vortrags, präsent zu sein und Gesicht zu zeigen, um sich gegen so eine absolutistische Politik nach außen zu zeigen, als Studentin und als Mensch da zu sein."