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Menschenrechtspolitik nach DOSB-Art

China präsentiert sich in diesen Wochen offen als autoritäres Zensurregime. Doch auch das Desaster der von Verhaftungen und Zensur geprägten Peking-Spiele wirkt noch nach. An Öffentlichkeit dafür hat jedoch nicht nur China kein Interesse, sondern auch der Sport.

Von Grit Hartmann | 05.04.2010
    Diplomatie ist bekanntlich eine komplexe Angelegenheit. Nicht von ungefähr wird der Satz, nach dem die Sprache dem Menschen gegeben sei, um seine Gedanken zu verbergen, dem Franzosen Talleyrand zugeschrieben, einem Diplomaten. Vor einigen Tagen erreichte den Geraer Pfarrer Michael Kleim ein Schreiben, dem derartige diplomatische Qualität durchaus zu attestieren ist. Absender war Michael Vesper, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, und im Umschlag steckte sein Brief an den chinesischen Botschafter in Berlin. Ein Zehnzeiler, mit dem Vesper wissen lässt, dass auch der DOSB die Verurteilung des Schriftstellers und Dissidenten Liu Xiaobo mit - Zitat - "großer Enttäuschung" aufgenommen habe. Man schließe sich der Bundesregierung an, die das Urteil als unbegründet betrachte und das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung in grober Weise verletzt sehe. Auch der DOSB verlange "die sofortige und bedingungslose Freilassung" von Liu Xiaobo.

    Schon im Dezember war Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil er die sogenannte Charta 08 mitinitiiert hatte. Das Papier mahnt mehr Demokratie für China an und war wesentlich davon inspiriert, dass die Pekinger Machthaber nach den Olympischen Spielen 2008 härter als zuvor gegen Kritiker vorgingen. Im Januar brachte deshalb der evangelische Theologe Kleim, ehedem in der DDR-Menschenrechtsbewegung aktiv, einen Appell an die Sportwelt auf den Weg. Darin werden die Teilnehmer der Peking-Spiele aufgefordert, sich persönlich bei der chinesischen Führung für die Freilassung von Liu Xiaobo einzusetzen. Rasch fanden sich 140 Unterstützer, vornehmlich aus der Bürgerrechtsszene - der organisierte Sport hingegen blieb wochenlang stumm, auch als Mitte Februar die zweite Instanz das Urteil bestätigte.

    Von der späten DOSB-Reaktion ist Kleim deshalb nur mäßig beeindruckt. Die Bundesregierung, auf die der DOSB Bezug nehme, habe das Unrechtsurteil doch schon im Dezember kommentiert, und zwar weniger diplomatisch, nämlich "mit Bestürzung" - nicht nur "mit Enttäuschung". Außerdem wundert sich der Pfarrer darüber, dass der Sportbund das Thema behandelt wie eine innerdienstliche Affäre. So rechnete er damit, dass der DOSB, der sich gern als größte Bürgervereinigung im Land bezeichnet, die Petition für Xiaobo verbreiten und vielleicht sogar Athleten zur Unterschrift ermutigen würde. Nichts dergleichen geschah: Der DOSB-Pressedienst verschwieg den Appell, auch über das Vesper-Schreiben wurde nichts publik.

    Die zehnzeilige Note an Pekings Botschafter wirft eine weitere Frage auf: Warum fehlt die Unterschrift von DOSB-Präsident Thomas Bach, dessen Wort als Vize des Internationalen Olympischen Komitees von Gewicht wäre? Zu einer Antwort sah sich die DOSB-Zentrale in der vergangenen Woche nicht imstande. Jedoch deutet manches auf jene Diplomatie, deren Sprache mehr verbirgt, als sie preisgibt, und die der auf den IOC-Thron strebende Wirtschaftsanwalt Bach bestens beherrscht. Denn das IOC, das die Peking-Spiele erst als Katalysator zur Verbesserung der Menschenrechtslage pries und sich dann als reine Marketender-Truppe blamierte, hat auf Kleims Anschreiben gleich gar nicht reagiert. Allerdings fiel an dem Tag, als Peking das Urteil gegen Liu Xiaobo bestätigte, ein bezeichnendes Votum: Die Olympischen Jugendspiele für 2014 wurden nach China vergeben, an Nanjing, eine Stadt mit vier Arbeitslagern.