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Menschheitsgeschichte
Die Kinder des Prometheus

Seit die Urahnen der Menschen das Feuer gezähmt und das Jagen erlernt haben, sind zahllose Kulturen entstanden - Kulturen, von denen wir so gut wie nichts wissen, weil sie der Nachwelt keine schriftlichen Überlieferung hinterlassen haben.

Von Dagmar Röhrlich | 07.01.2015
    "Im Anfang war das Wort, vielleicht auch nur ein - von entsprechender Mimik begleitetes - Grunzen, aber am Anfang war sicher nicht die Schrift."
    Neue Funde und Analysetechniken liefern Forschern nun aber Erkenntnisse, von denen sie vor 20 Jahren nur träumen konnten. In seinem Buch "Die Kinder des Prometheus" fasst der Prähistoriker Hermann Parzinger sie zusammen und gibt einen eindrucksvollen Überblick über die Geschichte der Menschen vor der Erfindung der Schrift. Auch die lebten in bewegten Zeiten - und vollzogen unter anderem einen Umbruch, der die Welt radikaler veränderte als die industrielle Revolution oder der Siegeszug der Computer, sagt Hermann Parzinger:
    "Der Wandel von der mobilen Lebensweise der Jägersammler und Fischer hin zu sesshaften Bauern mit Landwirtschaft war die Grundlage für spätere Entwicklungen über komplexe Gesellschaften bis hin zu frühen Städten."
    Neolithische Revolution nannte man diesen Wandel. Doch Hermann Parzinger zeigt, dass die Erfindung der Landwirtschaft keine Revolution war, sondern ein schleichender Prozess.
    "Der Mensch fand sich nicht "über Nacht" vor eine völlig neue Lebenssituation gestellt, sondern hatte ein- bis zwei Jahrtausende Zeit, [...] neue Überlebenskonzepte zu entwickeln."
    Die Menschen verfolgten rund um die Erde zu verschiedenen Zeiten ihren eigenen Weg in Richtung Zivilisation, erklärt der Präsident der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz in seinem Buch. Wie sie ihn beschritten, hing davon ab, mit welchen Pflanzen und Tieren sie ihre Umwelt teilten - oder davon, was einwandernde Bauern mitbrachten. Hermann Parzinger:
    "Egal, wo man hinschaut auf der Welt, es ist ein komplizierter Prozess."
    Die Fundstellen verraten, dass die Steinzeitmenschen als kulturelle Wesen ihre Umwelt formten - ob im Nahen Osten, in den Anden, am Jangtse oder Mississippi.
    "Man kam schrittweise zum produzierenden Wirtschaften und zur Sesshaftigkeit, dann werden die Siedlung immer größer, es kommt so zur ungleichen Verteilung von Eigentum, Eliten bilden sich heraus, komplexe Gesellschaften, Handwerk, Arbeitsteilung, und dann haben wir politische Strukturen, Tempelbauten, Paläste."
    Und da folgte dann auch die Schrift, mit der die "Prometheus-Kinder" eine neue Ära einläuteten.
    Zielgruppe: Alle, die mehr über die Wurzeln unserer Zivilisation erfahren wollen und sich von einem 800-Seiten-Wälzer nicht abschrecken lassen.
    Erkenntnisgewinn: Panta rhei: Kulturen entstehen - und vergehen. Wie lange unsere überdauern wird, ist ungewiss.
    Spaßfaktor: Detailreich, aber einfach faszinierend.
    Hermann Parzinger: "Die Kinder des Prometheus - Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift."
    C.H. Beck-Verlag. 848 Seiten, 39,95 Euro.