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Menschlichkeit in der Großstadt
Ein Kiosk vermittelt Nachbarschaftshilfe in Paris

Hinter dem Kiosk "Lulu dans ma rue" in Paris, zu deutsch "Lulu in meiner Straße", steht ein gemeinnütziger Verein. Er schafft Jobs auf lokaler Ebene: "Lulus" übernehmen Heimwerkerarbeiten, Hilfe bei Behördenkram oder reparieren Computer - und das zum kleinen Preis. Dass damit mehr Menschlichkeit ins Viertel kommt, ist gewollt.

Von Bettina Kaps | 03.01.2017
    Der Kiosk "Lulu dans ma rue" in Paris.
    Der Ingenieur Charles-Edouard Vincent hat die Stadt Paris überzeugt, das Experiment mit dem ersten Kiosk im Marais-Viertel zu wagen, weitere sollen folgen. (Deutschlandfunk / Bettina Kaps)
    Metrostation Saint Paul. Auf dem kleinen Platz im Pariser Marais-Viertel steht eine grüne Bude. Ein Zeitungskiosk, so scheint es, aber hier gibt es keine Zeitungen, nur ein paar Bücher zum Mitnehmen und Prospekte. Innen sitzt eine sorgfältig geschminkte junge Frau. Hinter ihrem Rücken sieht man eine hölzerne Schlüsselwand, wie in einer vornehmen Pförtnerstube. 'Lulu dans ma rue' steht über der Theke und wer wissen will, wozu der Kiosk mit dem seltsamen Namen 'Lulu in meiner Straße' dient, den lädt Fiora Badiou gleich zum Kaffee ein.
    Kiosk-Inhaberin Badiou will die sozialen Bindungen im Viertel fördern
    "Unser Ziel ist es, hier im Viertel die sozialen Bindungen zu fördern, Menschlichkeit in den Alltag zu bringen. Außerdem wollen wir auf lokaler Ebene Jobs schaffen und damit Menschen eine Einnahmequelle geben, von denen einige vom Arbeitsmarkt weit entfernt sind, andere aber auch nicht. Unsere Lulus haben ganz unterschiedliche Profile, genau wie unsere Kunden."
    'Lulu dans ma rue' ist ein gemeinnütziger Verein. Mit dem Kosenamen Lulu bezeichnet er seine Helfer, die alle als selbstständige Kleinunternehmer arbeiten. Vor dem Kiosk hängt eine Liste mit ihren Kompetenzen: Heimwerkerarbeiten, Hilfe bei Behördenkram, Hunde ausführen, Babysitten, Computer reparieren etc, etc. Die Preise pendeln zwischen fünf und 20 Euro pro halbe Stunde, die meisten Rechnungen können die Kunden steuerlich absetzen.
    Eine Anwohnerin steuert zielstrebig auf den Tresen zu. Claire Dhelens hat wenig Zeit. "Ich brauche zwei Lulus am 2. Januar vor 8 Uhr früh. Meine Wohnung wird neu gestrichen. Jemand muss mir helfen, alle Möbel und mein Klavier von der Wand abzurücken, es ist ein Flügel."
    Die Bewohner des Marais-Viertels können die Arbeiten am Kiosk bestellen wie Claire, oder per Telefon, Internet oder aber mit einer App. Die Modeschöpferin ist hier regelmäßig Kundin.
    "Ich nehme viele Dienste in Anspruch... es ist ja so praktisch. Ich bin Single und will nicht dauernd meine Freunde belästigen, wenn ich Hilfe brauche. Die Preise sind korrekt und die Helfer sind sehr nett und immer kompetent."
    Eine andere Frau kommt zum Kiosk, händigt der Concierge zwei Schlüssel aus. Die gehören Madame Rose und Marie, sagt die 30-Jährige, und ja, mit der Arbeit bei den beiden Damen sei alles gut gegangen, wie immer.
    Aurelie Teicher arbeitet seit einem Jahr als 'Lulu', sie putzt, bügelt, backt Kuchen für besondere Anlässe. Ihren Job als Verkäuferin hat sie dafür aufgegeben.
    Geld verdienen und einen Platz in der Gesellschaft finden
    "Ich wollte mein eigener Chef sein. Der Verein hat mir geholfen, eine Ein-Personen-Firma zu gründen. Jetzt kann ich mir meine Zeit zwischen Beruf und Familie selbst einteilen. Außerdem sind die Kunden ganz besonders liebenswürdig."
    Aurelie verdient inzwischen rund 1.000 Euro monatlich, Tendenz steigend. 15 Prozent davon gibt sie dem Verein ab. Der sorgt dafür, dass ihr Steuermodell stimmt und sie versichert ist. Er organisiert auch jeden Monat ein Treffen der Lulus. Denn die Stimmung ist hier ebenso wichtig wie die Arbeit.
    Das Business-Modell für diese originelle Form der Nachbarschaftshilfe hat Charles-Edouard Vincent entwickelt. Der Ingenieur hat auch Gelder für den Start aufgetrieben und die Stadt Paris überzeugt, das Experiment mit diesem ersten Kiosk im Marais-Viertel zu wagen.
    "Heute sind viele Franzosen zur Arbeitslosigkeit verurteilt. Das Sozialsystem gibt ihnen ein Existenzminimum. Aber man signalisiert ihnen auch, dass die Gesellschaft sie nicht brauchen kann. Unser Verein beweist, dass wir auf lokaler Ebene Arbeit schaffen können, die nützlich ist. Als Lulu kann man ein bisschen Geld verdienen, vor allem aber einen Platz in der Gesellschaft finden."
    Unter den 105 Lulus, die inzwischen kleine Jobs übernehmen, sind aber nicht nur Arbeitslose, sondern auch Studenten, Teilzeitangestellte und Leute, die am Wochenende hinzuverdienen wollen. Diese Vielfalt ist Charles-Edouard Vincent ganz wichtig.
    'Lulu dans ma rue' hat schon über 5.000 Kundinnen und Kunden. Gerade wurde ein zweiter Kiosk im 17. Pariser Bezirk aufgestellt, bis zum Sommer soll es insgesamt sieben derartige Kontaktbörsen in Paris geben. Andere Städte haben Interesse angemeldet, weil auch sie den Alltag menschlicher machen wollen.