Aus den Feuilletons

Geschworene gesucht

04:13 Minuten
Der in den USA wegen Sexualverbrechen angeklagte ehemalige Filmproduzent Harvey Weinstein mit Gehhilfe beim Verlassen des Gerichtsgebäudes in New York am 7. Januar 2020.
Wegen der Anti-Weinstein-Hysterie in den Medien werde es schwer, einen fairen Prozess gegen den Ex-Filmproduzenten zu führen, meint Sarah Pines von der "NZZ". © imago images / Kristin Callahan
Von Burkhard Müller-Ullrich · 09.01.2020
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Beim Prozess um die mutmaßlichen Sexualdelikte von Harvey Weinstein sei der Ausgang noch völlig unklar, schreibt die "NZZ". Noch fehlten ausreichende Beweise – und auch die Suche nach unparteiischen Geschworenen sei schwierig.
"Der Ausgang des Prozesses ist offen. Es ist fraglich, ob die Anklage die nötigen Beweise für von Weinstein begangene Sexualverbrechen erbringen kann", steht in einem Bericht von Sarah Pines in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
Das hat man in dieser Deutlichkeit selten irgendwo gelesen. Für die meisten Medien ist die Verurteilung des einst so mächtigen Medienmoguls eine ausgemachte Sache. Sarah Pines fragt aber auch, "ob nach der exzessiven medialen Vorverurteilung Weinsteins nun eine unvoreingenommene Jurisdiktion überhaupt noch möglich ist." Anders gesagt: Wo soll das notwendige Dutzend unparteiischer Geschworener herkommen – nach all den hunderttausenden Anti-Weinstein-Texten in Presse, Funk und Fernsehen während der letzten Jahre?
Sarah Pines erinnert an einen besonders bedenklichen Nebeneffekt der öffentlichen Hysterie: "Einem Jura-Professor aus Harvard war unter Androhung von Stellenverlust untersagt worden, Weinstein als Anwalt zu dienen."

Überleben im Klimawandel

Der Meutentrieb ist wohl die stärkste Kraft in unserer ach so individualistischen Gesellschaft. Selbst Wissenschaftler sind nicht davor gefeit, wie Simon Strauß in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG anhand des letzten Schreis unter – vornehmlich amerikanischen – Althistorikern bemerkt. Sie sehen die entscheidende Ursache für den Untergang des römischen Reichs im – dreimal darf man raten – Klimawandel.
"Dass sich ihre Texte dann meist mehr durch Metaphern als durch Methoden auszeichnen, korrespondiert mit dem generellen Eindruck, hier solle vor allem eine neue, forschungsfinanziell gut eingefädelte Wende eingeleitet werden. Denn wer jetzt als Rom-Historiker Klima sagt, sagt auch etwas über unsere Zeit, ist also relevant und der Öffentlichkeit von Nutzen", schreibt Simon Strauß und stellt maliziös die eigentlich viel interessantere Frage, nämlich:
"Wie kam es, dass ein so großes, so ungeordnetes, so krisengeschütteltes Reich überhaupt so lange bestehen konnte – trotz Klimawandel?"

Sind Rechte immer Nazis?

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG beschäftigt sich mit einem 5000-Seelen-Dorf nördlich von Frankfurt: Glashütten im Taunus. Hier wohnte und wirkte in den 1960er-Jahren der ehemalige Militärrichter Manfred Roeder, ein "Mann, der nach allen Maßstäben als Kriegsverbrecher gelten muss", wie der SZ-Autor Nicolas Freund schreibt.
Roeder war SA-Mitglied, er wurde als Hitlers Bluthund bezeichnet und forderte wie am Fließband Todesstrafen gegen Widerständler. Dieser Roeder also arbeitete nach dem Krieg jahrelang mit dem unbescholtenen Glashüttener Bürgermeister zusammen, um dessen Andenken jetzt im Ort gestritten wird. Was wusste er? Was wollte er nicht wissen? Und was wollen manche auch heute nicht wissen? – Die typischen Fragen, wenn es in Deutschland um Lokalgeschichte geht.
Doch statt Aufklärung betreibt der SZ-Artikel eine Kampagne ganz anderer Art. Da heißt es ohne die Spur eines Belegs: "Während die Gemeinde streitet, wie mit der Geschichte des Nazirichters umzugehen ist, stehen die neuen Rechten bereit, in die Bresche zu springen." Oder an anderer Stelle: "In den Konflikt mischt sich die Sorge um den Aufstieg der Rechtspopulisten." Mit solchen Sätzen soll insinuiert werden, dass Rechte bzw. Rechtspopulisten nichts anderes als Nazis seien, zumindest als Erben und Verteidiger auf deren Seite ständen.

Lob für Trump

Das tägliche Trump-Bashing steht übrigens diesmal in der WELT, und zwar gleich doppelt: Der in Berlin lebende Iraner Behzad Karim-Khani bezeichnet den amerikanischen Präsidenten als "geistig vierzehnjährigen" und gesteht im Hinblick auf den getöteten General Soleimani: "Wäre ich im Iran, hätte ich ihm das letzte Geleit gegeben."
Was aber nicht ganz ernst gemeint ist, weil der ganze Text nur mit der Falschheit von allem im Nahen Osten kokettiert. Und darunter hüpft Slavoj Zizek eine seiner sinnfreien Volten, indem er schreibt, die Tötung Soleimanis war "kein Akt des Wahns, sondern eine absolut vernünftige Tat in einer Welt, die den Verstand verloren hat."
Nur gut, dass ihn die Feuilletonisten gepachtet haben.
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