Donnerstag, 18. April 2024


Merkel: Datenschutz in Europa regeln

In der sogenannten Spähaffäre hat Bundeskanzlerin Merkel im Interview von DLF und Phoenix für eine Ausweitung der Kontrolle der Geheimdienste plädiert. Angesichts der unterschiedlichen Vorstellungen über Datenschutz auf der Welt wolle sie sich zudem für einheitliche Regeln zumindest in Europa stark machen.

13.08.2013
    Zum Auftakt der gemeinsamen Veranstaltung "Forum Politik" des Deutschlandfunks und des Fernsehsenders Phoenix in Berlin wies Merkel den Eindruck zurück, auf Rat von Kommunikationsberatern im Bundestagswahlkampf mehr über Privates zu reden. "Es kommt immer auf den Frager an", sagte die Kanzlerin im Gespräch mit Michaela Kolster und Stephan Detjen. Viel Privates habe sie der Autorin Herlinde Koelbl erzählt, sagte Merkel. "Ich bin immer wieder überrascht, wie vergesslich doch die Gesellschaft ist." Viel Privates erfuhren die Frager von der Kanzlerin nicht, die gerade drei Wochen Urlaub hatte.

    Mehr parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste
    Nach Berichten über eine flächendeckende Internetüberwachung amerikanischer und britischer Geheimdienste sei die Bundesregierung "allen Vorwürfen nachgegangen, die im Raume standen", sagte die Bundeskanzlerin. Partnerländer hätten bestätigt, dass sich "die Geheimdienste an deutsches Recht auf deutschem Boden halten". In Europa müsse eine gemeinsame Vorstellung davon entwickelt werden, wie der Datenschutz geregelt werden soll. "Die Durchdringung unserer gesamten Lebenswelt mit dem Internet in den vergangenen 10, 20 Jahren muss erst einmal gesellschaftlich verkraftet werden."

    SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warf Merkel fehlenden Willen zur Aufklärung der Spähaffäre vor. "Frau Merkel distanziert sich nicht von den Amerikanern und nimmt kritiklos hin, wenn deutsche Rechte und Interessen verletzt werden", sagte Steinbrück den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". Er fügte mit Blick auf den Amtseid der Kanzlerin hinzu: "Die Bundeskanzlerin hat geschworen, Schaden von den Deutschen abzuwenden und für die Souveränität Deutschlands zu sorgen. Beides steht massiv in Frage." Die CDU hält Steinbrück ihrerseits Anti-Amerikanismus vor - und fordert ein Ende der Debatte.

    Konsequenzen sieht Merkel ähnlich wie US-Präsident Barack Obama in der Arbeit der Geheimdienste. Die Bundeskanzlerin sprach sich dafür aus, die "Kontrollmöglichkeiten" des Parlaments zu erweitern. Aber: "Ich habe keine Erkenntnis davon, dass von BND und Bundesamt für Verfassungsschutz Recht und Gesetz nicht eingehalten wurden." Merkel erklärte, zwischen deutschen und anderen Geheimdiensten gebe es einen Austausch von Daten im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit wie etwa in Afghanistan. Dadurch würden auch deutsche Soldaten im Einsatz geschützt.

    Peer Steinbrück beim Nominierungsparteitag der SPD in Hannover
    SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Gravierendere programmatische Unterschiede"
    Die Bundeskanzlerin erklärte mit Blick auf die vier zurückliegenden Regierungsjahre, die Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP hätten sich trotz aller Differenzen zusammengerauft und für alle Fragen eine "gute Lösung" gefunden. "Die Kombination mit der FDP ist die Konstellation, die am besten die Probleme der Menschen lösen kann." In der Zusammenarbeit mit der CSU habe es immer dann "gravierendere programmatische Unterschiede" gegeben, wenn in Bayern gleichzeitig Bundes- und Landtagswahl stattfinden. In diesem Kontext sei auch der Pkw-Maut-Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zu verstehen. Seehofer macht die Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer auf deutschen Autobahnen zur Bedingung für die Fortführung einer schwarz-gelben Koalition. Merkel lehnt die Maut ab.

    Die CDU-Chefin erwartet "ein ganz, ganz knappes Rennen" bei der Bundestagswahl. Sie widersprach auch Berichten, dass sie im Falle einer Wiederwahl das Amt der Bundeskanzlerin vorzeitig abgeben wolle. "Selbstverständlich trete ich für eine volle Legislaturperiode an." Der "stern" hatte berichtet, Merkel wolle 2016 aus der Politik ausscheiden. Zugleich wies sie eine Frage zurück, ob sie nicht selbst mögliche CDU-Nachfolgekandidaten für das Kanzleramt aufbauen müsse. "Ich würde mal sagen, es hat sich schon immer jemand gefunden, der was werden wollte in Deutschland." Bereits im April hatte die "Bild"-Zeitung über einen vorzeitigen Rückzug Merkels im Jahr 2015 spekuliert. Immer wieder wird auch in Brüssel gestreut, Merkel strebe einen Posten in der EU an. Dies wurde wiederholt dementiert.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, mit den Moderatoren von "FORUM POLITIK", Michaela Kolster und Stephan Detjen
    Merkel mit den Moderatoren, Michaela Kolster und Stephan Detjen (Deutschlandradio / Max Kohr)
    Debatte über EU-Kompetenzen
    Die Bundeskanzlerin beschäftigt die Frage, "brauchen wir noch mehr Kompetenzen für Europa oder müssen wir mal wieder was zurückgeben", so wie es momentan in den Niederlanden geschehe. "Die Diskussionen werden wir nach der Bundestagswahl auch führen."

    Das Interview hörten Sie in der Sendung "Zur Diskussion" im Deutschlandfunk. Zur Diskussion, Deutschlandfunk (MP3-Audio) Zum Nachhören als mp3-Audio.

    Merkel gedenkt der Opfer des Mauerbaus
    Vor dem Interview sprang die Kanzlerin als "Vertretungslehrerin" an einem Berliner Gymnasiums ein. Dort sprach Merkel über den Bau der Berliner Mauer. Als die Mauer gebaut wurde, sei sie sieben Jahre alt gewesen, berichtete die CDU-Vorsitzende in der Geschichtsstunde. Sie wisse noch, dass ihre Eltern damals sehr traurig gewesen seien, sagte die Kanzlerin auf dem Schulhof. Das Jugendmagazin "Spiesser" hatte den Besuch initiiert. Anliegen war nach Regierungsangaben, das Bewusstsein der Schüler für die Freiheits- und Demokratie-Tradition der deutschen Geschichte zu stärken.

    Am 13. August 1961 hatte die DDR-Führung unter Walter Ulbricht begonnen, Sperranlagen um die West-Sektoren Berlins hochzuziehen. Die rund 155 Kilometer lange Mauer zerschnitt Berlin und besiegelte die deutsche Teilung, die erst mit dem Mauerfall am 9. November 1989 zu Ende ging.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, besucht eine Schulklasse, um der Opfer des Mauerbaus zu gedenken
    Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, besucht eine Schulklasse, um der Opfer des Mauerbaus zu gedenken (picture alliance / AA / Sara Dacci)
    Merkel im Internet bei der SPD
    Wer zu Angela Merkel will, landet zumindest im Internet bei der SPD. Die Webadresse angelamerkel.de leitete am Dienstagabend Besucher zum Internetauftritt der Sozialdemokraten um. Dahinter steckt aber kein Hackerangriff der SPD, versicherte die sozialdemokratische Parteizentrale. "Die Person, die das macht, ist uns nicht bekannt", sagte ein SPD-Sprecher. "Das ist nicht in unserem Sinne. Wir haben die CDU gebeten, das abzustellen." Nur die CDU könne gegen den Unbekannten eine Verletzung der Rechte Merkels geltend machen. In der Union hieß es dazu auf Anfrage, man prüfe das weitere Vorgehen.

    Gemeinsame Reihe von DLF und Phoenix
    Das nächste "FORUM POLITIK" findet am 30. August 2013 statt. Auf dem Podium stellt sich dann SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück den Fragen von Birgit Wentzien (Deutschlandfunk) und Michael Hirz (Phoenix) - im Deutschlandfunk zu hören in der Sendung "Zur Diskussion" (Audio-on-demand-Bereich).


    Die Sendereihe "FORUM POLITIK" ist eine neue Gemeinschaftsveranstaltung von Deutschlandfunk und Phoenix. Eine weitere Sendung wird im Oktober die Ergebnisse der Bundestagswahl diskutieren und dann möglicherweise bereits die neue Regierung vorstellen.