Gogol-Center-Gastspiel im DT Berlin

Im stummen Widerstand

Semen Shteinberg in "Kafka" von Valery Pecheikin; Regie: Kirill Serebrennikov (Deutsches Theater Berlin)
Semen Shteinberg in "Kafka" von Valery Pecheikin; Regie: Kirill Serebrennikov (Deutsches Theater Berlin) © Ira Polyarnaya
Von Andre Mumot · 28.03.2018
Kirill Serebrennikovs preisgekrönte Inszenierung von Valery Pecheikins "Kafka" steckt voller biografischer und literarischer Bezüge zum Werk Kafkas. Der Theatergruppe des Moskauer Gogol-Centers bringt das Stück nach Berlin. Der Regisseur sitzt in Moskau im Hausarrest.
Die Inszenierung des Moskauer Gogol Centres, die an diesem Abend im Deutschen Theater Berlin zu sehen ist, stammt von 2016, ist also nicht mehr ganz neu. Trotzdem kommt es zu mindestens einem Augenblick von beklemmender Aktualität. "Es gibt keinen gefährlicheren Ort als das Bett", heißt es einmal. "Weil man dort aufwachen und plötzlich feststellen kann, dass man sich in ein Insekt verwandelt hat. Oder man wacht auf und stellt fest, dass man verhaftet worden ist."

Der Regisseur im Hausarrest

Um Kafkas berühmte Text-Anfänge geht es da natürlich, um "Die Verwandlung" und den "Prozess", aber eben auch um den Regisseur des Abends und künstlerischen Leiter des Gogol-Centres: Kirill Serebrennikov befindet sich derzeit in Hausarrest. Angeblich habe es Steuerunregelmäßigkeiten gegeben. Viele aber sagen: Er habe sich zu offen gegen die russische Regierung positioniert, zu modernes, zu wiederständiges Theater gemacht.
Gastspiel Gogol Center Moskau Kafka von Valery Pecheikin Regie / Ausstattung: Kirill Serebrennikov Choreografie: Evgeny Kulagin Video: Ilya Shagalov Auf dem Bild: Nikita Kukushkin
Nikita Kukushkin in "Kafka" von Valery Pecheikin; Regie: Kirill Serebrennikow (Deutsches Theater Berlin)© Alex Yocu
Ob er demnächst am Deutschen Theater, wie geplant, Boccaccios "Decamerone" inszenieren kann, ist also unklar. Dafür hat das Haus jetzt einen Inszenierungsaustausch organisiert: Sebastian Hartmanns Fassung von "Berlin Alexanderplatz" war im Gogol Center zu Gast, und dieses zeigt nun in Berlin neben dem Heiner-Müller-Abend "Machine Müller" auch "Kafka". Serebrennikov hat dessen Leben und Leiden in eine durchmusikalisierte, bitterkomische, mild verzweifelte Revue verpackt: Herren in Anzug und Hut und Damen in Rüschenkleidern entfalten Szenen aus Kafkas Leben, live musikalisch begleitet, singen Schuberts "Erlkönig" und Beethovens "Ode an die Freude", tanzen, werden zu live projizierten Stummfilm-Darstellern, machen Komödie, machen Ernst.

Ein Fest aus Bewegungen und Posen

Diese Inszenierung ist ein hoch ästhetisches, atmosphärisches Fest aus Bewegungen, Posen und Leitmotiven vor schnell verschiebbaren Wänden: Ping-Pong-Bälle, Bürolampen, Briefumschläge und ein leeres Bettgestell tauchen immer wieder unter neuen Vorzeichen auf und werden von einem fabelhaften, eindringlichen Ensemble in flirrende Bewegungen versetzt und zu vielseitigen Bedeutungsträgern gemacht.
Beeinträchtigt von der Entscheidung, den Abend nicht zu übertiteln, sondern mit einer Simultanübersetzung auf Kopfhörern auszustatten, ist er doch auch in Berlin ein manchmal sprödes, aber insgesamt betörendes Unterfangen: Das Porträt des Künstlers als stummem Widerständler, als introvertiertem Nein-Sager, der nicht heiraten, nicht arbeiten, nicht mitmachen, nicht einmal seine Meisterwerke der Nachwelt hinterlassen will. Kafka ist sehr lebendig an diesem Abend, uns sehr nah – ebenso wie der Regisseur, der zur Zeit sein Haus nicht verlassen darf, weit weg in Moskau.

Kafka
von Valery Pecheikin
Mit u.a. Irina Bragina, Odin Byron, Marat Domansky
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