Freitag, 29. März 2024

Archiv

Merkel in Brasilien
Experte hofft auf Zeichen gegen die Abholzung des Amazonas

Bereits seit der Regierung Kohl engagiert sich Deutschland in Brasilien für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes. Bei ihrem Besuch im Land könne Angela Merkel dafür "eine Menge tun", betonte Alois Vedder vom World Wide Fund for Nature (WWF) im DLF und sprach von einer "hohen moralischen Berechtigung", Schutzmaßnahmen einzufordern.

Alois Vedder im Gespräch mit Jule Reimer | 19.08.2015
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Ein neues Forstgesetz in Brasilien gefährdet Schutzgebiete und Nationalparks im Amazonas. (dpa/picture alliance)
    Jule Reimer: Brasilien ist extrem rohstoffreich und die siebtgrößte Volkswirtschaft der Erde. Noch heute nachmittag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel dorthin reisen. Es geht eigentlich um alles: um Wirtschaftsbeziehungen im industriellen sowie im landwirtschaftlichen Bereich, um Klimaschutz und um die allgemeine Zusammenarbeit auf UN-Ebene.
    Zu Brasilien zählt auch der größte Teil des Amazonas-Regenwaldes. Dort engagiert sich die Bundesregierung schon seit der Regierung Kohl für den Schutz desselben. In Berlin begrüße ich jetzt Alois Vedder, Regenwald-Experte beim World Wide Fund for Nature (WWF).
    Herr Vedder, wir haben widersprüchliche Meldungen immer wieder, große Fortschritte beim Schutz des Regenwaldes, andererseits auch Meldungen, die Abholzung geht weiter. Wie ist Ihre Sicht?
    "Ein sehr großer Fortschritt"
    Alois Vedder: Ja, in der Tat. Brasilien hat in den letzten zehn Jahren Riesenerfolge verzeichnen können. Von 27.000 Quadratkilometer Abholzung im Jahr 2014 waren es letztes Jahr "nur" noch 5.000 Quadratkilometer, immer noch eine Riesenfläche, aber ein sehr großer Fortschritt. Jetzt wurde vor zwei, drei Jahren ein neues Forstgesetz in Gang gesetzt, was aber die Schutzbemühungen in Brasilien sehr stark absenkt, und neuerdings haben wir es mit einem neuen Angriff, jetzt auf tatsächlich die Schutzgebiete und Nationalparks und die indigenen Schutzgebiete zu tun mit einer Verfassungsänderung in Planung, dass diese Schutzgebiete für Bergbau und für Agraranbau geöffnet werden sollen.
    Reimer: Brasilien ist aber in einer Wirtschaftskrise. Letztes Jahr war das Wachstum mehr als mager. Dieses Jahr möglicherweise ein Minus bis zwei Prozent. Das heißt, irgendwas muss ja getan werden.
    Vedder: Ja. Es ist natürlich immer schwer, das eine mit dem anderen zu vergleichen. Aber wenn wir diese letzten zehn Jahre sehen, darin fallen die wirtschaftlich erfolgreichsten Jahre Brasiliens in einer Zeit, in der die Abholzung und die Entwaldung des Amazonas zurückgeführt wurde. Es kann also keinen automatischen Rückschluss geben, wenn wir jetzt den Amazonas abholzen, dass dann genau das Gegenteil passiert, dass damit dann wieder die Wirtschaft angekurbelt wird. Langfristig wird es Brasilien eher schaden als nutzen.
    "Diplomatisch sehr heikle Mission"
    Reimer: Es gab jetzt auch wieder einen Mord an einer Kleinbauern-Führerin im Amazonas-Gebiet. Die Hintergründe sind jetzt nicht ganz klar. Aber es gibt immer mal wieder Vorfälle. Aus Ihrer Sicht auf Brasilien: Wie gefährlich ist es, sich dort für den Schutz der Umwelt, des Regenwaldes einzusetzen?
    Vedder: Es ist leider nie ganz ungefährlich gewesen. Wir haben auch immer wieder Berichte, dass zum Beispiel Hüter in Nationalparks angegriffen werden. Insofern fällt der Bericht, den Sie jetzt zitieren, nicht aus der Reihe.
    Auf der anderen Seite müssen wir sagen: Was sich entwickelt hat, ist eine wesentlich breitere Zivilgesellschaft von Indigenen aus dem Amazonas, von Bischöfen der Katholischen Kirche, von normalen Umwelt- und Sozialorganisationen, und diese Stimme muss mehr und mehr gehört werden in Brasilien.
    Reimer: Brasilien, die brasilianische Regierung, die Brasilianer sind sehr selbstbewusst, auch sehr empfindlich, wenn gerade aus den klassischen Industriestaaten irgendwelche Ratschläge kommen, oder gar versucht wird zu intervenieren. Was kann denn Bundeskanzlerin Merkel tun, wenn sie jetzt heute in die Konsultationen geht, um zum Regenwald-Schutz beizutragen?
    Vedder: Ich denke, Frau Merkel kann eine Menge tun, auch wenn es, wie Sie richtig sagen, eine diplomatisch sehr heikle Mission ist. Auf der anderen Seite hat Deutschland aber - Sie hatten es in der Anmoderation ja gesagt - auch eine gewisse Berechtigung, seine Sorge dort bei den Regierungsgesprächen auf den Tisch zu legen.
    "Deutschland hat maßgeblich zur Reduzierung der Entwaldung beigetragen"
    Durch finanzielle Unterstützungen, die bereits geflossen sind oder schon vereinbart sind, von über 100 Millionen Euro hat Deutschland maßgeblich dazu beigetragen, dass es zu der Reduzierung der Entwaldung kommen konnte durch die Unterstützung des größten Schutzgebiet-Netzwerks der Welt am Amazonas. Das, denke ich, verleiht auch eine gewisse Legitimität zu sagen, was ist mit unseren Investitionen, unsere Steuerzahler wollen, das das auch gut eingesetzt wird, und wir möchten, dass das fortgeführt wird. Insofern hat die Bundesregierung eine hohe moralische Berechtigung, das anzusprechen.
    Der zweite Punkt ist, warum wir auch eine Chance darin sehen, dass die Regierung selbst mit der Präsidentin Dilma Rousseff an der Spitze gar nicht so glücklich ist über diese Vorstöße im Parlament, das ja leider von der Agrar- und Industrielobby zahlenmäßig dominiert wird. Insofern denken wir, wenn es eine gemeinsame Erklärung gibt, die sagt, wir sind stolz auf den gemeinsamen Erfolg, wir wollen den fortführen, speziell auch mit Blick auf die UN-Klimaverhandlungen in Paris, dann kann das nicht ignoriert werden.
    Reimer: Das war Alois Vedder vom WWF zum Brasilien-Besuch der Kanzlerin. Danke!
    Vedder: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.