Begegnung mit einem Zigarrendreher

"Das ist einfach Schönheit"

07:57 Minuten
Vom Rauch umwaberte Schattenkontur einer Hand, die eine Zigarre hält.
Zigarrenrauchen - ein besonderer Genuss. © Getty Images/Jeff J. Mitchell
Von Natalie Putsche · 20.01.2020
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Das Zigarrendrehen ist in Deutschland so gut wie ausgestorben. Einer der letzten Dreher ist der aus Nigeria stammende George Alisigwe. Für ihn ist dieses Handwerk ein ganzer Lifestyle - ein "unnormal schöner" noch dazu, vom Genuss ganz zu schweigen.
Wenn George Alisigwe über Zigarren redet, hört man ihm nicht nur gerne zu, weil seine Begeisterung ansteckend wirkt. Man muss auch häufig lachen, weil der Zigarrendreher immer wieder schwärmerisch sagt, wie "unnormal schön" oder "unnormal lecker" eine gut gedrehte Zigarre ist.

"Unnormal leckere" Zigarren

Ich lerne George zufällig kennen, nehme ihn für zwei Tage als Gast in meiner Wohnung auf. Er kommt mit zwei mittelgroßen Lederkoffern. Da, das bekomme ich dann auch zu sehen, sei alles drin für seine Handarbeit. Er will in der Nacht noch arbeiten. Am nächsten Tag hat er eine Performance. Eine Firma hat ihn und 120 Zigarren bestellt. Automobilbranche, Luxusmarke. Gut 30 Zigarren will er in der Nacht noch drehen. Und auf dem Event selbst noch zehn bis 20 weitere.
- "Ich möchte mein Handwerk mitteilen. Den Unterschied zwischen dem, was ich mache, und dem, was sie im Laden kaufen."
- "Okay, George, wir haben jetzt hier drei verschiedene Füllungen an Tabak liegen. Was unterscheidet denn diese Füllungen?"
- "Die drei Füllungen heißen: Ligero, der sehr stark ist, Seco, ist mittelstark, - und Volado. Volado ist ganz unten in der Pflanze. Und da Volado nicht so viel Sonne bekommt wie Ligero, ist diese Füllung gar nicht stark. Man braucht immer Volado um Balance zu finden. Balance im Geschmack. Der Geschmack von Zigarren braucht diese drei Elemente. Wie beim Kochen . ein bisschen Salz, ein bisschen Pfeffer."
Für die Füllung der Zigarre benutzt der 42-Jährige, der selbst aus Nigeria stammt und seit einigen Jahren in Hannover wohnt, ausschließlich kubanischen Tabak. Seine Deckblätter aber kommen aus Ecuador, betont er. Denn diese "sind sehr schön, elastisch. Die sind sehr beliebt, weil es einfacher ist, damit zu arbeiten. Und die Deckblätter aus Ecuador riechen unnormal lecker. Unnormal lecker."

Ein traditionelles Familien-Handwerk

Während George anfängt zu drehen und zu stopfen, er wird etwa zwölf Minuten für eine Zigarre brauchen, erfahre ich etwas über seine Familiengeschichte. Denn Zigarrendrehen ist meistens ein Handwerk, das traditionell in der Familie weitergegeben wird, wenn es sich eben nicht um Fabrikproduktion handelt.
"Ich höre gern traditionelle nigerianische Musik beim Drehen. Ich wollte Fußballer werden. Ich hab das Zigarrendrehen nicht gemocht", beginnt George über seine Jugend in Nigeria zu erzählen. Der Vater, ein Zigarrendreher, der aus Haiti stammte, war nach Nigeria ausgewandert. Dort habe das Familienoberhaupt, ein bisschen wie George jetzt, auf Veranstaltungen Zigarren gedreht und verkauft.
"Das war die Zeit, als ich Fußball spielen wollte. Wir spielen meistens Samstag oder Sonntag. Und ich musste meinen Vater Sonntagmorgens meistens auf Veranstaltungen begleiten. Deswegen hab ich Zigarren drehen gehasst. Aber: Ohne Zigarren drehen, gab es kein Essen bei uns zu Hause."
Er habe die Tabakblätter für seinen Vater vorbereitet, selbst drehen durfte er nicht. Erst mit Mitte 20 habe er manchmal gedreht und Zigarren an Freunde verschenken dürfen.
"Das habe ich auch lange nicht verstanden, warum. Aber später war mir klar geworden, dass Zigarrendrehen wie Kunst ist. Und Künstler wollen, dass ihre Arbeit authentisch ist. Mein Vater hat das so gemacht, dass wir nicht drehen dürfen, solange er noch lebte."
Er sei nun das Familienoberhaupt, er dürfe drehen und verkaufen. Sein Bruder, der auch in Deutschland lebt, nicht.

Auch in Deutschland gab es diese Tradition einmal

Seit drei Jahren arbeitet George mit einem Eventmanager zusammen und verkauft nicht nur Selbstgedrehte, sondern sich selbst, einen ganzen Lifestyle, versichert er mir.
"Genau wie, wenn du zum Laden gehst und Klamotten gehst. Du weißt am Ende, was zu dir passt, das hat was mit deiner Persönlichkeit zu tun. Das ist keine Gewohnheit wie Zigaretten rauchen. Zigarren drehen ist mein Leben."
Bei meinen Recherchen finde ich bundesweit weniger als zehn freiberufliche Zigarrendreher. Aber Zigarrenproduktion an sich hat auch in Deutschland Tradition. Nur wissen das viele nicht, da die ganz große Zeit bereits vorbei ist. Schon seit fast 250 Jahren wird zum Beispiel im Schwarzwald Tabak angebaut.
Aber: Nationale Tabakproduktion ist teuer, daher wird hauptsächlich importiert. Für einige maschinell gefertigte deutsche Zigarren muss der Raucher ähnlich viel hinblättern wie für eine handgedrehte Karibische.

Ein einträgliches Geschäftsmodell

Fast scheu ich mich George nach den Preisen für seine zu fragen, bei so einer leidenschaftlichen Beschreibung seiner Berufung.
- "Also Preise, damit habe ich nichts zu tun, ich drehe Zigarren. Aber guck, ich kann für dich hier zu Hause eine Zigarre drehen und nehme für das Stück 20 Euro. Aber die Gleiche könnte ich auch in einem eleganten Hotel drehen, eine Nacht 1000 Euro. Ich würde für die Zigarre nicht mehr 20 Euro nehmen."
- "Warum diese Form beim Schneiden? Sieht aus wie ne Axt."
- "Du musst denken, wir decken die Zigarre ja zu. Damit man eine glatte Zigarre kriegt, muss man versuchen oben abzuschneiden. Wenn das hier ab ist, siehst du das nicht mehr."
- "Keine Narben mehr, nee."

Der Tabak muss glühen

Am Schluss klebt George den letzten Blattlappen der Petite Robusto noch mit etwas Pflanzenkleber an.
- "So, ..das ist eigentlich deine Zigarre. Dein Geschenk."
- "Ja? Oh Gott, wann soll ich die denn rauchen?! Dankeschön. Und wenn ich die anzünde, nach was riecht das dann?"
- "Dieses Blatt ist ein bisschen wie Honig und Zimt."
Ich überlege kurz, ob das nun die auf meinen Charakter abgestimmte Zigarre ist, George verneint aber lachend.
- "Und du hast gesagt, ich muss das auch mit einem besonderen Feuerzeug machen. Also mit einem Gasfeuerzeug. Der Tabak muss komplett glühen."
- "Damit das besser und gleichmäßig brennt. Die Asche muss runterfallen. Die darf man nicht so abmachen wie bei Zigaretten."
- "Dann hat man einen Riesen Haufen Asche."
- "Ja, aber das ist Schönheit. Zigarren, das ist einfach Schönheit."
- "Unnormal schön, hast du gesagt."
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