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Merkel und die CDU
"Der Wahlkampf 2017 wird polarisierter ablaufen"

Die Entscheidung der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sieht der Politologe Uwe Jun auch als ein Zeichen der Partei gegen Angela Merkel. "Man hat zum Ausdruck gebracht, dass es erhebliche Disharmonien gibt", sagte Jun im DLF. Die Partei bringe sich offenbar für einen polarisierten Wahlkampf 2017 in Position.

Uwe Jun im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 07.12.2016
    Der Politikwissenschaftler Uwe Jun sitzt in Trier an seinem Schreibtisch in seinem Büro.
    Der Politikwissenschaftler Uwe Jun sitzt in Trier an seinem Schreibtisch in seinem Büro. (dpa-Bildfunk / Birgit Reichert)
    Tobias Armbrüster: Der CDU-Parteitag beschließt, dass der Doppelpass abgeschafft werden soll. Keine doppelte Staatsbürgerschaft, auch wenn diese Vereinbarung mit der SPD Teil des Koalitionsvertrags ist. Die Delegierten, die haben sich mit diesem Votum natürlich auch ganz klar gegen Angela Merkel gestellt. - Ich habe über diese Entscheidung kurz vor dieser Sendung mit Uwe Jun gesprochen. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Schönen guten Abend, Herr Jun.
    Uwe Jun: Guten Abend, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Jun, war das heute eine Ohrfeige für Angela Merkel?
    Jun: Ja, es war so ein Zeichen der Partei, dass sie sich ein wenig von der Kanzlerin emanzipieren möchte, dass sie einen eigenen Weg gehen will, zwar gemeinsam mit der Kanzlerin, aber ihre Eigenständigkeit bewahren will, also kein reiner Kanzlerwahlverein.
    Armbrüster: Wie schnell ist das denn vergessen?
    Jun: Meinen Sie von Seiten der Partei, oder meinen Sie von Seiten der Kanzlerin?
    Armbrüster: Von Seiten der Kanzlerin.
    Jun: Ich denke, sie wird im Alltag jetzt wieder ihre eigenen Politikziele definieren. Sie wird sich natürlich nicht völlig unabhängig von der CDU ihre Politikziele aussuchen können, aber sie hat ja auch schon deutlich gemacht, dass sie sich an diesen Beschluss nicht gebunden fühlt.
    Armbrüster: Kann Sie das denn tatsächlich so ohne weiteres sagen, ohne Schaden abzukriegen, einfach so sagen, das machen wir sowieso nicht?
    Jun: Na gut, sie kann immer darauf verweisen, dass es mit der SPD in den Koalitionsgesprächen halt so ausgehandelt worden ist und dass es deswegen keine Chance zur Durchsetzung gibt. Gleichzeitig hat sie aber auch ihre persönliche Meinung wieder zum Ausdruck gebracht und sie versucht, dann an dieser Stelle die politische Mitte zu wahren. Diesen Kurs ist sie ja erfolgreich in den letzten Jahren gegangen und den versucht sie, jetzt weiterzugehen.
    "Man hat zum Ausdruck gebracht, dass es da erhebliche Disharmonien gibt"
    Armbrüster: Ist das denn hier so ohne weiteres möglich? Ich meine, sie hat hier eine wenn auch nur schwache Mehrheit der Delegierten zumindest gegen sich. Außerdem gibt es bereits Zustimmung für diesen Beschluss von der Schwesterpartei, von der CSU.
    Jun: Ja, ich würde das auch so deuten, was die CDU da beschlossen hat, dass man versuchen möchte, gemeinsam mit der CSU in den Wahlkampf 2017 zu gehen, dass man wieder die Gemeinsamkeiten herausstreicht, und dass es hier der CDU auch darum geht, diese Union wiederherzustellen, und das hat auch vielen, glaube ich, in der CDU missfallen, dass das in der Vergangenheit schwierig war. Nun hat man einen Schritt auf die CSU zugetan in der Hoffnung, dass die CSU das positiv würdigt.
    Armbrüster: Sehen wir hier schon, dass sich die CDU so langsam von ihrer Vorsitzenden und Kanzlerin verabschiedet?
    Jun: Nun, sie hat ja immerhin noch 89 Prozent Zustimmung bekommen. Das ist jetzt kein überragender Wert und damit hat man auch zum Ausdruck gebracht, dass man in der Flüchtlingspolitik, in der Asylpolitik nicht ganz konform mit ihr ist, sondern dass es da erhebliche Disharmonien gibt. Aber man hat sie hier gleichzeitig nicht abgestraft. Dann wäre das Ergebnis, glaube ich, schlechter ausgefallen.
    Der CDU ist auch klar, dass man 2017 die Bundestagswahl am besten gewinnen kann, wenn man denn sie gewinnen kann, mit Angela Merkel und nicht ohne Angela Merkel, denn nach wie vor sind die Popularitätswerte der Kanzlerin hoch. Und das ist ja auch das zentrale Ziel der CDU, Wahlen zu gewinnen und wieder die nächste Bundesregierung führend zu stellen.
    Armbrüster: Aber ist das nicht sozusagen eine eigene Dynamik, die sich da entwickelt? Merkel sagt, ich mach’s noch einmal, aber definitiv das letzte Mal, und hier bringen sich dann an diesem Parteitag auch die Kritiker schon so in Stellung. Sind das nicht alles Zeichen, die darauf hindeuten, diese nächsten Jahre mit Angela Merkel werden, ich sag’s mal ganz scharf, die Jahre einer Lame Duck sein, einer lahmen Ente?
    Jun: Ich glaube, sie hat sich das gut überlegt. Sie scheint nicht der Ansicht zu sein. Sonst hätte sie ja besser verzichtet. Dann hätte sie ja erhobenen Hauptes aus dem Amt gehen können, wäre auch nicht aus dem Kanzleramt rausgedrängt. Sie ist der anderen Überzeugung. Sie scheint zu glauben, dass diese Beziehung zur Partei nach wie vor funktionsfähig ist, und die Partei hat jetzt mal ein Zeichen gesetzt. Aber man muss abwarten, inwieweit, wenn die Kanzlerin denn tatsächlich wieder Wahlerfolge feiern sollte 2017, dann diese nicht doch wieder mehr Spielraum hat.
    "Der konservative Flügel der Partei ist relativ gestutzt worden"
    Armbrüster: Das heißt, Sie sehen hier heute Abend nicht, dass Sigmar Gabriel, oder wer auch immer SPD-Kanzlerkandidat wird, in Jubelschreie ausbricht?
    Jun: Das kann ich so noch nicht erkennen, weil zwar jetzt hier eine Disharmonie zwischen der Partei und der Kanzlerin deutlich sichtbar geworden ist, aber diese Disharmonien kennen, glaube ich, die Parteiführungen von SPD oder Grünen. Das haben sie schon seit längerer Zeit gesehen. Es ist jetzt einem Publikum mal etwas offenkundiger geworden. Aber ich denke, dass das Publikum das auch schon seit einiger Zeit erkannt hat und dass wir wahrscheinlich in sechs oder sieben Wochen von diesem Parteitag nicht mehr so viel sprechen werden.
    Armbrüster: Jetzt kam dieser Beschluss, dieser Beschlussantrag, das Projekt mit dem Doppelpass zu beenden, dieser Antrag kam von der Jungen Union. Was sagt uns das über die CDU, dass die Junge Union solche Vorstöße macht?
    Jun: Das kennen wir auch von der anderen großen Partei, der SPD, dass die Jugendorganisation in der Regel immer etwas mehr polarisieren möchte, als es die große Partei tut, als es die Mutterpartei tut. Das ist üblich. Da sind diejenigen, die eher noch auf die Identität einer Partei achten, die möchten, dass die Partei ihren eigenen Markenkern, ihre Identität bewahrt, und das war in der Ausländer-, Migrations- und Asylpolitik in der Vergangenheit immer eher restriktiv und daran hat die Junge Union ihre Mutterpartei erinnert.
    Armbrüster: Oder ist es vielleicht so, dass in der CDU außer der Jungen Union eigentlich niemand mehr da ist, der noch aufmuckt?
    Jun: Ihre Frage zielt wahrscheinlich darauf hin, dass der konservative Flügel der Partei relativ gestutzt worden ist. Das ist richtig. Aber immerhin hat sich ja beispielsweise auch jemand wie Jens Spahn heute auf diese Seite gestellt. Er ist noch nicht ganz ausgefallen aus der Partei, sondern er ist durchaus noch vorhanden, wenn auch - und das ist richtig - in deutlich abgeschwächter Form als in der Vergangenheit.
    "Der Wahlkampf 2017 wird polarisierter ablaufen"
    Armbrüster: Es war ja durchaus auch sein Parteitag, Jens Spahns Parteitag. Er ist hier richtig ins Rampenlicht gerückt worden. Das bringt uns vielleicht noch kurz darauf, auf das Personal zu blicken. Was zeichnet sich denn Ihrer Meinung nach hier ab in der CDU? Wer könnte bei der CDU in den kommenden Jahren etwas zu sagen haben und sich möglicherweise auch Hoffnung machen auf den Chefposten?
    Jun: Im Moment sehe ich da keinen, der ihr unmittelbar - - So einen Kronprinz gibt es nicht oder einen, der ihr als unmittelbarer Nachfolger oder als Konkurrent gar gefährlich werden könnte. Aber Jens Spahn ist sicherlich eine der Personen aus den jüngeren Generationen, die dafür in Frage kommen. Die Hoffnungen ruhten ja auch eine ganze Zeit mal auf Julia Klöckner. Die ist nach den Wahlniederlagen jetzt etwas geschwächt, aber auch die sollte man nicht außer Acht lassen. Die hat ja wieder ein recht gutes Ergebnis als stellvertretende Parteivorsitzende erzielt.
    Und dann gäbe es noch den einen oder anderen, aber damit haben wir schon zwei aus der jüngeren Garde genannt. Aber es zeigt sich auch schon, dass wir insgesamt in der Union, was die Spitze betrifft - und damit sind wir auch wiederum bei Ihrer Ausgangsfrage -, jetzt keine Alternative insofern zu Angela Merkel sehen, als dass diejenige dann so wählerwirksam wäre wie die Kanzlerin.
    Armbrüster: Das klingt jetzt alles, was Sie sagen, auch Ihre vorherigen Antworten, als sei dies kein Parteitag gewesen, der länger in Erinnerung bleibt.
    Jun: Ich glaube, dass wir einen Parteitag gesehen haben, der eine Annäherung der CDU an die Positionen der CSU gebracht hat. Wir haben gesehen einen Parteitag, der offenkundig die Disharmonien zwischen der Kanzlerin und auch der Partei deutlich gemacht hat. Aber die kannten wir als Beobachter schon vorher und die werden tatsächlich, glaube ich, auch jetzt weiter den Protagonisten und auch den Akteuren bekannt sein und wir werden sehen, dass die CDU sich darauf einstellt, dass der Wahlkampf 2017 polarisierter ablaufen wird, und für diesen wollte sich die CDU bei diesem Parteitag schon mal in Position bringen.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun. Vielen Dank für das Gespräch heute Abend.
    Jun: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.