Samstag, 20. April 2024

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Merkel und die Flüchtlingspolitik
"Geduld der CSU scheint so langsam endlich zu sein"

Die CSU versuche derzeit immer noch, einen Kompromiss mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik zu finden, sagte der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin im DLF. Ihr sei durchaus bewusst, dass sie nicht mehr viel Zeit habe, um ihre Linie von einer europäischen Lösung durchzuführen.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.01.2016
    Flüchtlinge bei der Registrierung in der Zentralen Registrierungsstelle im nordrhein-westfälischen Greven.
    Seit Oktober regiere die Kanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik gegen die Mehrheit in der Bevölkerung, sagte der Politologe Oskar Niedermayer im DLF. (PATRIK STOLLARZ / AFP)
    Dirk-Oliver Heckmann: Vor zwei Wochen fiel der Empfang der Kanzlerin in Wildbad Kreuth noch betont freundlich aus. Einen Eklat wie beim CSU-Parteitag in München wollte man unter allen Umständen vermeiden. Doch der Druck auf Merkel steigt, und zwar in der Flüchtlingspolitik natürlich. Noch ist es ihr nicht gelungen, die Zahl der Flüchtlinge entscheidend zu senken und eine europäische Lösung herbeizuführen. Die CSU-Abgeordneten im bayerischen Landtag, die wollen Merkel deshalb einen Brief übergeben heute in Kreuth. Was hat Merkel da zu erwarten?
    Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Professor Oskar Niedermayer von der FU Berlin. Schönen guten Tag, Herr Niedermayer.
    Oskar Niedermayer: Guten Tag!
    Heckmann: Die CSU-Landtagsabgeordneten wollen Angela Merkel heute ihren Brief übergeben. Da fordern sie lautstark einen Kurswechsel, unter anderem eine Obergrenze. Wie ernst ist es der CSU bei diesem Thema?
    Niedermayer: Briefe gibt es in letzter Zeit eine ganze Menge, auch von der CDU, und zwar für und gegen Frau Merkels Flüchtlingspolitik. Ich glaube, der CSU ist es sehr ernst. Das ist ja jetzt nicht nur in den letzten Tagen deutlich geworden, sondern eigentlich schon im Oktober letzten Jahres, wo die CSU deutlich gemacht hat, dass sie Frau Merkels Flüchtlingspolitik nicht mitträgt. Es sind ja mehrere Ultimaten schon gestellt worden an Frau Merkel. So langsam werden es auch ein bisschen viel und die Leute fragen sich natürlich, ob es immer nur bei diesen Ultimaten bleibt, oder ob die CSU dann auch mal tatsächlich Dinge durchführt, die sie androht. Das wird man jetzt in den nächsten Wochen sehen, ob da was dran ist, ob zum Beispiel die CSU das ultimative Instrument tatsächlich anwenden würde, nämlich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Regierung zu klagen, in der sie ja selbst mit drin ist.
    Heckmann: Was denken Sie denn? Würde die CSU das tun?
    Niedermayer: Ich glaube, dass das von den nächsten wenigen Wochen abhängt, denn die internationale, die europäische Lösung, die Frau Merkel anstrebt, die müsste jetzt langsam greifen. In nächster Zeit trifft sich Frau Merkel ja auch mit dem türkischen Ministerpräsidenten. Die Türkei soll ja da eine große Rolle spielen. Und es gibt auch einen EU-Gipfel wieder, wo noch mal darauf gedrungen wird, eine EU-weite Verteilung zu erreichen. Wenn das alles aber nicht funktioniert und die Flüchtlingszahlen aufgrund des besseren Wetters dann im Februar/März auch noch steigen, dann glaube ich, dass die CSU schon bereit sein wird, dann zu härteren Mitteln zu greifen.
    Heckmann: Und dann in der Bundesregierung trotzdem zu verbleiben, in der Koalition, obwohl man nach Karlsruhe geht?
    Niedermayer: Das wäre dann die große Frage, denn folgerichtig wäre natürlich dann eigentlich, dass die CSU die Regierung verlässt.
    Heckmann: Und das halten Sie für denkbar?
    Niedermayer: Ich halte es nicht ganz für ausgeschlossen, aber ich glaube, dass letztendlich man doch einen Kompromiss finden könnte, denn Frau Merkel selbst ist ja durchaus auch bewusst, dass sie nicht mehr sehr viel Zeit hat, um ihre Linie wirklich durchzuführen, denn es geht ja nicht nur die CSU von der Fahne, sondern die SPD übt ja auch zunehmend Kritik an ihr, und wenn sie keine Erfolge erzielt in den nächsten Wochen, dann wird es, glaube ich, ganz schwierig werden für sie.
    Heckmann: Horst Seehofer sagte gestern - das war ein bemerkenswerter O-Ton, den wir gerade auch schon mal gehört haben -, wir wollen eine Lösung mit Merkel, die Betonung liege aber darauf, dass man eine Lösung wolle. Ist das als klare Drohung zu verstehen, wenn sie ihren Kurs jetzt nicht langsam wirklich ändert, oder Erfolge zeitigt, dann sind ihre Tage als Kanzlerin möglicherweise sogar gezählt?
    Niedermayer: Nun, das liegt ja nicht an Herrn Seehofer alleine oder nur zu einem geringeren Teil an Herrn Seehofer, ob ihre Kanzlerinnentage gezählt sind. Denn zum Beispiel, wenn es zum Schlimmsten käme und die CSU tatsächlich die Regierung verlassen würde, dann hätten CDU und SPD immer noch eine klare Mehrheit im Bundestag. Das heißt, das würde nicht automatisch dazu führen, dass Frau Merkel ihren Hut nehmen muss, oder dass es Neuwahlen gibt, oder sonst was. Da muss man vorsichtig sein. Aber eine klare Drohung war es schon. Man versucht, immer noch mit Merkel einen Kompromiss zu finden, aber die Geduld der CSU scheint so langsam endlich zu sein, und das ist natürlich schon ein großes Problem für die Frau Merkel.
    "Wir haben einerseits klar die Tatsache, dass wir einen Kanzlerinnen-Demokratie sind"
    Heckmann: Auch der Verkehrsminister, Herr Dobrindt von der CSU, hat ja öffentlich einen Kurswechsel gefordert. Ist das eigentlich bereits ein Verstoß gegen die Kabinettsdisziplin und kann sich Angela Merkel das eigentlich gefallen lassen?
    Niedermayer: Wir haben ja unterschiedliche Dinge. Wir haben einerseits klar die Tatsache, dass wir eine Kanzlerinnen-Demokratie sind, sodass der jeweilige Kanzler oder die Kanzlerin die Richtlinien der Politik bestimmt. Das ist eine Sache. Aber andererseits haben wir auch durchaus die Freiheit der einzelnen Minister, in ihren Ressorts die Sache selbst verantwortlich zu leiten. Insofern gibt es keinen Maulkorb für die einzelnen Minister. Aber es ist natürlich schon qualitativ ein weiterer Sprung, wenn jetzt sich ein Minister der eigenen Regierung ganz klar gegen die Politik der Kanzlerin stellt.
    Heckmann: Und das kann sie sich gefallen lassen, muss sie sich gefallen lassen?
    Niedermayer: Sie hat zumindest jetzt noch nicht erkennen lassen, dass sie sich das nicht gefallen lässt. Das würde ja bedeuten, dass sie die Ablösung von Herrn Dobrindt fordert. Das ist aber nicht geschehen. Und wenn sie das tun würde, wenn sie so reagieren würde, dann, glaube ich, würde auch im Gegenzug die CSU die Regierung verlassen.
    Heckmann: Aber ist nicht langsam da ihre Autorität doch völlig angekratzt, wenn sogar ein Bundesminister sich öffentlich gegen die Kanzlerin stellt?
    Niedermayer: Ja, das denke ich schon, auch nicht nur erst in den letzten Tagen, sondern das ist ja ein schleichender Prozess gewesen jetzt über Wochen hinweg. Und man darf ja auch nicht vergessen, wenn man sich alle Umfragen anschaut: Es ist nicht so, dass es jetzt erst in den letzten Tagen einen Umschwung gegeben hat, sondern der Umschwung in der öffentlichen Meinung war schon im Oktober und seither regiert die Kanzlerin in dieser einen Frage, nicht generell, aber in dieser eigenen Frage gegen die Mehrheit in der Bevölkerung, und das ist natürlich auch eine Form von Autoritätsverlust, obwohl man ganz klar sagen muss, dass generell die Bürgerinnen und Bürger ja immer noch recht viel von ihr halten.
    "Ihre Entscheidung im September aus humanitären Gründen war durchaus nachvollziehbar"
    Heckmann: Mit der Öffnung der Grenze im September und dieser Entscheidung, auch diese Grenze faktisch offenzulassen - es strömen ja nach wie vor viele Flüchtlinge nach Deutschland -, hat sie denn da unterm Strich die richtige Entscheidung getroffen, oder hat sie sich damit unnötig in die Abhängigkeit von Entscheidungsträgern begeben, deren Entscheidungen nicht in ihrer Macht stehen, nämlich in den europäischen Regierungen beispielsweise?
    Niedermayer: Ich würde sagen, dass ihre Entscheidung im September aus humanitären Gründen durchaus nachvollziehbar und auch gerechtfertigt war. Nur hat sie dann in der Folgezeit durch ihren Ansatz, die Begrenzung von weiteren Zuzügen nur über eine europäische Lösung erreichen zu wollen, sich selbst gebunden an andere Akteure, die sie nur begrenzt beeinflussen kann, und man sieht ja jetzt, dass Deutschland in Gesamteuropa ziemlich alleine steht mit der Art und Weise, diese Politik zu betreiben.
    Heckmann: Und da sehen wir ganz kurz noch, Herr Niedermayer, möglicherweise den Beginn einer Kanzlerindämmerung?
    Niedermayer: Das könnte passieren. Das hängt natürlich sehr stark von den realen Entwicklungen in den nächsten Wochen ab. Aber auszuschließen ist das nicht mehr.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Professor Oskar Niedermayer war das von der Freien Universität Berlin. Herr Niedermayer, schönen Dank für Ihre Zeit.
    Niedermayer: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.