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Merkels Grenzöffnung
"Schaffen die das, die Deutschen?"

Vor einem Jahr entschied die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Flexibilität zu zeigen und die Tür die Flüchtlinge zu öffnen, die via Balkanroute die deutschen Grenzen erreichten. Das europäische Ausland reagierte teils fassungslos, teils erleichtert, teils verstört, teils respektvoll.

Moderation: Jörg Münchenberg, Deutschlandradio Brüssel | 31.08.2016
    Kinder halten in Abuja in Nigeria, im Lager für Binnenflüchtlinge New Kuchigoro, selbst gemalte Schilder mit der Aufschrift "Wir schaffen das" hoch, bevor der Bundespräsident kommt.
    Merkels Satz "Wir schaffen das!" hat weltweit Aufmerksamkeit bekommen. (picture alliance / dpa /Wolfgang Kumm)
    Waren die Deutschen plötzlich unvernünftig geworden, einfach moralisch-solidarisch, oder handelten sie aus unbekanntem Kalkül?
    Diego Velazquez, Brüssel-Korrespondent der Tageszeitung "Luxemburger Wort", erinnert sich an den Sommer 2015, die Zeit unmittelbar vor Angela Merkels umstrittener Entscheidung:
    "Auf dem Juni-Gipfel in Brüssel gab es ein relativ klares Nein zu der europäischen Lösung, die Angela Merkel lange angestrebt hatte, also die Lastenverteilung. Und es war relativ naiv, darauf zu bauen und zu denken und zu glauben, dass die anderen Staaten irgendwann einmal mitziehen werden. Das war eine Fehleinschätzung, aber was war die Alternative?"
    Italien jubelte über Deutschland
    Giovanni del Re, Brüssel-Korrespondent der Tageszeitung "Avvenire", betont, die Entscheidung der Bundeskanzlerin, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei in Italien bejubelt worden. Ganz anders hingegen sei die Reaktion auf die ablehnende Haltung der ostmitteleuropäischen Staaten gegen eine Verteilung der Flüchtlinge nach festen Quoten ausgefallen:
    "Dieses kompakte Nein war ein harter Schlag. Nach dem Motto: ‚Wenn einmal wirklich Solidarität nötig ist, dann kriegen wir ein dickes Nein. Geld können wir weiter zahlen, aber Solidarität können wir nicht erwarten.‘ Das ist ein bisschen hart ausgedrückt, aber so kam das rüber."
    "Polen verhält sich ungerecht"
    Auch Bartosz Wielinski, Redakteur der polnischen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", sieht die Position der nationalkonservativen Regierung Polens gegenüber Flüchtlingen äußerst kritisch:
    "2014, als die Russen die Krim annektiert hatten, war Polen das Land, das am lautesten geschrien hat: Wir brauchen Solidarität von der EU, um unser Land, die Ukraine und den Frieden in Europa zu schützen. Damals haben wir Solidarität gefordert. Und jetzt, wo unsere Freunde aus dem Westen diese Solidarität brauchen, weil sie überfordert sind mit den Flüchtlingen, sagen wir diese Hilfe ab. Das ist nicht gerecht!"
    Quotenregelung ohne Chancen
    Edit Inotai, Senior Fellow beim Thinktank "Centre for Euro-Atlantic Integration and Democracy" (CEID) in Budapest, sieht derzeit keine Chance für eine Durchsetzung der Quotenregelung:
    "Ich finde es momentan völlig sinnlosl, über die Quoten zu diskutieren, weil man über Symbole keine rationale Debatte führen kann. Und Brüssel kann Ungarn oder diese jetzige ungarische Regierung nicht dazu zwingen, Flüchtlinge aufzunehmen. Mein Vorschlag wäre, einen Flüchtlingsfonds einzurichten, aus dem die Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, finanzielle Unterstützung bekommen könnten. Und die Länder, die Flüchtlinge ablehnen, sollten einen finanziellen Beitrag leisten."