Dienstag, 19. März 2024

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Merkels Kritik an Putin
"Das ist Klartext gewesen"

Der Westen muss Russland mehr entgegensetzen, findet der ehemalige grüne Europaabgeordnete Werner Schulz. Im Deutschlandfunk sagte er, eine gute Sanktion sei es, russischen Schiffen die Fahrt durch den Bosporus zu verweigern. Schulz begrüßte es, dass Kanzlerin Merkel gegenüber Präsident Putin erstmals Klartext geredet habe.

Werner Schulz im Gespräch mit Jürgen Liminski | 18.11.2014
    Werner Schulz von den Grünen, von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments
    Werner Schulz von den Grünen, von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Jasper Barenberg: Seit gestern wird das Bild vom Geduldsfaden bemüht, von dem der Kanzlerin, der Zusehens dünner werde. Angela Merkel hat sich in Sydney in einer Rede deutlich zu Russland und der Politik von Präsident Putin geäußert, deutlicher jedenfalls als in den vergangenen Monaten. Wie sind ihre Äußerungen zu bewerten? Darüber hat mein Kollege Jürgen Liminski mit Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grünen gesprochen, dem ehemaligen Europaabgeordneten und Kenner der Ukraine und Russlands.
    Jürgen Liminski: Was würden Sie der Kanzlerin für ihr nächstes Gespräch mit Putin raten? Mehr Geduld? Sie war vom letzten Gespräch ja offensichtlich etwas frustriert.
    Werner Schulz: Ich bin da selbst etwas ratlos. Ich glaube, das sind jetzt schon fast 40 Gespräche, die sie mit Wladimir Wladimirowitsch Putin geführt hat, und sie wird ja nach Strich und Faden von ihm vorgeführt oder an der Nase herumgeführt. Ich glaube, das Fazit, was sie jetzt gezogen hat, ist sehr verständlich: Das ist Klartext gewesen. Ich sehe die Situation eigentlich noch drastischer als sie, aber die Kanzlerin ist ja immer noch bemüht, diese Balance zu wahren, auf der einen Seite den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, was sicherlich sehr vernünftig ist, auf der anderen Seite deutlich zu machen, dass sich Europa und die übrige westliche Welt das nicht gefallen lässt, dass er einen derartigen Konflikt vom Zaun gebrochen hat, der uns alle betrifft letztlich.
    Liminski: Ist denn nicht doch etwas mehr Appeasement-Politik angebracht, wie man das aus der Linken und auch weniger direkt aus der SPD hört?
    Schulz: Na ja. Appeasement ist ja in der Geschichte nicht gerade positiv besetzt. Das hat ja dazu geführt, wie der Bundespräsident das auf der Westerplatte ja deutlich gesagt hat, dass das den Appetit von Aggressoren nur noch verstärkt, dass man ihnen Zugeständnisse macht und dass sie sich immer mehr holen, was sie sich vorgenommen haben. Es hat ja diese Appeasement-Politik gegeben. Wir sind ja sehr nachsichtig gegenüber der Aggression gewesen, die Russland gegen Georgien durchgeführt hat. Da hat man das so dargestellt, als ob die Georgier daran selbst schuld gewesen seien. Am Ende sehen wir, dass jetzt die Krim annektiert worden ist, dass die Ukraine destabilisiert wird, und das hat ja alles noch nicht aufgehört. Ich meine, russische Truppen stehen in Abchasien, in Ossetien, in Transnistrien, und es besteht die Gefahr, dass hier überhaupt eine Verbindung zwischen all diesen Enklaven gezogen wird, also dass die weitere Annexion in der Ostukraine nicht aufhört.
    "Das hätte man im Kreml sehr gut verstanden"
    Liminski: Um noch bei diesem Thema zu bleiben: Mit Putin mehr Klartext reden?
    Schulz: Ich glaube, dass man ihm deutlicher etwas entgegensetzen muss. Ich bin zwar kein Freund dieser Wirtschaftssanktionen gewesen, weil Wirtschaftssanktionen sehr langfristig wirken und auch in der Geschichte der Sanktionen sehr unterschiedliche Wirkung gehabt haben, mitunter keine, mitunter erst nach Jahren. Diese asymmetrische Maßnahmen, glaube ich, haben Putin nicht zum Einlenken gebracht.
    Was man versäumt hat ist, ihm vor Augen zu führen, was passiert, wenn man sich nicht ans Völkerrecht hält, und man hätte das Abkommen von Montreux, 1936 geschlossen, was die Durchfahrt von Schiffen, auch Kriegsschiffen durch den Bosporus regelt, das hätte man aufkündigen sollen. Das ist von der Sowjetunion noch unterzeichnet worden, es ist also nicht mehr aktuell. Man hätte Putin deutlich vor Augen führen müssen, dass er mit der Annexion der Krim und der auslaufenden Schwarzmeer-Flotte, die das dann nicht mehr könnte, gar nichts gewonnen hätte. Das wäre die entsprechende Antwort gewesen. Das hätte man im Kreml, glaube ich, sehr, sehr gut verstanden, und wir hätten uns alles Weitere ersparen können.
    Liminski: Die Außenminister haben ja keine Sanktionen gegen Russland beschlossen. Das kann später noch kommen. Was bringt denn mehr, ein sinkender Ölpreis, der Russland an den Rand der Pleite rückt, oder neue Sanktionen?
    Schulz: Beides hat sicherlich Wirkung, aber der sinkende Ölpreis noch viel stärker. Die russische Opposition hat immer gesagt, Putin hängt allein vom Ölpreis ab. Er konnte ja bisher diese sozialen Wohltaten, die er verteilt hat - natürlich nur wesentlich weniger an die Bevölkerung als an die eigene Machtelite und an die Oligarchen -, das konnte er sich ja nur leisten aufgrund des hohen Ölpreises. Ansonsten: Russland ist absolut abhängig von diesem Rohstoffexport und hat ansonsten keine anderen Einnahmequellen. Es ist eine gar nicht vorhandene Exportindustrie in diesem Land.
    "Ein aggressiver Nationalismus"
    Liminski: Sie haben nicht nur, Herr Schulz, wegen der Feiern in diesen Wochen, sondern vor allem als Bürgerrechtler eine gute Erinnerung an die Zeit, da die Sowjetsoldaten das Gebilde Namens DDR besetzt hielten. Erinnert Sie Putins Verhalten an die alte Sowjetunion?
    Schulz: Es ist etwas Neues. Während die Sowjetunion ja so einen vermeintlichen Internationalismus verkündet hat, ist das hier eher ein aggressiver Nationalismus, ein völkischer Nationalismus. Aber woran ich mich sehr gut erinnere, ist, dass sogar, als der Mauerdurchbruch am 9. November passiert ist, man noch mal versucht hatte, die friedliche Revolution mit Hilfe der Roten Armee aufzuhalten. Daran war wahrscheinlich auch Wladimir Putin beteiligt. Denn am 28. Dezember gab es Schmierereien am Treptower Ehrenmal, am 28. Dezember 1989: faschistische Parolen und Schmierereien.
    Wir am Runden Tisch hatten damals die Information, oder zumindest alle Indizien deuteten darauf hin, dass es die Stasi selbst war, die das gemacht hat, und eine Spur führte nach Dresden, woher der neue Ministerpräsident Modrow kam. Putin hat in Dresden als KGB-Chef alle Akten verbrennen lassen, der Stasi-Chef Böhm hat sich das Leben genommen. Am 3. Januar 1990 gab es eine große Demonstration in Treptow, nach dem Motto, der antifaschistische Schutzwall ist gebrochen, die Neonazis aus dem Westen kommen und wollen die DDR jetzt übernehmen. Das heißt, man hat versucht, die Rote Armee noch mal zu provozieren, dass sie ähnlich wie am 17. Juni '53 noch mal solch einen Aufstand, solch eine Erhebung niederschlagen. Das ist die Art und Denkungsweise eines KGB-Offiziers wie Wladimir Putin. Ich meine, wer die Auflösung der Sowjetunion als die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts bezeichnet, nicht den Holocaust, nicht den Holodomor, nicht den Ersten oder Zweiten Weltkrieg, sondern den Verlust von, wenn man es genau betrachtet, Kolonien, die man erobert hat, der hat eine ganz andere Sicht auf den Verlauf der Dinge.
    Barenberg: Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grünen im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.