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Merkels Zitat
"Wir schaffen das" - eine linguistische Untersuchung

Das Interessanteste an diesem einfachen Satz ist möglicherweise, dass Angela Merkel ihn sagen musste. Und natürlich spielt auch das Wie eine Rolle, also welches dieser drei Worte betont worden sind.

Von Rayk Wieland | 31.08.2016
    Das Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel "Wir schaffen das!" steht auf einem wolkenförmigen Schild beim Rosenmontagszug in Köln im Februar 2016.
    Das Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel "Wir schaffen das!" auf einem Schild beim Rosenmontagszug in Köln im Februar 2016. (imago/Chai von der Laage)
    Drei Wörter sind es, Subjekt, Objekt, Prädikat, und kein Komma, wiederholt bis zum Gehtnichtmehr, kommentiert bis zum Abwinken, heute vor genau einem Jahr ausgesprochen von Angela Merkel, unserer Kanzlerin: "Wir schaffen das!" Gemeint war damit ganz allgemein die Bewältigung der Flüchtlingskrise, wobei jedes einzelne der drei Wörter seither mit der Goldwaage abgewogen wurde. Wer ist "Wir"? Was genau bedeutet "schaffen"? Und was verbirgt sich speziell hinter dem "das"?
    Drei-Wort-Sätze sind in der Politik sehr beliebt, man denke an "Mehr Demokratie wagen", an "Yes we can", an "Wir sind bereit" oder auch an "Weltklasse für Deutschland". Sie sind so herrlich eindeutig uneindeutig, meistens auch nah am Nonsens gebaut und in ihrer allgemeinen Unverbindlichkeit haben sie etwas Beruhigendes.
    Kein kühner Optimismus, sondern pragmatische Zukunftsgewissheit
    Was bei "Wir schaffen das!" im Bedeutungshorizont mitschwingt, ist das resolute Anpacken der klassischen Hausfrau, die sich einem Berg Abwasch gegenübersieht. Angeknüpft wird sowohl an das alte westdeutsche Wirtschaftswunder mit seinem "Schaffe, schaffe, Häusle baue" als auch ans eher ostdeutsch erlebte "Schaffen der Werktätigen", das immer gern hervorgehoben wurde und bei Angela Merkel vielleicht unbewusst verankert ist. Kein kühner Optimismus, sondern pragmatische Zukunftsgewissheit wird hier verbreitet. Es geht um Selbstmotivation, wie sie gern vor Prüfungen gemurmelt wird. Ein bisschen Pfeifen im Walde ist auch dabei, denn ganz sicher ist sich der Führer einer Seilschaft im Gebirge nicht, ob "wir schaffen das!" nicht vielleicht der letzte Satz sein könnte, bevor er in den Abgrund fällt. Denn wäre es offenkundig, dass das zu Schaffende zu schaffen ist, müsste man es jas nicht beschwörend versichern.
    Welches Schaffen Merkel am Ende meinte, weiß niemand
    Das Interessanteste an diesem einfachen Satz ist möglicherweise, dass Angela Merkel ihn sagen musste, und natürlich spielt auch das Wie eine Rolle, also welches dieser drei Worte betont worden sind. Im Wortlaut sagte Merkel vor einem Jahr in ihrer eigenen Betonung: "Und ich sage auch, Deutschland ist ein starkes Land, wir haben so vieles geschafft, und wir schaffen das." Der Akzent lag also eindeutig und im resoluten Feldwebelton auf dem "schaffen", wobei "schaffen" gleich wieder ambivalent ist: Einmal im Sinne praktisch der Schöpfungslehre – Gott schuf die Welt, also etwas, das vorher nicht vorhanden war, etwas erschaffen, eine einmalige, unerhörte, kreative Sache. Oder aber es bedeutet Erreichen, Kriegen – den Zug schaffen, eine Arbeit rechtzeitig zum Termin zu schaffen, etwas erledigen, also das, was man jeden Tag irgendwie ohnehin tut. Die deutsche Flüchtlingspolitik ist, je nach Standpunkt, beides. Und welches Schaffen Merkel am Ende meinte, Weltschöpfung oder Alltagsgemurkse – weiß niemand nach einem Jahr Herumsinnen über diesen Satz mit letzter Gewissheit zu sagen. Wenn Politik aber die Kunst ist, Ankündigungen zu machen, genauer gesagt, nicht allzu spezifische Ankündigungen, dann kann dieser Satz als Lehrbeispiel in die Reihe politischer Sätze aufgenommen werden, die sehr bedeutend sind, ohne zu viel zu bedeuten.