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Merlin minimalistisch

Vor 30 Jahren kam Tankred Dorsts Stück "Merlin oder Das wüste Land" zur Uraufführung: Ein Schauspiel um die Sage vom Zauberer Merlin, mit Teilen des Artusstoffes und der Heldengeschichten um Lancelot und Parzival. Jochen Schölch hat das Stück nun im Münchner Privattheater Metropol auf die Bühne gebracht.

Von Rosemarie Bölts | 17.06.2011
    Im Münchner Metropoltheater braucht man - wie immer - so gut wie nichts, um die desolate Weltlage in Merlins wüstem Land darzustellen. Eine leere Bühnenlandschaft, deren Boden mit kleinen, weißen Hartplastikplatten die Ödnis beschreibt. Darauf ein niedriger, hölzerner Laufsteg in Form eines riesigen, durchaus christlich gemeinten Kreuzes, das auch der ritterlichen Tafelrunde oder der Intimität eines Schachspiels dient, Grenzen markiert oder der Waldboden für den brutalnaiven Naturburschen Parzifal und dessen Mama ist. Und über allem schwebt ein Ballon als erleuchteter Globus. "Menschen" stören die Welt nur, wie Mama Herzeloide ihren Parzifal warnt, " sie sind eine Drohung des Todes":

    "Das muss ein Engel gewesen sein!
    Ja, ja, ein Engel.
    Und ich wollte hingehen und mit ihm sprechen.
    Du sollst mit keinem Menschenleben sprechen! Du musst wegrennen.
    Warum verstecken wir uns vor den Menschen?
    Wenn du unter Menschen kommst, bringen sie dich um!
    Aber warum?
    Sie töten mit Absicht! Sie streiten, kämpfen, schlagen, stechen aufeinander ein wie dein Vater!"

    Ist das komplexe Stück von Tankred Dorst erst voller Symbolik und gespickt mit verschiedenen Handlungsebenen, Zeitaltern und Zitaten der Weltliteratur, so ist es diese Inszenierung von Jochen Schölch allemal. Obwohl er mit seinem Dramaturgenteam - dankenswerterweise, möchte man hinzufügen - die Originallänge von 370 Seiten auf knappe 60 und damit auf nur zweieinhalb Stunden Spielzeitdauer gekürzt hat, bleiben dennoch viel Raum und Fantasie, um das arg nihilistische Welttheater aus den 80er-Jahren ins Hier und Jetzt zu bringen.

    Aus Merlin, der den teuflischen Auftrag bekommt, "die Menschen zum Bösen zu befreien", wird ein Punkmädchen im Gothic-Aufzug. Schwarz natürlich, düster, trotz aller Anstrengung, eine gerechte Weltordnung mit der Erfindung des Runden Tisches zu installieren, vulgo Tafelrunde der Ritter:

    "Merlin, werden Ideen alt? Altern sie? Sterben sie dahin wie die Menschen?
    Keine Ahnung! Musst du einfach sitzen lassen.
    Erstarren sie wie unsere erstarrenden Arterien?
    Das interessiert mich nicht.
    Was fehlt euch denn?
    Ein schöner, runder Tisch. Keine Ecken, keine schlechten Plätze.
    Mit der Tafelrunde haben wir einen Anfang gemacht. Wir haben in Christus eine neue Gesellschaft der Brüderlichkeit gegründet!
    Neue Gesellschaft?"

    Anspielungen auf heutige "Kriege" in Gesellschaft und Politik gibt es zuhauf. Die Welt als böse Vorstellung. Aber zauberhaft inszeniert. Aus einem weißen Tuch wird mal ein Engelsflügel, mal das Hochzeitskleid von Königin Ginevra oder auch das Bettlaken, unter dem Yoko Ono und John Lennon ihren Friedensappell an die Welt hielten. Flankiert von Sonnenbrillen-tragenden Anzugträgern, die mit den Fingern den Takt auf den Laufsteg, jetzt also auf die imaginären Tasten klopfen. Lennon trägt dazu ein Dauergrinsen, und die Japanerin erkennt man daran, dass sie mit den Fingern die Augen zu Schlitzen zieht.

    Hinreißende "Tableaus" wie diese sind es, die Jochen Schölch mit seinem jungen Ensemble bildet und die einmal mehr die in seiner minimalistischen Ausstattung reiche Theaterpoesie bestätigen: Die Pferdemasken, die zum Scheiterhaufen geschichtet werden. Die Plastikspielfiguren, mal als Ritter, mal als Schachfiguren benutzt. Die zu diesen Regieeinfällen kolossal passenden Kostüme.

    Die neun Schauspielstudenten der Bayerischen Theaterakademie erfüllen ihre Rollen erstaunlich professionell. Mit vollem Körpereinsatz und hohem Tempo wechseln sie zwischen choreografischen Tanz- und Kampfeinlagen, Chorgesängen, parodistischen Szenen, Leidenschaft und Erzählgestus. Das ist kraftvoll, ironisch, durch die Komplexität des Stoffes manchmal verwirrend, aber eindeutig: eine fantastische Vorstellung!