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MERS-Coronavirus
Impfstoff aus dem Baukasten

Mehr als 1.600 Fälle sind bekannt, fast 600 Patienten starben an Infektionen mit dem MERS-Coronavirus. Bislang ist noch kein Impfstoff gegen den Erreger bekannt. Doch mehrere deutsche Forschergruppen haben vielversprechende Ergebnisse bei der Suche nach solchen Vakzinen.

Von Joachim Budde | 17.02.2016
    Süd-Korea gilt den thailändischen Behörden als Mahnung: Im Frühsommer 2015 hat ein einziger Patient das MERS-Virus dorthin eingeschleppt und einen Ausbruch mit fast 190 Erkrankten ausgelöst. Knapp 40 Menschen starben. Damit habe das Virus erneut gezeigt, wozu es fähig ist, sagt Professor Christian Drosten. Der Virologe vom Universitätsklinikum Bonn ist einer der führenden MERS-Experten.
    "Das MERS-Virus ist ja ein sehr gefährliches Virus. Wir wissen gar nicht ganz genau welchen Anteil von Infizierten dieses Virus tötet, aber in den Krankenhausausbrüchen, die wir untersucht haben, sieht das ziemlich alarmierend aus, bis zu 30 Prozent der Infizierten sterben an dieser Erkrankung."
    Vor allem für Menschen mit Diabetes, Krebs oder Patienten nach einer Organtransplantation ist das Virus gefährlich, denn ihr Immunsystem ist schwach. Ein Impfstoff würde helfen, diese Menschen zu schützen.
    Gleich vier deutsche Forschergruppen arbeiten unter dem Dach des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung, kurz DZIF, an Impfstoffkandidaten. Am weitesten sind Gerd Sutter und seine Mitarbeiter vorangekommen. Der Professor für Virologie am veterinärmedizinischen Departement der Ludwig-Maximilians-Universität München verwendet für die Impfstoffentwicklung allerdings nicht das MERS-Virus selbst, sondern einen alten Bekannten: den Impfstamm des Vaccinia-Virus, den Pockenimpfstoff.
    "Dieses Virus dient heutzutage als eine Plattformtechnologie, in der man über gentechnische Veränderungen die genetische Information für Impfantigene im Genom dieses Impfvirus einsetzen kann."
    Und das veränderte Pockenvirus bildet dann charakteristische Oberflächenproteine wie ein MERS-Virus. Nach einer Impfung sind es diese Antigene, die das Immunsystem zu erkennen lernt und gegen die es Abwehrstoffe bildet. Bei einem geimpften Menschen würde das Immunsystem die Viren eliminieren, bevor sie Schaden anrichten können.
    "Der große Vorteil ist hier, dass wir schon über einen sehr großen Erfahrungsschatz verfügen, was jetzt sozusagen die Herstellung dieser Viren angeht, was aber auch natürlich die Laborsicherheit, aber auch die klinische Sicherheit eines solchen Impfvirus angeht."
    Pockenimpfstoff gut verträglich
    Vom Pockenimpfstoff ist seit Langem bekannt, dass er gut verträglich ist. Darum sind für neue Impfstoffe auf dieser Basis viel weniger Tests nötig als bei einem komplett neuen Vakzin. Das beschleunigt die Arbeit der Zulassungsbehörden.
    Ein bekanntes Virus zu verändern, geht zudem deutlich schneller als die klassische Methode. Um zum Beispiel einen Impfstoff gegen die Pocken zu bekommen, infizierten Forscher Mitte des 20. Jahrhunderts Zellkulturen in der Petrischale so lange, bis nach vielen Generationen der Wildtyp des Virus seine gefährlichen Eigenschaften verloren hatte. Das geht zu langsam, sagt Professor Stephan Becker, der im DZIF die Arbeit an Impfstoffen gegen neue Infektionskrankheiten koordiniert.
    "Normalerweise ist die Zeit von der Isolierung eines neuen Virus, gegen das man eine Vakzine braucht, bis dann der Impfstoff wirklich im Markt ist, das dauert 15 Jahre und mehr. Und das ist natürlich völlig inakzeptabel, bei Viren, die auftreten, die dramatische Ausbrüche auslösen, wo man schnell etwas braucht."
    Die Weltgesundheitsorganisation hat im Dezember eine Liste von zehn Krankheitserregern aufgestellt, von denen die Gefahr größerer Ausbrüche ausgehe und an denen viel zu wenig geforscht werde. Auch MERS ist auf dieser Liste. Die Forscher hoffen, dass die Plattform-Methode auch für andere gefährliche Erreger schnelle Ergebnisse liefern kann.
    Trivial ist die neue Technik allerdings nicht. Am MERS-Impfstoff arbeiten die Forscher seit vier Jahren. Es habe Anlaufschwierigkeiten gegeben, sagt Stephan Becker.
    "Wir hoffen, dass bei einem neuen Fall, dass wir da noch deutlich schneller sind. Und in meinen wildesten Träumen wäre ich so bei anderthalb bis zwei Jahren, aber das ist wirklich sehr, sehr optimistisch gedacht."
    Klinische Tests am Menschen mit einem Impfstoff in Planung
    Im Tierversuch hat Gerd Sutters verändertes Vaccinia-Virus seine Wirksamkeit bereits unter Beweis gestellt. Jetzt stehen erste klinische Tests am Menschen an, ob der Impfstoff tatsächlich so gut verträglich ist wie erwartet, sagt der Virologe.
    "Aktuell läuft bereits die Produktion dieses Impfstoffes, und wir sind da auf großem Wege, auf gutem Wege, und sind sehr zuversichtlich, dass wir diese Studie dieses Jahr starten können."