Donnerstag, 28. März 2024

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Metall- und Elektrobranche
"Gesetzgeber wird auf diese Tarifvereinbarung reagieren müssen"

Beim Tarifstreit in der Metall- und Elektrobranche ging es auch um Arbeitszeitverkürzung. Darauf zu beharren, sei legitim - aber auch eine Marketingaktion, die hohe öffentliche Aufmerksamkeit bewirkt habe, so Alexander Spermann im Dlf. Das veraltete Arbeitszeitgesetz müsse nun hinterfragt werden.

Alexander Spermann im Gespräch mit Martin Zagatta | 05.02.2018
    Metallarbeiter arbeiten an Eisenteilen.
    In der Metall- und Elektroindustrie von Baden-Württemberg haben sich Gewerkschaft und Arbeitgeber auf einen Tarifabschluss geeinigt. Die Einigung für Baden-Württemberg gilt als Pilotabschluss für die insgesamt rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Branche. (imago stock&people)
    Martin Zagatta: Das Ergebnis, das sich jetzt abzeichnet bei diesen Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie, das kann ich mir jetzt von dem Arbeitsmarktexperten Alexander Spermann von der Universität Freiburg erläutern lassen, der auch lange für das Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn tätig gewesen ist. Guten Abend, Herr Spermann!
    Alexander Spermann: Schönen guten Abend, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Spermann, sieht so die Zukunft aus, weniger arbeiten, mehr Geld?
    Spermann: Die Zukunft sieht so aus: Weniger arbeiten, wenn man weniger arbeiten möchte. Da gibt es ja auch gute Gründe dafür: Familie, Pflege, vielleicht aber auch Weiterbildung. Und mehr arbeiten, wenn man mehr arbeiten möchte. Auch dafür gibt es gute Gründe, zum Beispiel, wenn noch keine Kinder auf der Welt sind, aber man ein Häuschen bauen möchte. Für beide Gruppen ist was im Angebot.
    Zagatta: Das klingt logisch. Aber kann das denn hinhauen mit dem, was der IG Metall vorschwebt und was die Arbeitgeber, was man so hört, unter Umständen teilweise auch mittragen wollen, dass man dann bei einer zeitweisen Verkürzung auf eine 28-Stunden-Woche dann doch dafür noch einen Lohnausgleich bekommt?
    Spermann: Der Lohnausgleich, so scheint es zumindest, ist vom Tisch. Diese Entgeltzuschüsse, gegen die sich die Arbeitgeber von Anfang an sehr vehement gewehrt haben, die scheinen, vom Tisch zu sein. Damit entfällt das Argument, dass dieses Ergebnis ein Kostenschock für die Unternehmen wäre, weil die reguläre Tariferhöhung, die ist natürlich auch schon eingepreist vonseiten der Arbeitgeber. Die Konjunktur läuft ja sehr gut, die Auftragsbücher sind voll. Von daher fällt ein Argument weg, Kostenschock, und damit ist die Tür offen für den Kompromiss. Ich war mir immer sicher in den letzten Wochen, dass es zu einem Kompromiss kommen wird in der Richtung, die Tarifparteien sind vernünftig genug.
    "Wir sind hier einen deutlichen Schritt nach vorne gegangen in Richtung Arbeitszeitflexibilisierung"
    Zagatta: Warum hat das dann so lange gedauert? Das ist ja jetzt schon die sechste Verhandlungsrunde. Man hat Warnstreiks noch gemacht. Und wenn ich Sie jetzt recht verstehe, wenn das tatsächlich vom Tisch ist, dann hat die Gewerkschaft ja nachgegeben.
    Spermann: Sie hat an einem Punkt nachgegeben, aber nicht nachgegeben am zentralen Thema, nämlich dass Arbeitszeitflexibilisierung nicht nur im Interesse der Arbeitgeber ist, dass Arbeitgeber bestimmen, wann mehr gearbeitet wird, sondern auch im Interesse der Arbeitnehmer, dass Arbeitnehmer sagen können, ich möchte jetzt weniger arbeiten, weil ich mich beispielsweise mehr um die Familie kümmern möchte für einen bestimmten Zeitraum. Insofern sind wir hier einen deutlichen Schritt nach vorne gegangen in Richtung Arbeitszeitflexibilisierung, die beiden entgegenkommt, sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern.
    Zagatta: Aber wieso war dann dieser Kompromiss so schwierig? Zumindest öffentlich haben wir das gehört und so habe ich es immer wieder gelesen, dass die Gewerkschaft diesmal an dieser Verkürzung der Arbeitszeit festhalten wollte mit einem Lohnausgleich und dass man sich da so festgebissen hat.
    Spermann: Die Gewerkschaften haben hier ein Thema in die Diskussion gebracht, nämlich die Arbeitszeitverkürzung bei teilweisem Lohnausgleich, mit dem man auch gut neue Mitglieder gewinnen kann. Stellen Sie sich vor, dieser Konflikt hätte nicht eskaliert, sondern wäre im stillen Nebenkämmerchen zu Ende gegangen. Dann wäre das auch keine Marketingaktion gewesen für die Gewerkschaften. So mit dieser hohen öffentlichen Aufmerksamkeit signalisiert man natürlich auch vonseiten der Gewerkschaften, wir sind ernst zu nehmen, wir kämpfen, wir sind potenziell für neue, auch für junge Mitglieder ganz interessant.
    Zagatta: Aber das war dann, wenn ich Sie richtig verstehe, eine reine Show-Veranstaltung?
    Spermann: Das würde ich nicht sehen, dass es eine reine Show-Veranstaltung ist, sondern die Gewerkschaften leben davon, dass sie neue Mitglieder gewinnen, um damit dauerhaft stark zu sein. Von daher war es absolut legitim und es ist ja auch etwas erreicht worden, nämlich die 28-Stunden-Woche steht jetzt mal als ein Signal, zwar ohne Entgeltzuschuss, aber doch verbunden mit der Möglichkeit, weniger zu arbeiten, in einem größeren Umfang weniger zu arbeiten, als das bisher der Fall war. Auf der anderen Seite haben die Arbeitgeber aber auch ihren Punkt gemacht. Sie haben ganz klargemacht, dass die Forderung der Gewerkschaften, 28 Stunden plus Entgeltzuschuss, nichts anderes ist als ein Aussteigerprogramm für Fachkräfte, und das kann man in der jetzigen Zeit überhaupt nicht gebrauchen. Schon die Rente mit 63 war ein Aussteigerprogramm für Fachkräfte. Wenn jetzt hier noch mal Fachkräfte verloren gegangen wären in der Metall- und Elektroindustrie, dann hätte wirklich der Standort Deutschland an Bedeutung verlieren können, und den Punkt haben die Arbeitgeber hier auch durchgesetzt.
    "Nur die Hälfte der Menschen will weniger arbeiten"
    Zagatta: Ist das, was sich jetzt abzeichnet, mit den bestehenden Arbeitsgesetzen zu machen? Da muss nichts geändert werden?
    Spermann: An den Gesetzen muss derzeit aufgrund dieser Vereinbarung nichts geändert werden. Die Flächentarifverträge haben allerdings dann auch eine Wirkung, nicht nur auf die anderen Bezirke – der Pilotabschluss in Baden-Württemberg ist ja schon traditionell -, sondern auch Wirkungen auf andere Branchen. Das Thema Arbeitszeitveränderung auf einer tariflichen Ebene wird an Bedeutung gewinnen. Repräsentative Umfragen sagen uns ja auch, dass die Menschen weniger arbeiten wollen, aber eben nur die Hälfte der Menschen wollen weniger arbeiten. Die andere Hälfte ist ganz zufrieden mit der Arbeitszeit oder will sogar mehr arbeiten. Von daher haben wir da ein heißes Thema in der digitalen Welt und der Gesetzgeber wird auf diese Tarifvereinbarung in der mittleren Frist auch reagieren müssen und das Arbeitszeitgesetz, was einfach nicht mehr zeitgemäß ist, hinterfragen müssen.
    Zagatta: Die Hälfte will weniger arbeiten, die Hälfte will mehr arbeiten. Aber ich gehe davon aus, alle wollen mehr verdienen. Die Gewerkschaft fordert sechs Prozent, die Arbeitgeber haben zwei Prozent angeboten. Auf was läuft das dann raus, auf vier Prozent?
    Spermann: Das läuft auf plus/minus vier Prozent hinaus. Dann kann man noch variieren in der Laufzeit und dann kann man auch noch andere Prozentsätze generieren. Wenn man dann die Prozente hochrechnet auf die Laufzeit, dann kommen vielleicht plötzlich mal sechs oder sieben Prozent raus. Dann sind wir wieder auf der Marketingebene. Am Ende des Tages lag der Korridor zwischen sechs und zwei Prozent auf ein Jahr bezogen, und da wird man sich genau in der Mitte plus/minus Abweichung treffen.
    Zagatta: Und es deutet alles darauf hin, dass es diese Einigung heute Nacht auch noch gibt?
    Spermann: Ja, es deutet alles darauf hin.
    Zagatta: Die Verhandlungen in der Metall- und Elektrobranche sind auf einem guten Weg, dauern im Moment aber noch an. Deshalb war das zu so später Stunde noch live im Deutschlandfunk der Arbeitsmarktexperte Alexander Spermann. Herr Spermann, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Spermann: Vielen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.