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Metapher auf ein sattes Europa

"Film socialisme" ist 2011 in französischen Kinos gelaufen. In Deutschland ist der Film des französischen Altmeisters nur mit einer 35mm-Kopie in den Verleih gegangen – so gering war die Nachfrage der Programmkinos. Trotzdem hat der Suhrkamp Verlag ihn in seiner Filmedition auf DVD veröffentlicht.

Von Gerhard Klas | 23.08.2012
    "Geld ist ein öffentliches Gut."

    "Wie das Wasser also."

    "Genau."

    Mit diesem Dialog vor dem Hintergrund des unruhigen Mittelmeeres beginnt der letzte Film von Jean-Luc Godard, dem enfant terrible des französischen Kinos. "Film socialisme" hat Godard seinen Film genannt, denn nur "socialisme" hätte, so erklärt er, zu sehr nach politischem Manifest geklungen. Die Montage in drei Teilen beginnt und endet auf einem Kreuzfahrtschiff. Es steht bei Godard als Metapher für ein sattes und selbstgefälliges Europa, dass die in Vergessenheit geratenen oder nur noch fragmentarisch wahrgenommenen Stationen seiner Geschichte als touristische Höhepunkte anläuft: Kairo, Haifa, Odessa, Barcelona, Athen.

    "Und wir, wenn wir wieder einmal Afrika im Stich gelassen haben."

    Wohin, Europa?, fragt Godard in seinem Film, der immer wieder Kriegssequenzen, Revolutionen und Finanztransaktionen zur Sprache bringt, assoziativ und ohne handlungsweisende Charaktere. Die Figuren im Film: eine ehemalige russische Geheimagentin, ein mit einem jüdischen Namen getarnter Nazi-Kriegsverbrecher, eine an der Reling sinnierende Schwarzafrikanerin, eine fotografierende Asiatin, sie alle reden kaum miteinander, sondern wenden sich an die Zuschauer.

    Godards Kreuzfahrt-Montagen drücken persönliche Leere, tiefste Einsamkeit und melancholische Sehnsucht seiner Figuren aus. Sie sind voneinander abgewandt, reden aneinander vorbei. Nur im Mittelteil des Films gelingt es einem Kind, zärtliche Gefühle für seine Mutter offen zu zeigen. Dialoge sind im Film kein Mittel des Schauspiels – die Worte sollen direkt ins Gehirn des Zuschauers dringen, Verwirrung stiften und Denkprozesse anregen.

    ""Dieses arme Europa. Nicht gereinigt, sondern korrumpiert vom Leid. Nicht erhöht, sondern erniedrigt durch die rückeroberte Freiheit."

    Text, Bilder, Töne sind eine einzige Collage. Eher romantische Passagen brechen abrupt ab, wechseln mit ätzenden Störgeräuschen. Immer wieder bläst der Wind ins Mikrofon und überlagert den Ton.

    Jean Luc Godard ist Rebell und Störenfried, sein "Film socialisme" ist wie viele seiner älteren Filme nicht marktkompatibel. Er ist anstrengend und will anstrengend sein, seinen Zuschauern Rätsel aufgeben und sie auf die Suche schicken. Dass diese Suche in einer Revolte mündet, steht für Godard außer Zweifel. Der Film endet mit Bildern einer aktuellen Demonstration von jungen und alten Anarchosyndikalisten in Barcelona und blendet einen Spruch ein, der auch als Aufforderung verstanden werden könnte.

    "Wenn das Gesetz nicht gerecht ist, hat die Gerechtigkeit Vorrang vor dem Gesetz."

    Film socialisme, so kündigte Godard an, sei sein letzter Film. Es ist das Vermächtnis des Altmeisters an das offizielle Europa, das, so sagte er in einem Interview, aus Kohle, Stahl und Geld gemacht sei und dem die Kultur fehle. Großen Eindruck wird Jean-Luc Godards letzter Film bei denen hinterlassen, die nicht an das Ende der Geschichte glauben und Kritik nicht mit Kulturpessimismus verwechseln.

    Jean Luc Godard: "Film Socialisme". filmedition suhrkamp, DVD 97 min, 19,90Euro. Etwa 100 Minuten Originalfassung, deutsche Untertitel, 40 Seiten Booklet, FSK-Freigabe: ab 0 Jahre

    Filmausschnitt "Filme Socialisme" von Godard auf Webseite des Suhrkamp Verlags