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Meteorologisch inspirierte Kunst
Mary und der Vulkan

Es ist mal wieder Freitag, der 13.: Vorhang auf für eine kleine Horrorshow - in Düsseldorf, Stadt der Toten Hosen und des besonderen Kunstorts KIT - Kunst im Tunnel. Unterirdisch in Sichtbeton-Kulisse gibt es dort Spukiges zu sehen. Mary und der Vulkan heißt eine Gruppenschau, die sich Phantasmagorie nennt.

Von Peter Backof | 13.05.2016
    Viktor Al Manouchi, 2016 - Video (Stills)
    Viktor Al Manouchi, 2016, Video (Stills) - zu sehen im Rahmen der Ausstellung "Mary und der Vulkan" (Hedda Schattanik & Roman Szczesny )
    Hach ja, warum isset am Rhein so schön? Lauter vergnügte Menschen am Mannesmannufer in Düsseldorf. Ein solches Ambiente hat schließlich auch Boris Karloff alias die Kreatur im Frankenstein-Film von 1931 ein einziges und legendäres Lächeln abgenötigt, bevor er - aus Versehen - das kleine Mädchen ersäufte.
    Rational müsste man sagen: Pfingstwochenende, Gewitterwahrscheinlichkeit: einhundert Prozent. Ein Wetterchen wie gemacht für Victor Frankenstein. Auch das ist ein Einstieg ins KIT – Kunst im Tunnel. Der kantige Kübel ist nur wenige Schritte vom Rhein entfernt und hat Spielraum vor allem unterirdisch:
    "Da hinten können Sie nur noch bäuchlings sich fortbewegen. Schauen Sie hoch!"
    "Ja, Sichtbeton, und es wird ein bisschen eng."
    "Ziemlich eng. Und am Ende sind es dann nur noch vierzig Zentimeter. Das ist ja ein Tunnelrestraum."
    Erläutert Gertrud Peters, Leiterin des KIT. Der 140 Meter lange Bunker ist ein Raum, den es nicht geben dürfte. Edgar Allan Poes Folterkammer, in der sich ständig und unmerklich die Wände bewegen, ist sofort da als Assoziation. Dieses Produkt der Straßenführung am und über den Rhein ist nun Bühne für eine fantastische Rekonstruktion des Zeitgeists aus dem Jahr 1816.
    "Am Genfer See wollten Mary Shelley, Lord Byron und Polidori Urlaub machen, aber es hat die ganze Zeit geregnet, war total kalt, fette Stürme unterwegs, und die haben angefangen, Gespenstergeschichten zu schreiben."
    Großer Entwurf statt einzelne Positionen
    Am bekanntesten: "Frankenstein", der vom Blitz abgeleitete neue Mensch, mit einem Weltbild dazu halb technikgegeistert, halb vor Gotteslästerung zitternd. Aber auch John Polidoris "Vampyr", die erste Anverwandlung der Mär von Vlad, dem Pfähler, aus Transsylvanien, ist in dieser Villa am Genfer See entstanden. Warum?
    "Der Vulkan Tambora ist 1815 ausgebrochen in Indonesien. Und ein Jahr später, durch diesen unglaublich großen Ascheausstoß, hat sich auf der gesamten Welt das Klima verändert."
    Nun hat 1816 Alexander von Humboldt gerade einmal die erste Wetterkarte gezeichnet und Konrad Drais das erste Fahrrad gebaut, übrigens auch eine Folge der Klimakatastrophe: Nutztiere wie Pferde waren verhungert. Und genau diese Zwischenlage damals - etwas war geschehen und man konnte es sich nicht recht erklären - wird zum Plot der Ausstellung "Mary und der Vulkan", mit 21 Kunstschaffenden, Studierenden, Lehrenden, Ehemaligen der Düsseldorfer Akademie.
    "Das ist uns wichtig, dass es nicht in einzelne Positionen zerfällt, sondern ein großer Entwurf ist."
    An einem Ende ist eine Villa mit Steg angedeutet, modern, im Le Corbusier-Stil. Hier würde man sich heute Gruselgeschichten über den Klimawandel erzählen. Und am anderen Ende des Tunnels ist Licht. Eine Fackel aus geformter Neonröhre auf einer gewaltigen Glockenform wie aus dem 3D-Drucker: Der Vulkan von Elmar Hermann.
    Keine Schau der Kitsch-Romantik
    "Ich arbeite mit Skulpturen, die sich auf Film Stills beziehen. Hier habe ich ein Film Still aus Frankenstein genommen, aus der Verfilmung, die bekannte von James Whale: auf der rechten Seite das Profil des Monsters, auf der linken das von Victor Frankenstein."
    Film Still im Negativ, als Scherenschnitt in 3D? Man braucht ein bisschen. Die Mittel der Künstler sind meist topaktuell. Da ist ein Menetekel an der Wand, weniger 1816er Gothicschwarz als am Computer verfremdeter U-Bahn-Fahrplan. Daneben ein Friedhof, der sich auf den zweiten Blick als Gräberfeld für Comic-Avatar-Bildchen im Internet entpuppt. Und da will der Japaner Soya Arakawa während der ganzen Laufzeit der Schau, drei Monate lang, ein Bild malen, als Malperformance.
    "Ja, ja, ja, ja! Schwarz, schwarz, schwarz, schwarz!"
    "Es bedeutet etwas, es ist wichtig": Er malt und schmiert mit Tusche und Kohle, als wolle er, wie in der unheimlichen Begegnung der dritten Art, seine fantastische Vision, irgendeinen Devil´s Tower rekonstruieren. Will er – immer im Tunnel - blassester Künstler dieses Sommers werden? Etwas anderes zeigt sich, auch hörbar, zum Beispiel mit einer Klangskulptur von 1987, die sofort an sauren Regen denken lässt: Zeitgeist-Perioden, in denen man alles düster und dystopisch sieht, scheinen zyklisch wiederzukommen, durchaus wetterabhängig.
    Erleben wir gerade wieder einmal eine dunkelromantische Zeit? Warum isset am Rhein so düster? Mit Kitsch-Romantik hat die Schau nichts zu tun. Mit atmosphärischem Filmprogramm aus Frankenstein, Gothic und Co., und vor allem auch Gesprächsrunden will "Mary und der Vulkan" gute Fragen an den Zeitgeist richten: Warum sehen wir, wenn wir an den Klimawandel denken, nicht paradiesische Palmenhaine, sondern gleich das ganze Rheinland überschwemmt als Phantasma vor uns? Nichts Neues also im Deutschen Westen, seit 1816, trotz besserer Wetterkarten heute.