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Methodenstreit um die Volkswirtschaftlehre

Im Eisenhower-Saal auf dem Frankfurter Campus Westend diskutierten vor allem die Konservativen, die Ökonomen also, die "Wirtschaftspolitik" als Lehrfach retten wollen, die im aktuellen Methodenstreit der Wirtschaftswissenschaftler sozusagen der "normativen Fraktion" angehören.

Von Michael Braun | 19.02.2010
    Es galt, sich an der anderen Seite zu reiben, die eine rein analytisch-empirisch ausgerichtete Volkswirtschaftslehre anstrebt. Die Ökonomen halten sich zugute, dass die aktuelle Finanzkrise ihren Methodenstreit nicht entzündet habe. Der habe schon zuvor begonnen. Aber die Krise sollte auf die Lehrinhalte der Zukunft wirken, meinte etwa Volker Caspari von der TU Darmstadt:

    "Weniger das Religiöse, weniger das Ethische, mehr die Reflexion der theoretischen Konstrukte mit Bezug auf ihre Genese, also ihre normativen Grundlagen. Mich würde wesentlich stärker freuen, wenn in der Wirtschaftswissenschaft wieder die Wirtschafts- und auch die Theoriegeschichte prominenter werden würden, nicht unbedingt in den Vordergrund treten, aber ein Stück weit wieder berücksichtigt werden würden, weil ich denke: Das Vergessen der Großen Depression von 1930 und das Vergessen auch der großen Gründerkrise im ausgehenden 19. Jahrhundert hätte mehr Sensibilität bei den Ökonomen für solche Krisenprozesse ausgelöst."

    So haben sie die aktuelle Krise auch nicht vorhersehen, immerhin aber zu ihrer Bewältigung beitragen können. So wurde der Krise nicht hintergespart. Regierungen und Notenbanken traten ihr entgegen. Das
    hatte kürzlich der Wirtschaftshistoriker Carsten Burhop vom Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern aus Bonn als praktische politische Folge wirtschaftshistorischer Erkenntnis gelobt:

    "Es war sicherlich richtig bei den sehr hohen Interbankenverbindlichkeiten, die wir heutzutage hatten, sehr viel Liquidität in den Markt zu geben, sodass Banken eben nicht illiquide werden. Wir hatten ja keine Panik. Es gab keine Schlangen vor den Bankschaltern. Wenn wir jetzt mal von einzelnen Ausnahmen in England absehen, gab es hier in Deutschland keine Panik vor den Bankschaltern. Und das ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass wir eine sehr gute Liquiditätsversorgung durch die Europäische Zentralbank hatten."

    Doch dieses Verständnis von Wirtschaftswissenschaft umzusetzen, ist schwierig, nicht nur in Deutschland. Der Brite Keith Tribe von der Universität Sussex hat Ökonomie-Lehrpläne international verglichen. Das vorhandene Personal, die vorhandenen Strukturen sorgten für viel Beharrung und wenig Bewegung, hat er festgestellt:

    "Die Frage ist: Wenn die Lehrer so ausgebildet sind, wie könnte man diese Entwicklung ändern ? Es gibt kleine Änderungen: Mathematik ist jetzt in Amerika nicht ganz so wichtig, wie es einmal war. Aber das Wissen von realen Verhältnissen – ich spreche nicht von Wirtschaftsgeschichte, ich spreche vom Verständnis von Institutionen, Arbeitsmärkten – das wird von den meisten amerikanischen graduate students für unwichtig gehalten. Und das ist ein Problem: Wo kommt Innovation her?"

    Der Darmstädter Ökonom Volker Caspari sieht das für die hiesigen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten ähnlich skeptisch. Die Finanzkrise sollte schon Konsequenzen für die Curricula der Ökonomen haben. Aber:

    "Es ist zu befürchten, dass es konsequenzlos bleibt, weil der Streit innerhalb der Volkswirtschaftslehre von den meisten Kollegen in Deutschland kaum wahrgenommen wird, weil man sich in einem Lager sozusagen verbarrikadiert und dann seine eigenen Dinge weiterverfolgt, wie man es in den letzten zehn Jahren gemacht hat."

    Aufsätze schreiben, Bücher veröffentlichen, sich einen Namen machen, das sei den meisten Kollegen wichtiger, hieß es kritisch in der Kaffeepause. Und die Hochschulrankings, die allenthalben veröffentlicht werden, seien auch ein Grund dafür, dass Karriere wichtige als Reflexion von Inhalten sei.