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#metoo in Norwegen
Minister stürzt - und seine Partei mit ihm

Dass eine linke Tageszeitung in Norwegen von der seit Jahren "schwersten Krise der Sozialdemokraten" spricht, liegt nicht allein an der verlorenen Wahl im vergangenen Herbst. Sondern auch daran, dass ein hochrangiges Mitglied Frauen belästigt haben soll und viele davon wussten, ohne zu handeln. Bis jetzt.

Von Gunnar Köhne | 09.01.2018
    Es war im Oktober 2010, der damalige norwegische Handelsminister Trond Giske war zu Besuch in Indien. Nach den offiziellen Gesprächsterminen in Neu Delhi ging es abends noch in einen feinen Nachtclub. Eingeladen war auch die damals 23-jährige Praktikantin in der norwegischen Botschaft Line Oma. Im Laufe des Abends, so berichtete Oma am vergangenen Wochenende etlichen norwegischen Zeitungen, sei Minister Giske übergriffig geworden. Er habe sie gegen eine Wand gedrückt und versucht, sie zu küssen. Später habe er sie aufgefordert, ihm auf sein Hotelzimmer zu folgen.
    "Wir sind mit der Sache noch nicht fertig"
    Oma ist nicht die einzige Frau, die Trond Giske, wie es heißt, "unpassendes sexuelles Verhalten" vorwirft. Mehrere Frauen sollen sich bereits vor Monaten anonym an die Führung der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet AP gewandt haben. Giske war stellvertretender Parteivorsitzender der AP. Bis zum vergangenen Wochenende - da trat er von allen Ämtern zurück.
    Das war eine kluge Entscheidung von ihm, sagte Giskes Parteifreundin Lise Christoffersen vor einer Krisensitzung der Parteiführung in Oslo. Und mit bitterer Miene fügte sie hinzu: "Wir sind mit der Sache noch nicht fertig. Wir müssen den Klagen der Frauen weiter nachgehen. Und wir müssen als politische Partei das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen."
    Die Belästigungsvorwürfe gegen den Spitzenpolitiker sind für die Sozialdemokraten eine Katastrophe. Schließlich waren sie es, die Norwegen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Vorzeigeland in Sachen Frauenrechte gemacht haben. Ob Frauenquote für Unternehmensvorstände oder Strafandrohung für Freier - immer ging das kleine Land voran.
    Und nun könnte ausgerechnet ein hochrangiger Sozialdemokrat nach dem fortschrittlichen norwegischen Sexualstrafrecht verurteilt werden, demzufolge selbst anzügliche Bemerkungen geahndet werden können. Der Beschuldigte gab sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe im norwegischen Fernsehen in umständlichen Formulierungen reumütig: "Ich muss einsehen, dass ich mir in den betreffenden Situationen meiner Rolle und meinem Verhalten nicht bewusst war. Da spielt meine Machtposition eine Rolle, der Altersunterschied oder auch der Einfluss von Alkohol. Ich bin nicht so aufgetreten, wie es meinen Werten und denen der Arbeiterpartei entspricht. Das muss ich annehmen und daraus kann ich nur lernen."
    Vom Favoriten zum unhaltbaren Kandidaten
    Giske galt lange als Hoffnungsträger der AP. Mit dem amtierenden Vorsitzenden Lars Gahr Störe hatte es bei der Parlamentswahl im vergangenen Herbst allerdings nur zu dürftigen 27 Prozent der Stimmen gereicht. Damit wurde die Arbeiterpartei zwar wieder stärkste Kraft im Parlament, aber nicht stark genug, um die rechtsliberale Regierung um Ministerpräsidentin Solberg abzulösen. Seitdem fordern nicht zuletzt viele Sozialdemokratinnen, es auch mal wieder mit einer Spitzenkandidatin zu versuchen. Doch Störe setzte nach der Wahl bei der Besetzung des wichtigen Postens des finanzpolitischen Sprechers überraschenderweise auf Giske statt auf die 37-jährige Marianne Martinsen - obgleich diese auch über die Parteigrenzen hinweg als die kompetentere gilt. Seitdem geistert die Unterstellung durch die norwegische Öffentlichkeit, die Genossinnen wollten sich mit den Belästigungsvorwürfen für diese Missachtung rächen.
    Parteichef Störe hatte seinen Vize am Ende zum Rücktritt gedrängt, nachdem er ihn vor Neujahr noch mit den Worten verteidigt hatte, er könne sich ein solches Verhalten Giskes nicht vorstellen. Meldungen über Übergriffe soll er lange ignoriert haben. Störe gilt norwegischen Kommentatoren deshalb als ein Parteivorsitzender auf Abruf. Gebannt schauen die Norweger zu, wie sich die traditionsreiche Sozialdemokratie selbst demontiert. Dabei, so schrieb gestern die Tageszeitung "Dagbladet", "ist ein Norwegen ohne starke Arbeiterpartei kaum vorstellbar".