Dienstag, 23. April 2024

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Metropolen-Phantasie "Ruhrstadt"

Also untereinander kämpfen wir wie die Berserker, aber nach außen wollen wir Weltstadt sein. Aber schaun se sich mal den Bahnhof von Gelsenkirchen an. Das geht natürlich nicht. Wir machen weiter Klein-Klein, wollen uns die Einwohner gegenseitig wegjagen. Sind ja eine Einheit. Fliegen se mal übers Ruhrgebiet, da sehn se keine Grenzen ......die werden ja nur produziert von den Oberbürgermeistern.

Volker Wagener und Verena Lutz | 19.05.2003
    Der Essener Kabarettist Ludger Stratmann ist Experte für das Denken und Fühlen seiner Mitmenschen zwischen Duisburg und Dortmund, Recklinghausen und Mülheim. In Europas größtem und am dichtesten besiedelten Ballungsraum leben 5,5 Millionen "Ruhris", wie Stratmann sie nennt: gerade raus und bodenständig, aber voller Komplexe. Der Wandel des Reviers vom kohlebefeuerten Wirtschaftsmotor zum Wohnzimmer der Arbeitslosigkeit hat am Selbstbewusstsein gezehrt. Spitzenplatz im Revier ist Monat für Monat Gelsenkirchen mit knapp 16 Prozent Arbeitslosen. Doch das gebeutelte Ruhrgebiet hat noch einen Joker in der Hand: Kraft durch Gemeinsamkeit. Vor drei Jahren ließen die Oberbürgermeister von Oberhausen und Gelsenkirchen eine Metropolen-Phantasie aufleben: Burkhard Drescher, SPD, und Oliver Wittke, CDU, wollen die Region in die Liga der Großen und Glänzenden einreihen, wie London und Paris. Ihre Vision einer großen Ruhrstadt ist nicht ganz neu.

    Das gemeinsame Raumschicksal der Städte hat immer wieder die Frage aufkommen lassen, ob es denn nicht sinnvoll wäre, daraus eine Stadt zu machen. Wobei die meisten Menschen dabei die schreckliche Vorstellung haben von einer Riesenstadt mit 5 oder 6 Mio. Einw., die zentral regiert wird. Das muss überh. nicht der Fall sein! Man kann sich sehr wohl dezentrale Organisationsformen vorstellen, die gleichwohl effektiver wären als die heute.

    So schlummert das größte Potential des Ruhrgebiets noch immer ungenutzt, meint Klaus Wermker, Leiter des Essener Büros für Stadtentwicklung. Würden die Ruhrkommunen ihre Stärken in einen Topf schmeißen, wären sie unschlagbar! Doch Kooperation müssen sie erst mühsam lernen. Die Zeit drängt.

    Und der Blick in die Vergangenheit zeigt vor allem eins: Im Revier hat der Konkurrenzkampf Tradition!

    Manchmal denke ich, das hat was mit dem alten Spruch zu tun "Die Liebe zur Verwandtschaft wächst im Quadrat zur Entfernung". Wenn man so dicht beieinander ist, ist es schwer, sich abzugrenzen, eine eigene Identität zu finden. Das ist vielleicht der psychologische Aspekt. Der andere hat knallharte ökonomische Gründe. Das alte Montankapital...die Arbeiter waren nicht so mobil wie heute, die konnten nicht mal eben rüber in die Nachbarstadt fahren, weil es da 2 Pfennig mehr pro Schicht gab... Deshalb hat man die Straßenbahn...unterschiedliche Spurbreiten, damit genau das nicht passieren konnte.

    Vier Landkreise, 11 Städte und darüber noch einmal drei Regierungsbezirke: Alle samt Fürstentümer mit Autonomieanspruch. 40 Jahre Strukturwandel haben das noch verstärkt: Egoismus zum Überleben. Die Städte graben sich gegenseitig das Wasser ab. Als sich der Autohersteller BMW an der Ruhr niederlassen wollte, schubsten und drängelten die Städte wie zankende Geschwister. Den Bayern wurden die Eifersüchteleien zu bunt – sie sagten dankend ab. Immer wieder bestätigte sich: Die Ruhrstadt ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und ein Schreckgespenst für die, die sich Souveränität offensichtlich leisten können, wie Dortmund und Duisburg. Die beiden SPD-Oberbürgermeister Gerhard Langemeier und Bärbel Zieling schauen vom Revierrand aus hochmütig auf ihre eingekesselten Nachbarn. Denn sie haben noch ein Hinterland.

    Gerhard Langemeyer spielt im Poker um ein engeres Zusammengehen der Revierkommunen den bösen Buben – zumindest aus Sicht der Ruhrstadt-Visionäre.

    Man könnte historisch argumentieren......Jahrhunderte lang gegen rheinische Dominanz 1angekämpft.......warum also jetzt Eigenständigkeit aufgeben.

    Der Griff in die Geschichtskiste ist beim SPD-Stadtoberhaupt nur einer von vielen Abwehrreflexen. Dortmund ist größer, liegt an der Grenze des Ruhrgebiets günstiger und hat auch bessere ökonomische Perspektiven. Deshalb muss es zur Rettung der eigenen Zukunft nicht im Ruhrstadt-Konzert der "Habenichtse" mitspielen.

    Ruhrstadt suggeriert den Bürgern, es gebe demnächst in Essen ein zentrales Rathaus für diese Region und da kann ich keine Vorteile für die Dortmunder erkennen.

    Essen ist ein Reizwort für den eher leisen Rathauschef. Im ewigen Fingerhakeln um die Polposition im Revier werden in der Westfalen-Metropole, wenn es um die Einwohnerzahl geht, schon mal einige hundert chinesische Gastmonteure mitgerechnet. Hauptsache Essen liegt hinter Dortmund. Nicht nur im Fußball spielt die Stadt Champions League. Auch sonst sieht sich der ehemalige Stahl- und Bierstandort auf Augenhöhe mit den großen Metropolen

    Die Stadt gewinnt neue Einwohner. Das fällt auf im Ruhrgebiet, denn der Trend ist umgekehrt. Bis 2015 verliert das Revier rund 350.000 Bewohner. Jenseits der Ruhrgebietsnorm sind auch der Anstieg bei den Arbeitsplätzen sowie die Neuansiedlung von Unternehmen. Die Zukunft Dortmunds hat auch schon einen Namen: "dortmund-projekt", klein geschrieben, wie üblich in der Informatikbranche. Bis 2010 sollen 70.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Ohne Ruhrstadt versteht sich - ganz im Alleingang.

    Der ehrgeizige Plan fußt auf drei Säulen. Da ist zunächst die IT-Branche, die in den letzten Jahren zur bedeutendsten der Republik geworden ist. 850 Firmen dieser Branche haben sich in und um Dortmund angesiedelt. Spitzenplatz in Deutschland.

    In der Mikrosystem-Technik ist die Stadt so attraktiv wie Berlin oder München. Und: Dortmund bleibt auch seiner Malochertradition treu: Der Logistik-Standort boomt. Bei soviel Perspektive fehlt Gerhard Langemeyer schlicht die Einsicht, enger mit den westlichen Nachbarstädten zusammenarbeiten zu sollen. Etwa mit Gelsenkirchen oder Oberhausen. Beide gehörten zu den ersten, die nach der Ruhrstadt riefen. Und dafür haben sie auch einen Grund, meint Langemeyer.

    ……..die brauchen das, damit andere ihnen ihre Schulden bezahlen.....

    Kooperation ist ein mühsames Geschäft. Die Metropolen-Vision Ruhrstadt wurde fürs erste fallen gelassen. Statt dessen haben Nachbarstädte im ganz Kleinen damit begonnen, bei einzelnen Projekten zusammenzuarbeiten. "Städteregion Ruhr 2030" – so lautet der neue Arbeitstitel. Und tatsächlich gibt es inzwischen erste Annäherungen. So was wie die Vertreibung von BMW soll nicht noch mal passieren. Helga Sander vom Planungs- und Baudezernat der Stadt Mülheim arbeitet zusammen mit der Nachbarstadt Essen an einer gemeinsamen Vermarktung von Gewerbegebieten.

    Gemeinsamer Auftritt macht stark! Wir müssen für die Region Unternehmen akquirieren und mit einem gemeinsamen Marketingkonzept werben....Essen hat den Kruppgürtel, Mülheim hat dafür hochattraktive Flächen im kleinen Bereich....und keine Stadt hat für jedes Unternehmen den optimalen Standort.

    Eine zentrale Kartei mit Gewerbeflächen an der Ruhr könnte das Problem lösen. Und das ist auch nötig, denn die Städte ersticken in den kommunalen Lasten. In Essens Haushaltsentwurf für 2003 und 2004 klafft das tiefste Loch der Stadtgeschichte. Allein in diesem Jahr gibt die größte Ruhrstadt über 380 Millionen Euro mehr aus, als sie einnimmt. Schuld daran, so der Kämmerer, seien vor allem einbrechende Gewerbesteuern – ein Grund mehr für eine gemeinsame Flächenvermarktung. Inzwischen keine Utopie mehr.

    Also haben der Essener Kollege, Zierold, und ich uns auf den Weg gemacht...haben uns gewundert, wie die regionalen Wirtschaftsverbände darauf angesprungen sind...jetzt eine Fläche, wo wir konkret gemeinsam überlegen.

    Das will Rainer Rehbein vom Unternehmerverband Ruhr-Niederrhein schon lange. Er kann nur den Kopf schütteln, wenn er an das Potential der Ruhrstädte und zugleich an ihren Starrsinn denkt. Rehbein bleibt pessimistisch angesichts der guten Absichtserklärungen zu interkommunalen Gewerbeflächen.

    Beispiel Flughafen Mülheim/Essen. Drum herum mögl. Gewerbegebiet. .. Beide Städte noch nicht entschieden... E baut jetzt 5.000 Parkplätze... MH will das nicht... müssen sich dringend zusammensetzen, um den viell. wichtigsten Punkt zw. beiden Kommunen i. O. zu bringen.

    Statt dessen ist der Streit schon in der 2. Runde. Jetzt geht es darum, ob der so genannte Verkehrslandeplatz zum Geschäftsflughafen aufgewertet wird. Essen sagt nein, Mülheim bekräftigte seinen Willen dagegen per Ratsbeschluss.

    Das Problem liegt in den Rathäusern...Erbhöfe...der eine Dezernent will sich vom Kollegen der Nachbarstadt nicht gern in die Karten schauen lassen.

    Zusammenarbeit über Stadtgrenzen hinweg war bislang eben nicht vorgesehen – zumindest nicht auf dem ordentlichen Dienstweg. Diese bislang unüberwindbaren Grenzen weichen erst im Rahmen des Projekts "Städteregion Ruhr 2030" langsam auf. Nicht ganz unwesentlich dabei: Das Projekt wird vom Bund mit 1,6 Millionen Euro gefördert. Da kann man schon mal über eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit nachdenken...

    Ich hab mit den Heinz nen Golfplatz.....in die Kleingartenanlage........geht so: Abschlag is bei mir in der Parzelle........geht dann über den Norbert sein Haus........bis zum Willi, da is dann das Green, mit das Loch. Da is en fuffzehner Abschlussrohr von der Gästetoilette.

    Geht doch! Wenn auch noch nicht so richtig. Aber für Ruhrverhältnisse sind diese Kooperationsbestreben fast schon revolutionär! Wenn auch aus der Not heraus, sagt Klaus Wermker vom Essener Stadtentwicklungsbüro.

    Ein Teil davon ist Krisenbewältigung... daneben auch schöne Themen, wie Ruhrtaltourismus...zum einen schöne Themen zum anderen: Brände löschen!

    Einen Brand löschen muss das Ruhrgebiet vor allem beim Thema Öffentlicher Personennahverkehr. 14 Verkehrsverbünde treiben hier ihr Unwesen. Dabei sollten sie eigentlich alle auf eine Stimme hören, auf die des VRR, des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr. Ein gigantisches Unternehmen mit über 11.000 Haltestellen und Bahnhöfen. Entsprechend unübersichtlich läuft der Betrieb. Jede städtische Verkehrsgesellschaft fährt ihre eigene Taktfolge, betreibt eigene Gleisanlagen und hat eigene Fahrzeuge. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr verdient seinen Namen nicht!

    Innerhalb der Kommunen klappt der Transport mit Bussen und Bahnen so gut wie in Frankfurt oder München. Doch kaum ist die Stadtgrenze in Sicht, wird es provinziell. An der Demarkationslinie zwischen Bochum und Gelsenkirchen ist Endstation für Straßenbahnen – hüben wie drüben. Die Spurbreiten sind verschieden. Und so pendelt ein Bus im Nahverkehrs-Niemandsland – typisch für´s Ruhrgebiet! Doch was jahrzehntelang undenkbar war, wird jetzt vorsichtig angepackt: Mülheim, Essen und Oberhausen taten sich zusammen, um eine gemeinsame Verkehrsgesellschaft zu gründen. Irgendwie bleibt aber doch noch jede Stadt autonom. Essens Stadtdirektor Horst Zierold.

    In den Städten gibt es dann noch eine Infrastrukturgesellschaft. Das sind die, die die Gleisanlagen haben und auch die Verkaufsstellen...Diese Facilities bleiben, werden auch weiter von den Städten bewirtschaftet....die Betriebsgesellschaften sind die, die fahren.....und die Kapazitäten werden in diese gemeinsame Gesellschaft überführt.

    Auch bei den Fahrzeugen ein entschiedenes Vielleicht. Die Straßenbahnen bleiben bei den Städten, die Busse werden Eigentum der gemeinsamen Betriebsgesellschaf.

    Das Verkehrsproblem ist ein Ärgernis für alle Metropolen-Träumer im Revier. Genau aus diesem Grund will Gerd Willamowski, Direktor des Kommunalverbands Ruhrgebiet, seine Organisation als zentrales Steuerungselement für die Region stärken. Denn:

    Jede Bemühung, das Revier als Metropole aufzubauen, muss scheitern, wenn nicht auch das Verkehrssystem metropolenfähig gemacht wird.

    Eigentlich eine klassische Aufgabe für den KVR. Doch der steht seit Jahren in der Diskussion und soll nun reformiert werden. Im Herbst will der Landtag das entsprechende Gesetz verabschieden. Der neue KVR soll dann ab kommenden Jahr als Klammer für die Städte und Kreise zwischen Hamm und Duisburg fungieren. Und zwar mit mehr Kompetenzen als bisher.

    Der Kommunalverband Ruhrgebiet ist eine Geschichte für sich. Sein Vorgänger, der "Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk", wurde schon 1920 gegründet. Seien Aufgabe war klar umrissen. Er sollte die wild wuchernden Zechenstädte mit Verkehrswegen und Grünanlagen ausstatten. Heute wird der KVR von vielen Revier-Oberbürgermeistern nur noch als bürokratische Geißel empfunden - neben drei Regierungspräsidenten und der Landesregierung. Der KVR-Vorgänger hatte da noch mehr Einfluss.

    Der neue KVR soll zum Beispiel für die Kommunalplanung Gewerbeflächen, öffentlicher Nahverkehr und überörtliche Straßen zuständig sein. Das zwingt zum Konsens, freuen sich die KVR-Reformer. Weiterreichende Strukturänderungen im Revier scheiterten schon vor Jahren. Der Versuch, aus den insgesamt drei Regierungsbezirken, Düsseldorf, Arnsberg und Münster, die für das Ruhrgebiet zuständig sind, einen großen Ruhrgebietsbezirk zu schmieden, wurden schon im Stadium erster Vorüberlegungen zerschlagen. Wer will schon einen Superbezirk Ruhrgebiet mit 5,5 Millionen Einwohnern? - Zu mächtig, ergo politisch zu unkalkulierbar, lautet die inoffizielle Ablehnung der Debatte um die Verwaltungs-Strukturreform. Das erinnert im Kern an Kaiser Wilhelm II., der in der damaligen Kohle- und Stahl-Region weder Universitäten noch Kasernen wollte. Immer getreu dem Motto: Das Ruhrgebiet verwaltet man als Quasi-Kolonie am besten aus der Ferne.

    Das fördert das Selbstbewusstsein der Reviermenschen nicht gerade. Immer noch leidet der "Ruhri" unter kleinbürgerlichen Komplexen. Weltoffenheit ist ihm ein Fremdwort. Neues macht Angst. Der Aufbruch zur Metropole fällt deshalb schwer. Welteroberer sind die Bochumer und Castrop-Rauxeler nicht gerade. Eher ausgeprägt heimatverbunden. Für Kabarettist Ludger Stratmann ein Sonderfall unter deutschen Landsmannschaften.

    Ja, genau so is das........haben uns immer rechtfertigen müssen....haben immer im Dreck gelebt, aber is ja gar nich mehr so.

    In Düsseldorf ärgern sie die Bottroper, Gelsenkirchener und Wattenscheider gern und häufig. Was ist der aufregendste Ort im Ruhrgebiet? - Richtig! Die Autobahnauffahrt nach Düsseldorf. Der Schenkelklopfer für die Urbanen aus der schicken Landeshauptstadt hat Hintersinn. Im Revier bleiben kleine Leute gerne klein. Auch das ein Handicap auf dem Weg zur Ruhr-Metropole.

    Hier kamen die eben als wirklich ganz kleine Leute an……die brauchen zwei Generationen.......kommen aus dem Kleinbürgertum früher nicht raus....sind alle ein bisschen ängstlich.