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Meuterei auf der "Discovery"

Die fanatische Suche nach der Nordwestpassage in Richtung Indien endete für ihn im Nebel des Polarwinters: 1611 wurde Henry Hudson, Kapitän der "Discovery", von seiner meuternden Mannschaft dem Meer überlassen.

Von Günther Wessel | 23.06.2011
    "Du wirst die Schiffe sehen, Johnny; eine Flotte, die vom Londoner Hafen nach Cathay segelt. Handelsschiffe, tief im Wasser liegend, beladen mit Gewürzen und Seide."

    Ob Henry Hudson so mit seinem Sohn sprach? Das behauptet jedenfalls ein Film aus den 1960er-Jahren, der in kanadischen Schulen gezeigt wurde und der Hudsons letzte Fahrt, seine Suche nach der Nordwestpassage, zeigt.

    Christoph Marx: "Die Nordwestpassage war der Versuch, Indien, das im Wesentlichen für die Reichtümer Ostasiens stand, auf dem Seeweg zu erreichen, wobei der Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung bereits von den Portugiesen entdeckt worden war, die ihn allerdings eifersüchtig hüteten."

    Christoph Marx ist Professor für außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg/Essen.

    "Das heißt, alle anderen Europäer, die Indien erreichen wollten, mussten nach anderen Wegen suchen. Und die Vermutung hielt sich eben ausgesprochen hartnäckig, dass es eine Möglichkeit gäbe, Amerika im Norden zu umschiffen und dort auch auf einem wesentlich kürzeren Weg dann die Reichtümer Asiens zu erreichen."

    Henry Hudson wird vermutlich 1565 in London geboren. Nichts weiß man über seine Jugend, sicher ist nur, dass er 1607 und 1608 entlang der Ostküste Grönlands bis zum dahin unerreichten 80. Breitengrad segelt. 1609 bricht er erneut auf. Im Auftrag einer holländischen Handelsgesellschaft, der Vereinigten Ostindischen Kompanie.

    Christoph Marx: "Dazu muss man einfach sehen, dass oft auch Kapitäne abgeworben wurden mitsamt ihrem Know How, ihren Kartografiekenntnissen und entsprechend dafür belohnt wurden. Das heißt, man ging hier nach Marktgesetzen vor und weniger nach nationalen Loyalitäten."

    Er segelt von Holland aus in die Bucht von New York, wo er einem breiten Wasserarm folgt. Doch das ist nicht die gesuchte Nordwestpassage, es ist die Mündung eines Flusses, der heute, nach ihm benannt, Hudson River heißt. Nachdem er im November in England angekommen ist, will Hudson weiter in die Niederlande, um dort seine Auftraggeber zu informieren. Doch die britische Krone verbietet ihm die Ausreise. Von nun an soll er für England segeln.

    Im August 1610 fährt Hudsons "Discovery" als erstes Schiff in die heutige Hudson Bay im Nordosten Kanadas. Ist das die gesuchte Durchfahrt? Hudson glaubt es. Er lässt die Küste absuchen. Das Schiff tastet sich vorwärts, bis es schließlich im Eis stecken bleibt. Der Polarwinter ist da: Kälte, Hunger und ewige Dunkelheit.

    Im Frühling schöpft die Besatzung Hoffnung auf Heimkehr. Doch ihr Kapitän will nicht zurück. Er will die Passage, die Verbindung des atlantischen mit dem pazifischen Ozean finden.

    "Wir werden verhungern. Ich habe Skorbut. Aber dieser Verrückte denkt nur an seinen Schiffsweg."

    Und ein anderer Seemann spricht das magische Wort aus: "Mutiny?"

    Und es kommt zur Meuterei. Henry Hudson wird am 23. Juni 1611 mit seinem Sohn und einigen Getreuen in einem Boot ausgesetzt. In dem kanadischen Schulfilm wabert dazu passend der Nebel, die Meuterer lachen böse, doch der Entdeckungsfahrer weiß:

    "Die Geschichte wird über uns richten.”

    Die Besatzung der "Discovery" löst das Seil, und der Nachen mit Henry Hudson treibt langsam weg. Er verschwindet spurlos und für immer im Nebel. Die Meuterer segeln zurück nach England. Unterwegs sterben die angeblichen Rädelsführer – und so wird am Ende niemand wegen Meuterei verurteilt.

    Heute wissen wir: Hudsons letzte Reise brachte China und Indien den Engländern nicht näher. Die Nordwestpassage wurde nicht gefunden. Doch von der Hudson Bay aus erschloss die 1670 gegründete Handelsgesellschaft Hudson’s Bay Company das kanadische Hinterland; statt der Seide aus China brachten Engländer Pelze aus Kanadas Norden nach Europa. Und mit dem Handel setzte England seine territorialen Ansprüche in Kanada durch.

    Die Nordwestpassage selbst wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts vom Norweger Roald Amundsen durchschifft. Heute wird sie immer wichtiger. Christoph Marx:

    "Seit die Pole abschmelzen, ist die Passage befahrbar. Und nun geht natürlich der Streit los um die Ressourcen im Nordpolraum."


    Anm.: Die Filmausschnitte im Beitrag stammen aus dem Film "The last voyage of Henry Hudson", 1964, National Film Board von Kanada.