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Meyerhoff: "Die Zweisamkeit der Einzelgänger"
Mittelpunkt eines großformatig paralysierten Rundpanoramas

"Alle Toten fliegen hoch" heißt die autobiografisch gefärbte Romanserie des Wiener Theaterschauspielers Joachim Meyerhoff. Er beschreibt konstanten Misserfolg und permanente Verunsicherung: als Kind, als Heranwachsender, als total überforderter Schauspielschüler. Jetzt ist der vierte Teil der Saga erschienen.

Von Antje Deistler | 20.12.2017
    Der Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff: hier in Köln auf der Lit.Cologne, dem Internationalen Literaturfest
    Der Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Bielefeld, Stadttheater. Dort bekommt der Ich-Erzähler ein Engagement. Damit hatte er nicht gerechnet, nachdem er die Schauspielschule in München gerade eher orientierungslos verlassen hatte. Ein Engagement, egal wo, ist für ihn also erst mal das Größte. Doch wer Joachim Meyerhoffs Bücher kennt, ahnt, dass auch dies keine Erfolgsgeschichte wird. Das Scheitern ist - zumindest als Thema in der Literatur - so viel interessanter, anrührender und vor allem: lustiger. Besonders bei Meyerhoff. Der hatte sich mit den drei Vorgängerbänden "Amerika", "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" und "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" seinen Ruf als König der desaströsen Komik ehrlich verdient. Mit jedem Band wurde Meyerhoff besser. Diesen Aufwärtstrend allerdings hat er mit "Die Zweisamkeit der Einzelgänger" nun unterbrochen. Dabei beginnt es so vielversprechend.
    "Um eine Unterkunft zu finden, hatte ich in der Innenstadt auf Stromkästen, Laternen und Ampelmasten fotokopierte Wohnungsgesuche geklebt, den unteren Rand sorgsam zu Zettelchen mit der Telefonnummer meiner Mutter eingeschnitten. Vierundfünfzig hoffnungsvoll flatternde Zahlenklaviere. Am Abend lief ich eine erste Kontrollrunde, neugierig, ob schon der ein oder andere Papierstreifen abgerissen worden war. Ich hatte mich für den denkbar einfachsten Text entschieden:
    Junger Schauspieler sucht ab sofort: kleine, helle, ruhige Wohnung.
    (...) Ich wanderte durch die fremde Stadt. Alle Blätter unversehrt. Doch eine Anzeige war durch einen Zusatz ergänzt worden. Mit dickem Filzstift hatte jemand unter meinen Satz geschrieben:
    Zum Sterben
    Junger Schauspieler sucht ab sofort: kleine, helle, ruhige Wohnung zum Sterben! Das als gutes Vorzeichen zu deuten, gelang selbst mir nicht."
    In Bielefeld ist Meyerhoffs alter ego einsam und unzufrieden. Nach einer weiteren misslungenen Bühnenperformance lernt er Hanna kennen. Er verliebt sich, weil sie sich die Mühe macht, ihm zu sagen, wie schlecht sein Auftritt war. Die Studentin bringt ihn zum Lesen und fordert ihn permanent heraus. Sie ist ein einziges Minenfeld: Immer kurz vor der Explosion, superkompliziert und hyperempfindlich. Und dem Ich-Erzähler himmelweit überlegen.
    "Ich würde niemals ein Intellektueller sein oder werden. Es war ein irritierendes Gefühl, wie sie mich in meiner eigenen Wohnung durch ihre Geistesanstrengungen an die Wand drückte. Hanna saß an meinem Schreibtisch und glühte vor Komplexität, und ich kauerte auf dem Bett, ein kahl rasiertes Heimchen, und schälte so leise wie möglich Karotten für das Abendessen. Doch es waren die glücklichsten Tage seit Langem."
    Katastrophale künstlerische Entwicklung
    Trotzdem wagt Meyerhoff den Absprung. Er nimmt ein Engagement in Dortmund an und pendelt am Wochenende zu Hanna nach Bielefeld. Die künstlerische Entwicklung allerdings verläuft auch im Ruhrgebiet katastrophal. Bei einer Inszenierung des Musicals "Anatevka" muss das neue Ensemblemitglied singen. Kann es aber nicht.
    "Alle sahen mich an, und es war kaum vorstellbar, dass so viele Blicke auf ein und derselben Person überhaupt Platz fanden. Ich hatte mit meinem Lied an die sechzig Mitwirkende zerbröselt. Der Dirigent war wie bei einem Ratespiel in einer seinen Berufsstand anschaulich repräsentierenden Haltung erstarrt, ließ nun aber den Taktstock sinken, als wäre ihm der federleichte Stab zu schwer geworden. Ich drehte den Kopf einmal nach links, soweit ich konnte, und einmal nach rechts. Das Entsetzen schloss mich ganz ein. Ich war der Mittelpunkt eines großformatig paralysierten Rundpanoramas."
    In solchen Momenten, in Momenten der Pleite und des Misserfolgs, glänzt der Erzähler Meyerhoff wie eh und je. Tragikomik ist seine große Stärke. Doch es gibt wenige dieser Momente in "Die Zweisamkeit der Einzelgänger", die sich direkt aus der Handlung ergeben. Die meisten wirklich komischen Passagen entstehen bei Rückblicken in die Kindheit oder in die Münchner Zeit mit den Großeltern. Anekdotenhaft eingeschoben, wirken sie wie Reminiszenzen an die drei Vorgängerromane, wohl weil der vierte in der Reihe einfach nicht mehr genug Material bereithielt. Dabei passiert schon einiges: Obwohl weiterhin verliebt in Hanna, beginnt der Erzähler in Dortmund eine Affäre mit der Tänzerin Franka. Über sie gibt es sehr viel weniger zu sagen, denn diese Beziehung lebt von der körperlichen Anziehung. Franka ist langbeinig, schön und exzentrisch, aber wortkarg. Anstrengend auf eine andere Art als die anstrengende Hanna.
    "Als ich aufwachte, lagen Franka und ich kreuz und quer auf der Matratze, das Bettlaken heruntergerissen, Nachttisch umgekippt, Kissen und Bettdecke, ihre Stiefel, meine Schuhe, Hose, Socken, Rock, Unterhose, Jacke, Mantel, T-Shirt, Hemdchen so verstreut, als hätte ein eifersüchtiger Riese die Wohnung geschüttelt."
    Zwischen Hanna in Bielefeld und Franka in Dortmund
    Mit Hilfe von Aufputschtabletten hält Meyerhoffs junges lyrisches Ich das Pensum zwischen Hanna in Bielefeld und Franka in Dortmund durch. Und findet dann auch noch die Zeit, mit der robusten Bäckersfrau Ilse eine Affäre zu beginnen, eine seltsame allerdings - ebenso intensiv wie platonisch. Jeden Morgen um 4 schleicht er sich in ihre Bäckerei, um mit ihr zu arbeiten. Abends steht er weiterhin auf der Bühne und hadert mit den Konventionen des Theaterbetriebs.
    "Die Zweisamkeit der Einzelgänger" ist ein durchaus unterhaltsamer Künstler- und Liebesroman geworden. An die literarische Qualität von Meyerhoffs ersten drei Büchern reicht er jedoch nicht heran. Immer noch gelingen dem Autor wunderschön detaillierte Beschreibungen wie diese:
    "Da, wo ihr Ohr auf meiner Brust lag, war es durch den Stoff so warm geworden, als hätte mir jemand einen frisch gegossenen, noch nicht ganz ausgekühlten Orden angeheftet."
    Doch dann wieder gibt es Passagen in diesem Buch, in denen seine detailverliebte Fabulierfreude nicht mehr auf den Punkt, sondern breitgewalzt wirkt, so als habe er möglichst viele Seiten füllen müssen. Joachim Meyerhoff war und ist berühmt dafür, seine Leser zum Lachen und zum Weinen bringen zu können. Die emotionalen Ausschläge aber fallen hier deutlich geringer aus als früher. Wahrscheinlich bleibt das beim autobiografischen Erzählen nicht aus: Der Protagonist wird älter. Nach Kindheit, Pubertät und Ausbildung werden die herrlich peinlichen, aber auch die tieftraurigen Momente einfach weniger. Joachim Meyerhoff scheint das selbst zu bemerken. Der wiederum gelungene Schluss von "Die Zweisamkeit der Einzelgänger" weist darauf hin, dass er das Ende seiner "Alle Toten fliegen hoch"-Serie erreicht hat.
    Joachim Meyerhoff: "Die Zweisamkeit der Einzelgänger"
    Kiepenheuer & Witsch, Köln. 352 Seiten, 24 Euro