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MH17-Absturz
"Das erste Jahr ist unglaublich schwer"

Vor einem Jahr wurde der Passagierflug MH17 über der Ostukraine abgeschossen. Die meisten der 298 Opfer stammten aus den Niederlanden. Der Jahrestag ist für die Angehörigen eine besondere Belastung - und noch immer ist die Schuldfrage ungeklärt.

Von Kerstin Schweighöfer | 17.07.2015
    Acht Militärangehörige in blauen Uniformen tragen einen Holzsarg auf ihren Schultern, im Hintergrund das schwarze Fahrzeug eines Bestatters mit geöffneten Hecktüren.
    Mai 2015: Angehörige des niederländischen Militärs tragen einen der sieben Särge aus dem Transportflugzeug, das aus dem ukrainischen Charkiw in Eindhoven gelandet ist. (picture alliance / dpa / Sander Koning)
    Thomas Schansman hat beim Absturz des Fluges MH17 seinen ältesten Sohn Quinn verloren, 19 Jahre ist er alt geworden.
    "Es hört nicht auf, es ist immer noch ganz frisch. Als ob die Zeit stillsteht. Die ersten Weihnachten ohne ihn, der erste Geburtstag, der erste Vatertag. Letztes Jahr war er noch bei uns, da haben wir zusammen gegessen. Schlimme Tage sind das. Selbst auf meiner Veranda kann ich nicht mehr sitzen, denn da saßen wir am 17. Juli 2014 - und hörten im Radio, dass ein Flugzeug abgestürzt ist. Seine rote Baseballmütze, die wurde gefunden, die haben wir zurückbekommen. Ich kann nur hoffen, dass der Schmerz in zwei, drei oder fünf Jahren nachgelassen hat."
    So wie dieser Vater kommen in diesen Tagen viele Angehörige von Opfern in den niederländischen Medien zu Wort. Im ganzen Land wird mit Sondersendungen und Extrabeilagen des Absturzes der Boeing 777 über der Ost-Ukraine gedacht.
    Heute nachmittag findet in einem Kongresszentrum bei Utrecht unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Gedenkfeier statt, für die sich 1600 Menschen angemeldet haben - darunter Vertreter der Regierung und Premierminister Mark Rutte. Wie schon bei der nationalen Trauerfeier im November vergangenen Jahres sollen die Namen aller 298 Opfer verlesen werden.
    Trost für die Hinterbliebenen
    Zu den Sprechern zählt auch Marieke Poelmann, eine 27-jährige Niederländerin, die bei einer anderen Flugzeugkatastrophe ihre Eltern verloren hat - beim Absturz einer Passagiermaschine über Tripolis 2010. Poelmann hat in einem Buch beschrieben, wie sie den Verlust damals bewältigt hat, und soll nun den Angehörigen der MH17-Opfer Trost zusprechen:
    "Das erste Jahr ist unglaublich schwer, man kommt fast nicht zum Trauern, man muss die Toten identifizieren, das Begräbnis regeln, mit Banken und Versicherungen verhandeln. Meine Geschwister und ich mussten auch unser Elternhaus leerräumen und verkaufen. Trauern kannst du nur alleine - auch wenn das ganze Land an deiner Trauer teilnimmt. Trauer ist, wenn du alleine auf dem Sofa sitzt und deine Mutter anrufen willst, und es geht nicht mehr. Es hört nie auf, du musst lernen, damit weiter zu leben. Aber es gibt Hoffnung. Es wird nie mehr so sein, wie es war. Aber es wird besser. Es wird erträglicher."
    Ursache weiter unklar
    Zur Unglücksursache liegt bislang lediglich ein Zwischenbericht der niederländischen Sicherheitsbehörde OVV vor; menschliches und technisches Versagen sowie ein Terroranschlag werden darin ausgeschlossen. Der endgültige Bericht wird für Oktober erwartet - und damit auch eine Antwort auf die Frage, ob die Boeing tatsächlich von einer Buk-Rakete abgeschossen wurde - und wenn ja, von wem: Waren es prorussische Separatisten - oder wurde die Rakete - wie die russische Regierung behauptet - von ukrainisch kontrolliertem Gebiet aus abgeschossen?
    Parallel dazu laufen die strafrechtlichen Ermittlungen, ein internationales Expertenteam unter niederländischer Leitung soll die Schuldfrage klären. Mehr als 100 Zeugen wurden bereits verhört, Radarbilder, Telefonmitschnitte und Satellitenaufnahmen ausgewertet. Ende des Jahres soll auch dieser Abschlussbericht vorliegen. Der leitende Staatsanwalt Fred Westerbeke ist zuversichtlich:
    "Wir sind gut vorangekommen. Wir konnten stichhaltige und überzeugende Beweise versammeln. Es geht uns darum, in der Befehlskette möglichst weit vorzudringen - von Ausführern bis zu Auftraggebern. Aber es ist nicht leicht und es gilt noch, einige Alternativen auszuschließen."
    Kommt es zu einem UNO-Tribunal?
    Wo den mutmaßlichen Tätern dann der Prozess gemacht werden soll, ist noch offen. Die Niederlande machen sich zusammen mit Malaysia, Australien, Belgien und der Ukraine dafür stark, sie vor ein UNO-Tribunal zu bringen, das mit einer entsprechenden Resolution speziell zu diesem Zweck eingerichtet werden könnte - am besten in Den Haag, das mit Ad-hoc-Tribunalen bereits Erfahrung hat.
    Russland allerdings will davon nichts wissen - und als permanentes Mitglied im UNO-Sicherheitsrat können die Russen ein Veto einlegen.