Freitag, 19. April 2024

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MIA – Mannheimer Interprofessionelle Ausbildungsstation
Eine Krankenstation in Azubi-Hand

Theorie und Praxis liegen oft meilenweit auseinander. Auch bei der Ausbildung von Medizinern. Dem steht nun ein Modell - nach schwedischem Vorbild - gegenüber, das sich Uniklinika wie das in Mannheim zu eigen machen: Auf einer frisch eingerichteten Station mit insgesamt 12 Betten haben angehende Ärzte, Physiotherapeuten und Pflegeschüler das Sagen.

Von Stephanie Ley | 03.01.2018
    Universitätsklinikum Mannheim
    Hier gibt es sie - die "Mannheimer Interprofessionelle Ausbildungsstation" (dpa)
    Menschen mit weißen Kitteln auf den Fluren, Frühstückstabletts in Rollcontainern: auf den ersten Blick herrscht auf der neuen Station "business as usual". Vor Zimmer Nummer 10 streift sich ein Mediziner-Team gerade rote Schutzkittel über – die Visite steht an! Der Patient sei mit hohem Fieber ins Krankenhaus gebracht worden, erklärt Angela Sykovski, Studentin im 5. Ausbildungsjahr. Eine Woche lang schlüpft die 26jährige in die Rolle der Chefin.
    "Hallo, Herr Du Vignon. Wie geht’s Ihnen denn?" "Gut!" "Gut? Wie haben Sie so den Tag bisher verbracht?" "Gegessen habe ich, geschlafen habe ich, Fernsehen geguckt." "Haben Sie irgendwelche Schmerzen gerade?" "Nein!" "Übelkeit, Durchfall in letzter Zeit?" "Nein, nein, nein!" "Alles gut soweit?" "Ja."
    Angela wirft einen kritischen Blick in die Krankenakte des Seniors, nickt dann den Kollegen zu. Startsignal für deren Einsatz:
    "Einmal unter der Achsel."
    Pflegeschülerin Sylvia misst die Temperatur des Patienten. Dominik, angehender Physiotherapeut, zeigt dem 69jährigen eine Atemübung.
    "Dadurch, dass Sie relativ viel liegen, ist es wichtig, dass die Lunge gut durchlüftet wird, dass sich keine Keime ansammeln können. Jetzt dürfen Sie mal die Hände auf den Bauch legen. Und jetzt mal ganz tief einatmen! Genau! Und ausatmen. Sehr gut, super."
    Gelassene Reaktion des Seniors typisch?
    Geduldig lässt der Senior das Prozedere über sich ergehen. Dann konfrontieren wir den gelernten KFZ-Meister mit der Wahrheit. Angela sei keineswegs fertige Ärztin – auch Sylvia und Dominik würden noch lernen. Kurzum:
    "Sie sind hier auf einer Ausbildungsstation!" "Ah, prima!" "Ist Ihnen gar nicht bekannt?" "Ich hab' schon gemeint, dass hier ein Haufen junger Leute rumrennen!" "Wie finden Sie das?" "Gut. Hab' ich kein Problem damit. Ich habe ja selbst auch Lehrlinge ausgebildet. Muss ja weitergehen!" "Wie erleben Sie denn die jungen Leute hier? Sind die versiert, können die alles oder hapert's?" "Nein - gut, positiv!" "Alles Gute und kommen Sie Samstag gut nach Hause hoffentlich!"
    Zurück auf dem Flur will ich wissen, ob die gelassene Reaktion des Seniors typisch sei. Absolut, erklärt Medizinstudentin Angela.
    "Es läuft erstaunlich gut, muss ich sagen. Sie sind offen, sie kommunizieren mit einem, sie lassen auch alles machen. Es ist schon echt sehr schön, ja! Wir haben ja generell noch nie so richtig aktiv im Stationsalltag gearbeitet und ich finde schon, dass man super viel lernt hier, aber auch super viel leisten muss."
    Dabei ist Angela in einer privilegierten Situation. Die 26jährige ist für lediglich zwei Patienten zuständig: einen Mann mit offener Tuberkulose und Wolfgang Du Vignon. Reguläre Assistenzärzte betreuen bis zu 16 Erkrankte! Dennoch:
    "Die Verantwortung ist schon massiv! Dieses Gefühl – das war am Anfang sehr erdrückend. Es ist unglaublich viel Zeit, die man rein investiert, um überhaupt zu verstehen, was die alle haben! Weil es schon eher komplexere Bilder sind bei uns hier im Klinikum." "Hatten Sie Angst vor Ihrem Einsatz hier, Unwohlsein?" "So ein Bammel war das, kann man sagen."
    Überprüfung aus dem Hintergrund
    Ihr Blick wandert Richtung Oberärztin. Die Internistin Christine Baur leitet die Ausbildungsstation, ist überall präsent. Gemeinsam mit erfahrenen Kollegen aus den unterschiedlichen Berufsgruppen überprüft sie jeden Schritt ihrer Schützlinge, bleibt aber stets im Hintergrund:
    "Ja! Ich stehe daneben und mache nichts! Wir supervidieren und wir müssen lernen uns zurückzunehmen, aber nicht die Kontrolle aus der Hand zu geben. Und das ist schon einiges an Energie, die da rein fließt." "Die Kontrolle müssen Sie halten – gab es schon mal Aktionen, die kontraproduktiv gewesen wären?" "Ja, dass einfach die Medikamentendosis in der Anordnung nicht gestimmt hat, oder im Händischen ein bisschen was schiefgelaufen ist. Aber nichts Dramatisches. Wenn man lernt, darf man Fehler machen! Man muss nur aus den Fehlern am besten gut lernen!"
    Rund 200 angehende Ärzte werden künftig pro Jahr auf MIA trainieren – in Mannheim seit neuestem ein Muss im medizinischen Curriculum. Dazu kommen über 70 Azubis aus der Pflege und Physiotherapie - ohne deren Hilfe jeder noch so gute Arzt im Klinikalltag aufgeschmissen sei, betont Angela. Durch die Praxistage hat sie vor allem gelernt: Teamworking ist das A und O:
    "Einem wird auch bewusst, dass man aktiv auf die Leute zugehen muss und nicht einfach sagt, ich hab's doch irgendwo hingeschrieben, warum weißt du das denn nicht. Das ist auf jeden Fall sehr wichtig. Und auch, dass man versucht, einen Plan im Kopf zu haben, was man eigentlich machen muss und dass man nicht wild anfängt drauf los zu doktern sozusagen, ja."