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"Mich interessiert, wer die Verbrecher sind"

"Aufstieg und Fall der Apartheid" heißt eine neue Ausstellung im Münchener Haus der Kunst. Kernstück sind Fotografien, die den Freiheitskampf der Südafrikaner gegen das rassistische Regime dokumentieren. Einer der bedeutendsten Fotografen dieser Zeit ist David Goldblatt.

Von Leonie March | 15.02.2013
    "If I were to define myself I am a kind of 19th century liberal, I am a throwback; I am totally out of date."

    David Goldblatt lächelt. Der Vergleich mit einem aus der Mode gekommenen Liberalen aus dem 19. Jahrhundert gefällt ihm. Er ist ein überzeugter Humanist. Freiheit und Unabhängigkeit sind Ideale, an denen er sich seit seiner Jugend orientiert. Geboren 1930 in einer Bergbaustadt bei Johannesburg, als jüngster Sohn jüdischer Einwanderer aus Litauen.

    "Die Stadt spiegelte den Rassismus in Südafrika in vielerlei Hinsicht wider. Es gab Rassismus sowohl unter Juden als auch Briten und Buren. Meine Eltern waren liberaler als die meisten. Viele ihrer Werte habe ich wohl übernommen."

    Der von Wind und Wetter gegerbte 82-Jährige sitzt vor seinem Laptop. Viel zu oft, meint er. Durch das offene Fenster dringt der Lärm der Kapstädter Long Street. Auf dem Tisch stapeln sich Bücher. David Goldblatt redigiert eine Neuauflage seines Fotoessays "The Transported of KwaNdebele" aus den 80ern: Darin zeigt er die tägliche Arbeitsodyssee schwarzer Südafrikaner mit dem Bus vom Homeland in die Hauptstadt. Frauen und Männer, vor Erschöpfung zusammengesunken in ihren Sitzen.

    "Jeden Tag waren die Arbeiter mit diesen Bussen nach Pretoria unterwegs. Manchmal brauchten sie acht Stunden für den Hin- und Rückweg. Ein Wahnsinn, den ich kaum begreifen konnte und den ich in meinen Fotos so eindringlich wie möglich zeigen wollte. Jeder sollte sehen, was die Apartheid für den Alltag der Menschen bedeutete. Es war furchtbar. Kein Völkermord, aber eine tägliche Schinderei, der Millionen von Menschen ausgesetzt waren."

    Doch Goldblatt zeigt auch die andere Seite: Weiße Mittelschichtfamilien in ihrer abgeschirmten Vorstadtidylle, Schönheitsköniginnen, Politiker. Sein Ziel: Ein möglichst detailliertes Bild der tief gespaltenen Gesellschaft zu zeichnen. Grautöne in der schwarz-weißen Welt. Er achtet auf eine kritische Distanz, lässt sich nicht instrumentalisieren, trennt klar zwischen kommerziellen Aufträgen als Werbefotograf oder für Zeitschriften und dem, was er seine "persönliche Arbeit" nennt. Keine Kunst betont er, sondern Handwerk. Trotz Ausstellungen in bedeutenden Museen wie dem Museum of Modern Art in New York oder bei der documenta.

    "Es geht mir vor allem darum, herauszufinden, zu definieren und zu hinterfragen, welche Wertvorstellungen wir haben. Und zwar, um das Wesen der Gesellschaft zu verstehen, in der ich lebe. Ich kann nur über Südafrika sprechen. Ich bin hier tief verwurzelt. Wenn ich hier wegziehen würde, wäre ich nur ein halber Mensch."

    Ohne Arbeit wahrscheinlich auch. Mit 82 reist David Goldblatt weiterhin regelmäßig mit Wohnmobil und Kamera durch Südafrika. Pendelt zwischen seinem Haus in Johannesburg und seiner Wohnung in Kapstadt. Er spürt Spuren der Vergangenheit nach und fühlt neuen gesellschaftlichen Problemen auf den Zahn.

    "Südafrika hat eine sehr hohe Kriminalitätsrate. Fast jeder ist schon einmal zum Opfer geworden. Auch meine Frau und ich sind schon in unserem Haus überfallen worden. Meine drei Kinder haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Mich interessiert, wer die Verbrecher sind. Ich treffe sie nicht im Gefängnis, sondern nach ihrer Haftstrafe in Freiheit und fotografiere sie am ehemaligen Tatort. Ich höre ihnen zu, nicht als Richter oder Sozialarbeiter. Mir geht es nicht darum, sie zu verurteilen. Ich möchte einfach ihre Geschichte hören."

    Ohne Vorurteile genau hinschauen, um die Essenz in einem Foto zu destillieren. Diesem Berufsethos ist David Goldblatt immer treu geblieben.

    Info

    Die Werke von David Goldblatt sind bis Ende Mai im Münchener Haus der Kunst zu sehen. Sein Bildband "Aufstieg und Fall der Apartheid" ist gerade beim Prestel-Verlag erschienen.